Das Netz der Pharma-Industrie

Acht Covid-Impfexperten der Bundesregierung haben finanzielle Beziehungen zur Industrie. Immer wieder taucht dabei ein Name auf: Pfizer. Bis auf wenige Ausnahmen besteht kaum Interesse an Transparenz. Das betrifft das Gesundheitsministerium ebenso wie den ORF, der ein Lobbying-Event der Pharma-Wirtschaft als "Information" ausstrahlte.

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Pharamaindustrie © Bild: iStockphoto

Ist es automatisch ein Skandal, wenn sich bei Recherchen herausstellt, dass eine Reihe von Mitgliedern des nationalen Impfgremiums Beziehungen zu Unternehmen pflegt, deren Covid-Vakzine bald verpflichtend an die Bevölkerung abgegeben werden sollen? Eher nicht.

Ist es fragwürdig, dass weder das Gesundheitsministerium noch die Mehrheit der Experten eben diese Beziehungen der Bevölkerung wahrnehmbar zur Verfügung stellen wollen? Vermutlich schon.

Die fehlende Transparenz schlägt sich derzeit unmittelbar in einer der niedrigsten Impfquoten Westeuropas nieder. Und im zunehmenden Misstrauen gegenüber Entscheidungen. Zehntausende Menschen protestierten auf den Straßen. Genau 182.323 schickten Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen für die allgemeine Impfpflicht. Viele Bürger fragen sich: Enthält man uns etwas vor? Welche Beziehungen bestehen zwischen der pharmazeutischen Industrie auf der einen, Experten, Regierung und Medien auf der anderen Seite?

Experten mit Pfizer-Verbindungen

Über den Zeitraum von mehreren Wochen ging News für den vorliegenden Beitrag diesen Frage nach, suchte nach Verbindungen und möglichen Interessenkonflikten der Experten der Bundesregierung. Wir durchsuchten Datenbanken und unser eigenes Archiv, kontaktierten 32 Fachleute aus dem nationalen Impfgremium (NIG), dem angegliederten Safety Board und Personen, die sich regelmäßig in Medien zur Covid-Impfung äußern. Obwohl kaum jemand antwortete, bleibt folgendes Fazit: Das Netzwerk ist durchaus dicht.

Acht Fälle betreffen Experten, die an der Entwicklung der österreichischen Impf-Strategie gegen Covid-19 mitwirkten. Sie haben Verbindungen zu Herstellern entsprechender Produkte. Fast immer betrifft das Beziehungen zu einem Unternehmen: Pfizer. Vereinzelt kommen auch andere hinzu. Zwar sind diese Verbindungen behördenintern bekannt, Bevölkerung und Parlament erfahren davon jedoch nichts. So entsteht hierzulande ein fruchtbarer Boden für das Gedeihen von Misstrauen, Ablehnung und: Verschwörungstheorien.

"Niveau von Rumänien"

Das Vertrauen in die österreichische Bundesregierung und ihr Pandemie-Management ist schwer angeschlagen. "Wir haben das Niveau von Rumänien erreicht", urteilte Meinungsforscher Günther Ogris kurz vor Weihnachten. Die Analyse des SORA- Chefs beruht auf den Ergebnissen des jüngsten "Demokratiemonitors" des Instituts. Die regelmäßig durchgeführte Umfrage zeigt jedoch noch ein anderes, für die Suche nach den Gründen für die Vertrauenskrise wichtiges, Detail: Etwa zwei Drittel der Bevölkerung wünschen sich nämlich mehr Transparenz.

Transparenz, die kaum gelebt wird. Auf Seiten von Bundesregierung und Behörden, aber auch auf Seiten mancher Medien. Und dies in einer Zeit, in der die Dienste der pharmazeutischen Industrie gefragt sind wie nie zuvor. Einer Industrie, die sich im Lauf der vergangenen Jahre selbst redlich um Eigenerklärung bemühte, über die in der öffentlichen Debatte dennoch oft vorschnell und unsachlich negativ geurteilt wird. Und über die letztlich trotzdem immer wieder Details ans Licht kommen, die eben diese Vorurteile begründbar machen. Manchmal selbst verschuldet, manchmal wegen des Verhaltens Dritter.

ORF streamte Lobbying-Event

Das betrifft -zum Beispiel -Beiträge in Medien. Unter dem Titel "Information: CoV-Impfung bei Kindern" übertrug der ORF eine Pressekonferenz live auf seiner Internetplattform. Was die Zuseher nicht erfuhren: Ausgerichtet und moderiert wurde die Veranstaltung von einer international engagierten Lobbyistin der pharmazeutischen Industrie, die gleichzeitig Führungskraft des Unternehmens Pfizer in Österreich ist. Also von einer Mitarbeiterin jener Firma, die gemeinsam mit dem deutschen Unternehmen BioNTech den Covid-Impfstoff Comirnaty herstellt.

