Der lange Weg zur perfekten Opernball-Robe

Wie groß ist ihr Tanzpartner? Um die perfekte Robe zu schneidern, muss Couturier Thang de Hoo auch das wissen. Es ist kompliziert, doch der Meister hat den Kompass auf dem Weg zur perfekten Ballnacht

von Der lange Weg zur perfekten Opernball-Robe © Bild: Matt Observe/News

Die Qualität der Investition zeigt sich alljährlich am letzten Donnerstag vor dem Aschermittwoch. Wenn es auf der Feststiege in der Wiener Oper eng wird wie sonst das ganze Jahr nicht, dieses mal am 8. Februar. Dann wird Stoff um Tausende von Euros unter größter Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vor Fernsehkameras und Fotografen in die Ballnacht getragen, dieses Jahr zum 66. Mal. Ist eine Ballrobe mit mäßigem Bedacht gewählt, wissen es tags darauf auch jene, die dem Höhepunkt der Wiener Ballsaison mit Ignoranz begegnen. Auch Modemuffel interessieren sich für Fashion-Fauxpas, ist nach jedem Ball festzustellen. Vermiest die Robe nur deren Trägerin den Abend, weil sie zwickt, am Tanzen hindert oder an der Flüssigkeitsaufnahme (weil sie am stillen Örtchen nicht ohne fremde Hilfe zu bedienen ist), bleibt dies zwar unbemerkt, in der Kosten-Nutzen-Rechnung dennoch unerfreulich.

Es ist kompliziert. Auch mit dem perfekten Ballkleid. Der niederländische Couturier Thang de Hoo weiß das auch aus 30-jähriger Ballerfahrung. So lange ist der 61-Jährige schon Gast beim Opernball. Dort wurde er von Damen sogar schon gebeten, ihnen als fachkundige Begleitung zur Instandsetzung widerspenstiger Ballroben aufs stille Örtchen zu folgen. In der ihm ureigenen freundlichen Diplomatie gelang es ihm, dies an die verständnisvolle Toilettenwärterin zu delegieren.

"Oh, es gibt viele Stolpersteine am Weg zum Kleid", bekräftigt der Designer mit der Wucht Dutzender Fehltritte modischer Natur im Hinterkopf. So viel nur, sollte jemand denken, eine Opernball-Robe kauft sich wie ein Laib Brot im Vorbeigehen.

Die Gretchenfrage vor dem Ball

Die Gretchenfrage vor dem Besuch des Opernballs sei "to shine or not to shine", sagt Thang de Hoo, der seit 1990 (mit einem mehrjährigen beruflichen Zwischenstopp in Genf) in Wien lebt und arbeitet. Er weiß um die Bedürfnisse jener, die strahlen und fotografiert werden wollen, und solcher, für die der rote Teppich zur Pflichtübung zählt, sowie derer, die am Ball beruflich tätig sind, wie etwa Mitglieder des Opernball-Komitees.

Die Anforderungen an eine Robe unterscheiden sich dadurch grundlegend. Zuhören zu können, nennt er als eine der wichtigsten Eigenschaften eines Designers. Er erfragt, wie funktional das Kleid sein soll oder wie auffallend es sein muss und welches dieser Attribute eine Kundin für sich nach vorne reiht.

An diesem Punkt kommt der persönliche Stil der Kundin zum Tragen, dem der Modeschöpfer folgen muss. Der Profi hat ihn bereits fünf Minuten nach dem ersten Kennenlernen treffsicher erkannt. "Bei Ihnen verraten es mir vor allem die Schuhe und die Brille ganz deutlich: funktional, aber modebewusst, schlichte Eleganz, schmale Silhouette, mit einem Faible für das gewisse Extra, besonders, aber nicht aufgetakelt", sagt er, ohne nachdenken zu müssen.

© Matt Observe/News FÜNF MINUTEN nach dem erstmaligen Treffen kennt der Designer die modischen Vorlieben seines Gegenübers. Schuhe und Brille verraten Redakteurin Lisa Ulrich-Gödel

Wenn Thang de Hoo formuliert, tut er dies stets, ohne zu werten. "Es gibt keinen schlechten Geschmack", betont er. "Eine Dame möchte es puristisch, eine andere hat lieber 50 Meter Stoff am Leib."