Pfizer hat inzwischen fast doppelt so viele Dosen dieses Produkts nach Österreich geliefert wie alle anderen Hersteller von zugelassenen Covid-Vakzinen zusammen. Für die Bundesregierung und ihre Experten wurde Comirnaty binnen weniger Monate zum bevorzugten Covid-Impfstoff und Quasi-Monopolisten.

Deutschland macht es vor

Verlassen wir zunächst Österreich und richten den Blick nach Deutschland. Wie man anders, also für die Bevölkerung transparent und möglichst glaubwürdig, über die Covid-Impfung und Entscheidungen dazu informieren kann, sieht man am Campus der Universitätsklinik Charité. Dort, mitten in Berlin, steht das Robert Koch-Institut der Bundesregierung. Dem RKI angegliedert ist die "Ständige Impfkommission"(STIKO). Eben diese Kommission legt in ihrem Selbstverständnis großen Wert auf Glaubwürdigkeit. Aus diesem Grund veröffentlicht sie auf ihrer Webseite ausführlich die Interessenlagen aller 18 Mitglieder. Was bedeutet das?

Vor der Berufung in die STIKO müssen die Experten schriftlich festhalten, welche finanziellen Verbindungen sie zur pharmazeutischen Industrie hatten und haben. Das reicht von Beratungsleistungen, Gutachten und bezahlten Vorträgen bis hin zu Studien und Aufsichtsratsmandaten. Betreffen die Verbindungen die Hersteller von Impfstoffen, sind Anlass und Geldfluss zehn Jahre rückwirkend zu nennen. Alle Verbindungen, aus denen sich der Anschein einer Befangenheit ergeben kann, werden in den Profilen der einzelnen Mitglieder für jedermann und weltweit einsehbar veröffentlicht. Und in Österreich?

Wiener Geheimnisse

Im Vergleich zur STIKO erscheint das Gegenstück im Wiener Gesundheitsministerium, das nationale Impfgremium (NIG), Bürgern wie eine geschlossene Veranstaltung. Zwar müssen die Mitglieder des NIG und des angegliederten Safety Boards (diese Arbeitsgruppe befasst sich mit unerwünschten Impf-Nebenwirkungen) dem Ministerium ihre finanziellen Beziehungen zur Industrie offenlegen. Die von den Empfehlungen der Gruppe Betroffenen, die die Hunderte Millionen Euro teuren Bestellungen von Vakzinen und Medikamenten bezahlen, wissen davon jedoch nichts. Zumindest bisher nicht.

Auf der Homepage des Ressorts erfährt der Souverän lediglich die Namen der Mitglieder des NIG. Im Kleingedruckten der Geschäftsordnung steht zwar, dass die Erklärungen der NIG-Experten bei dem oder der Vorsitzenden des Gremiums "nach Terminvereinbarung" und "gegebenenfalls" eingesehen werden dürfen. Welches Bürgerrecht auf Auskunft sich aus "gegebenenfalls" ableitet, und wer das Gremium für das Ministerium überhaupt führt, darüber informiert das Ressort jedoch nicht auf seiner Homepage. Eine Telefonnummer zur Terminvergabe ist ebenfalls nicht veröffentlicht. Es scheint fast so, als ob der Passus nichts wert wäre. Folgende Ereignisse verstärken den Eindruck.

Zunächst versuchten es bereits vergangenen Sommer mehrere Nationalratsabgeordnete der Freiheitlichen ohne persönlichen Termin. Sie fragten Wolfgang Mückstein nach Namen und Unternehmen. Mücksteins Antwort war allgemein, enthielt keine Details. Er verwies nur darauf, dass ein Verschweigen finanzieller Verbindungen zum Ausschluss aus dem NIG führen würde. Doch um Verschweigen gegenüber Behörden geht es gar nicht. Es geht um die Transparenz von Politikern und Behörden gegenüber der Bevölkerung.

Ende November begann deshalb News mit der Recherche. Dafür kontaktierten wir knapp drei Dutzend Experten, darunter Regierungsberater von NIG und Safety Board, fragten nach finanziellen Verbindungen zu Unternehmen, die zugelassene (bzw. in Zulassung befindliche) Impfstoffe oder Medikamente gegen Covid-19 herstellen. Und ob diese Verbindungen sie in ihrer Arbeit für die Republik beeinflussen.