Grundlegendes zum großen Auftritt

Fernab von persönlichen Designvorlieben der Kunden beginnt die grundlegende Detailarbeit. Jene Kunst, die ein Kleid zum verlässlichen Verbündeten für eine Ballnacht macht. "Das Kleid muss auch nach Stunden noch perfekt aussehen. Der große Auftritt passiert meistens erst, nachdem die Damen zwei Stunden beim Abendessen gesessen sind. Und dann muss das Kleid immer noch schön sein."

»Die perfekte Passform und das Material entscheiden alles«

Thang de Hoo über die wichtigsten Parameter einer perfekten Ballrobe

Entscheidend dafür sind laut Thang de Hoo zwei Parameter: einerseits die perfekte Passform ("das Allerwichtigste!") und dann ein Material, das solchen Strapazen gewachsen ist. Reine Seide oder Baumwolle würden knittern wie verrückt, warnt der Modeschöpfer: "Duchesse-Satin! Wenn man darin sitzt und aufsteht, sieht es aus wie eine Ziehharmonika!" Eine zeitgemäße Lösung gegen Knitterfalten findet er in recyceltem Polyester. Nachhaltigkeit ist dann doppelt gegeben, denn: "Niemand kauft so ein Kleid nur für eine Nacht."

Das Kleid nochmals tragen?

Erlaubt denn die Etikette ein wiederholtes Tragen bis zur Amortisation? "Natürlich, wenn es zur Persönlichkeit passt, tragen Sie es noch mal auf einem anderen Ball, etwas später, eventuell mit leichter Adaption, Handschuhen etwa." Es hat sich einiges getan diesbezüglich, aber dazu später.

Für Material sowie Verarbeitung gilt es noch, zu bedenken, dass beides strapazierfähig sein muss, trifft die Ballrobe doch meistens auf ungeübte Trägerinnen. "Kaum jemand ist bodenlange Kleider gewöhnt, da steigt man schnell in den Saum, und der muss das aushalten", so der Ballstammgast über Selbstbeobachtetes. Vieltänzerinnen sei noch gesagt, dass sich die Frage des Transpirierens leider nicht über den Stoff lösen lässt: "Den Stoff, in dem weniger geschwitzt wird, gibt es leider nicht."

Tanzen Sie? Und mit wem?

Sind die Punkte persönlicher Stil, Passform und Stoff zufriedenstellend, bleibt als Hürde am Weg zum perfekten Kleid noch die Funktionalität zu überdenken. Fragen sind zu klären, wie: Hat das Kleid Verschlüsse, die am stillen Örtchen geöffnet werden müssen? Sind diese selbstständig zu bedienen? Beim Nein auf die letzte Frage empfiehlt sich, Kleid oder Ballbesuch zu überdenken - oder die Begleitung strategisch zu wählen.

Was der Couturier ebenfalls wissen will: Soll im Kleid getanzt werden? "Wird getanzt, braucht es Beinfreiheit und die Freiheit, die Arme heben zu können", so Thang de Hoo. Sogar die Körpergröße des Tanzpartners will er wissen. "Das ist entscheidend! Hat eine Frau einen Tanzpartner, der wesentlich größer ist, muss sie die Arme viel höher heben. Sonst kann es gefährlich werden."

Planungszeit ein Jahr voraus

Erst mit all diesen Informationen mag man verstehen, warum viele Kundinnen schon wenige Wochen nach dem Opernball mit der Planung ihrer Ballrobe für den nächsten Staatsball beginnen. Thang de Hoo erklärt es detailreich: "Wer jährlich zum Ball geht, achtet darauf, dass sich das Design, die Farben, das Gefühl des Kleides nicht wiederholen. Wer bei mir ein Kleid bestellt, möchte sichergehen, dass nicht jemand anderes es auch trägt. Auch nicht in einer anderen Farbe!" Es empfiehlt sich, als Erste zu wählen.