Zwei von 32 informieren

Von 32 Befragten antworteten uns zwei von außerhalb des Ministeriums: der Tropenmediziner Herwig Kollaritsch und der Infektiologe Marton Széll. Von innerhalb des Beamtenapparats kamen zwei weitere Antworten, nämlich von Katharina Reich, Leiterin der Sektion Öffentliche Gesundheit, und Maria Paulke-Korinek, Leiterin der Abteilung für Impfwesen. Beide verwendeten den wortgleichen Antworttext, den uns einige Tage später eine Mitarbeiterin aus dem Büro von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein ein weiteres Mal zusandte. Buchstäblich einstimmig hieß es darin: "Kein Mitglied des Nationalen Impfgremiums oder Safety Board im Nationalen Impfgremium hat Interessenkonflikte, die eine Befangenheit vermuten lassen." Nähere Informationen gab es nicht.

Doch die pauschale Feststellung, dass bei den Experten von Impfgremium und Safety Board Interessenkonflikte nicht einmal zu vermuten seien, erstaunt. Zur Einordnung der auch auf der NIG-Homepage nachzulesenden Aussage hilft erneut ein Seitenblick auf die deutsche STIKO und ihre Mitglieder. Oder, genauer, auf Ursula Wiedermann-Schmidt.

Befangen in Berlin, sauber in Wien?

Die Professorin für Vakzinologie leitet an der Med-Uni Wien das Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin. Seit 2005 sitzt sie als Expertin im Nationalen Impfgremium in Wien, seit Frühling 2020 zusätzlich in der STIKO in Berlin. Und während Wien bei all seinen Mitgliedern eine Befangenheit nicht einmal vermutet, listet die STIKO bei Wiedermann-Schmidt sieben Interessenkonflikte auf, "die den Anschein einer Befangenheit begründen" und laut Geschäftsordnung zum Ausschluss von Beratungspunkten führen, die eben diese Verbindungen berühren. Zwei der genannten betreffen Studien, die von Pfizer bezahlt wurden.

Da Wiedermann-Schmidt in ihrer Funktion sowohl die österreichische als auch die deutsche Transparenzkultur kennt, ersuchten wir sie um ihre Einschätzung, warum Interessenkonflikte hierzulande von den Behörden fundamental anders bewertet werden. Sie reagierte - wie die meisten anderen -nicht auf unsere Anfrage.

Zu tun haben könnte das auch damit, dass Wissenschaftler und Experten in der Vergangenheit mehrfach auch unsachlicher Kritik und sogar unverhohlenen Drohungen ausgesetzt waren. Viele sind vorsichtig geworden. Wiedermann-Schmidt zum Beispiel wurde recht unverblümt Korruption unterstellt. Absender der Botschaft war die FPÖ, die sie in Presseaussendungen und in einem Video angriff.

Warum das Gesundheitsministerium der Bevölkerung, dem Parlament und Medien die Interessenkonflikte seiner Berater partout nicht nennen will, ist unklar. Jedenfalls entspricht es nicht den innerhalb der Wissenschaftsgemeinde üblichen Standards. Und es fördert nicht das Vertrauen in die Empfehlungen des ehrenamtlich arbeitenden Gremiums, die durch die anschließenden Verordnungen des Ministers Auswirkungen auf fast neun Millionen Bürger haben.

"Kulturproblem in Österreich"

Dabei verstehen viele Wissenschaftler die schonungslose Offenlegung möglicher Interessenkonflikte selbst als eine wirksame Form von Eigenschutz. Diesen Eindruck vermittelten uns zumindest jene, die unsere Fragen beantworteten: Herwig Kollaritsch und Marton Széll.

"Offenbar gibt es ein Kulturproblem in Österreich", vermutet Széll, der dem Ministerium einen sogenannten "Conflict of Interest" wegen einer Einladung durch die Firma Pfizer gemeldet hat. Und dies, obwohl gar nicht er, sondern eigentlich sein Arbeitgeber, ein Wiener Spitalbetreiber, zu einem Kongress eingeladen war.

Szélls NIG-Kollege Herwig Kollaritsch spricht seine Gedanken zum Thema noch deutlicher aus. Er hat viele Jahrzehnte Erfahrung in der Branche und sagt von sich selbst, mit praktisch allen großen Unternehmen zusammengearbeitet zu haben.

Das ginge auch gar nicht anders, denn die Entwicklung von Impfstoffen sei immens teuer und mit hohem kaufmännischen Risiken behaftet. Allein bei den bekannten Covid-Präparaten müsse man mit Kosten von jenseits einer Milliarde Euro rechnen.

Hohe Marktkonzentration

Weil aber die Entwicklung von Impfstoffen teuer sei, hätten sich im Laufe der Jahre auch immer mehr Unternehmen aus diesem Teilsegment der Pharma-Wirtschaft zurückgezogen. Zurückgeblieben seien - neben Spezialanbietern -die großen vier: GlaxoSmithKline (GSK), Merck (MSD), Johnson &Johnson und: Pfizer.