© Matt Observe/News ATELIER MAL ANDERS. Das Werkzeug Marke Heimwerker ziert neben glänzenden Stoffbahnen und an die Wand gepinnten Entwürfen das Atelier des Couturiers

Der Anfängerfehler

Wenn der Modeschöpfer erzählt, schwingen Humor und Leichtigkeit mit. Seine Art suggeriert, dass er ernst nimmt, was er tut, sich selbst aber nicht zu wichtig nimmt. Sie ermöglicht ihm, vom harten Learning beim ersten Auftrag zu erzählen, als er für ein ultimatives No-Go sorgte, wenn auch aus unverschuldetem Zufall.

Bereits im Jahr 1989, lange vor seinem ersten Opernball-Besuch, schneiderte er für die österreichische Firma Backhausen. "Zwei Abendkleider, Samtbustier mit Georgette-Rock und ein Mantel darüber", weiß er noch genau. "Eines in Blau und eines in Rosé. Beide sind verkauft worden. Eines von mir, eines von Backhausen. Die Damen haben sich dann tatsächlich am Ball getroffen! Sie haben mich geschimpft, aber mir zum Glück verziehen."

In den Jahrzehnten danach zementierte der Wahlwiener, der in Leiden zur Welt kam, seinen Status als einer der besten Couturiers in Sachen Abendkleider und Ballroben, anfangs als Kreativdirektor von Fürnkranz und jahrelanger Chefdesigner von Liska, danach mit eigenem Label. Die nationale und internationale Stammklientel schätzt die schlichte Eleganz, die Thang de Hoos Design prägt, die klaren Linien und unerwarteten Details.

Die DNA seines Designs

Auch der gelassene Umgang mit dem eigenen Ego mag sein Talent ausmachen. "Die Frau ist das Bild und ich mache den Rahmen", sagt er über seine Arbeit. Ob all die Hürden rund um Bewegungsfreiheit, Größe des Tanzpartners und persönliche Vorlieben nicht seinen schöpferischen Prozess einschränken, drängt sich als Frage auf. "Natürlich, aber bei einem erfahrenen Schneider macht das keinen Unterschied. Als Designer ist es meine Aufgabe, eingeschränkt zu werden", sagt er. Zudem fällt es ihm leichter, eine Kollektion unter der Vorgabe "alles weiß" zu entwerfen als ohne Vorgabe. "Sonst bin ich all 'over the place', dann will ich von allem viel."

Eine Eingrenzung kann auch ein Anker sein, beschreibt er. Er sei das Jüngste von fünf Kindern, erklärt er seine Prägung: "Da kannst du zwar laut schreien, aber ich hatte vier Mütter und zwei Väter. Ich habe gelernt, mich anzupassen. Jean Paul Gaultier wollte immer ausbrechen. Dieses Bedürfnis hatte ich nie. So ist die Identität meiner Mode entstanden. Meine DNA." Das Modefach liegt in der Familie. Thang de Hoos Mutter war Strickdesignerin, auch sein Bruder hat ein eigenes Label.

© Matt Observe/News DER DESIGNER UND WIE ER DIE WELT SIEHT. Klare Linien und prägnante Details wurden über Jahrzehnte zum Markenzeichen von Thang de Hoos Designs. "Das ist mein Weg, andere interpretieren Silhouetten anders. Da gibt es keinen schlechten Geschmack, nur verschiedene"

Drei Modestimmen der Zukunft

Seine Erfahrung und Gelassenheit begleiteten den Designer als Juryvorsitzenden des Couture Salons. Dieser Designerwettbewerb brachte drei Gewinnerinnen hervor, die ihre Kreationen beim Opernball anhand von Roben für die Balletttänzerinnen zeigen. Als Vorsitzendem war es ihm wichtig, drei verschiedene Stimmen zu finden. Sein Geschmack war kein Kriterium. Thang de Hoo: "Da ist Contemporary bei Marlen Sabetzer, spannender Layer- Look, verschiedene Materialien und ein Spiel mit dem Taillenansatz und Silhouetten. Bei Maiken Kloser ist alles sonnig, getupft, leichte Stoffe, Kontrapunkte wie Hemdkragen zu Abendkleidern. Alexandra Gogolok-Nagl liebt Moulage, Drapierungskunst, die sie zu großen Kleidern führt, klassisch, aber sehr spannend."

Für die Designerinnen ist es eine wichtige Chance, ihr Können und ihren Namen einem großen Publikum kundig zu machen. Es gilt, das ungeschriebene Gesetz zu durchbrechen, wie Alexandra Gogolok-Nagl meint, dass auf den "Best dressed"- Listen nur Kleider landen, wenn Designer und Trägerin des Kleides beide bekannte Persönlichkeiten sind. Die Schneidermeisterin möchte beweisen, wie der individuelle Stil der Kundin in ihre Designs einfließt und sie zur perfekten Einheit macht. Das mache den Unterschied zwischen Maßschneiderin und Designerin aus.

Marlen Sabetzer tritt mit ihrer Interpretation von Abendkleidern an, die einem "Multiple-Use-Gedanken" folgt, da die Kleider zerlegbar sind und auch in Einzelteile getrennt getragen werden können. Maiken Klosers Kleider sollen Freude und Zeitgeist ausdrücken und das starre Image von klassischen, schweren Ballroben brechen.

Niemand will mehr für Mode leiden

Die Visionen der drei Designerinnen spiegeln eine große Trendwende wider. "Es ist nicht mehr der Opernball von Renate Hirsch-Giacomuzzi, die als Märchenprinzessin im Rokoko die Feststiege emporschritt", merkt Thang de Hoo an. "Üppigkeit ist angesichts weltweiter Krisen nicht mehr zeitgemäß. Man zeigt es nicht mehr offensiv, wenn man Geld hat." Tüll seit tot, so wie Auffallen um jeden Preis, stellt der Modeschöpfer fest. Wer einen Hingucker plant, setzt auf lange Schleppen, wie man sie bei der Met-Gala sieht, aber bloß nicht zu viel Haut.

»Jede Frau will schlanker und größer scheinen. Das richtige Kleid kann das«

Thang de Hoo über die Kunst, die sein Handwerk bestimmt

Kundinnen überlegen eine Botschaft, die ihrer Rolle am Ball entspricht. Dann darf es für die Starkünstlerin des Balles, Elina Garanca, eine größere Robe sein, als dies eine Botschafterin oder Politikerin wünscht. Gemeinsam haben alle, dass praktisch gedacht wird. "Niemand will mehr für den großen Auftritt leiden", sagt der Designer. Formgebende Unterwäsche, auch Spanx genannt, mag für die Silhouette eines Kleides maßgeblich sein, aber auch unbequem.

Die unvorteilhaften Dellen an der Hüfte, die die gewünschte Sanduhr-Silhouette stören, muss der Profi mit Schneiderkunst modellieren: "Ich baue den Modellierfaktor in die Kleider ein, durch Stoff und Schnitttechnik. Jede Frau will schlanker und größer scheinen, und die richtige Robe kann das." Auch der BH kann mitgeplant werden. Bleibt das leidige Thema der Schuhwahl, bei dem der Couturier Entwarnung gibt: "Bitte keine neuen Schuhe mit hohen Absätzen, nur weil sie schön sind! Lieber flachere wählen!"

Strike a Pose!

Auch wer am Red Carpet fotografiert wird, bekommt Instruktionen vom Meister der Ballroben. Thang de Hoo: "Fotografen haben nicht viel Platz und der Winkel verschiebt sich dadurch, aber jeder kann gut aussehen auf einem Foto: Kinn nicht nach vorne strecken, gerade Haltung, linken Fuss nach vorne, leichte Drehung im Oberkörper und, bitte, lange genug stehen bleiben, eineinhalb Sekunden ohne Blinzeln, damit das Foto gemacht werden kann!"

Das hat auch mit Mut zu tun. Den vermisst der Designer hierzulande manchmal. "Ich höre einen Grund, warum ein Kleidungsstück toll ist, und dann kommen oft ein Aber und zehn Gründe, warum es schwierig sein könnte. Ich hätte die Welt gerne lustiger, mutiger, ohne das Aber. Mode soll Lächeln im Gesicht haben. Trag den Paillettenmantel!" Wer plant wie die Ballprofis, dem bleibt ein Jahr, um den Mut dafür zusammenzukratzen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 06/2024 erschienen.