Kollaritsch sagt: "Warum also sollte niemand wissen, dass es ohne Geld aus der Industrie nicht mehr geht? Ich habe deshalb auf einem Mehrseiter meine Interessen bekanntgegeben. Dass die Offenlegung nicht auf der Homepage des Ministeriums erscheint, macht keinen schlanken Fuß."

Prominente Namen und Firmen

Neben Kollaritsch und Széll, die als einzige unsere Fragen beantworteten, recherchierten wir bei weiteren Mitgliedern von NIG, Safety Board und Beraterstab finanzielle Verbindungen zu Impfstoffherstellern. Zusätzlich zu Ursula Wiedermann-Schmidt sind das:

Heinz Burgmann: Vortragstätigkeit für Pfizer. Heidemarie Holzmann und Eva Puchhammer-Stöckl: redaktionelle Verantwortung für das Fachblatt "Virusepidemiologische Information", das drei Jahre lang von Pfizer unterstützt wurde. Florian Thalhammer: Vorträge, Beratungen und Forschung für AstraZeneca, Johnson & Johnson, Pfizer. Markus Zeitlinger: Studien an der Meduni Wien, die von Pfizer finanziert wurden.

Bemerkenswert an der Geheimniskrämerei des Ministeriums und der meisten seiner Experten ist: Sogar die Industrie spielt diesbezüglich längst mit offenen Karten. Soweit die Empfänger von Förderungen, Spenden, Aufträgen und Einladungen ihr Einverständnis dazu geben. Wir kontaktierten Pfizer Österreich.Dort teilte man uns mit, dass man seit dem Jahr 2016 "alle geldwerten Leistungen an Angehörige und Institutionen der Fachkreise" offenlege. Im Bericht für das Jahr 2020 ist dafür die Summe von 31,1 Millionen Euro ausgewiesen. Den Rahmen dafür bildet ein Regelwerk, das sich die Industrie durch europäische (EFPIA) und heimische Verbände (Pharmig) selbst auferlegt hat.

Allerdings hat die Transparenzoffensive auch einen Haken. Mit Namen veröffentlicht werden bedachte Personen und Institute nämlich nur, wenn diese der Nennung ausdrücklich zustimmen. Vor fünf Jahren überprüften Journalisten von ORF, "Der Standard" und Correctiv, wie viele das wirklich taten. Ergebnis: Nur 20 Prozent der ausbezahlten Gelder konnten tatsächlich auch zugeordnet werden. Dennoch: Am Ende bleibt der Eindruck, dass die Industrie stärker um Transparenz bemüht ist als Regierung, Behörden und Experten.

"Nicht vertrauensfördernd"

Das gilt übrigens auch für den Bereich der privaten und pharmafinanzierten Weiterbildung. Karl Eugen Buresch ist so ein Anbieter. Seit 14 Jahren betreibt er im niederösterreichischen Kottingbrunn das Unternehmen Medical Dialogue. Spätestens seit Beginn der Covid-Pandemie ist eine Plattform für medizinisches E-Learning sein bekanntestes Produkt. Unter infektiologie. co.at hält das Who's who der heimischen Corona-Experten Vorträge für Ärzte. Bezahlt wird das Angebot mit Sponsorengeldern der Impfstoffhersteller. Zuletzt organisierte Buresch den "1. Österreichischen E-Impfkongress", finanziert von GSK, Johnson &Johnson, Merck, Sanofi und: Pfizer.

Von den Vortragenden verlangt Buresch, dass sie vor Beginn der Referate ihre Interessenkonflikte offenlegen. Im Gespräch erzählt er, dass er es für "sehr patschert" halte, dass ausgerechnet das Gesundheitsministerium nicht offenlege, welche Interessenkonflikte seine Berater hätten. "Das ist nicht vertrauensfördernd."

Kritik vom Compliance-Experten

Womit wir wieder beim Problemfeld Vertrauen wären. Bisher war es unüblich, dass sich Wissenschaftler gegenüber der Öffentlichkeit erklärten. Spätestens mit Beginn der Pandemie änderten sich jedoch die Rahmenbedingungen. Sprachen Virologen und Vakzinologen vor der Coronakrise unter sich, sind die Adressaten ihrer Analyse nun plötzlich alle Bürger.

Wie aber bewerten Experten für Compliance und Antikorruption die Geheimniskrämerei um die Verbindungen der Berater der Bundesregierung zur Industrie? Wir baten Martin Kreutner um seine Meinung. Kreutner war Leiter einer Antikorruptionseinheit der Polizei, wechselte in die Wissenschaft, war Mitgründer der Anti-Korruptionsakademie im niederösterreichischen Laxenburg und ist heute selbstständiger Berater und Vortragender zum Thema. Ganz bewusst nannten wir ihm keine Namen, sondern beschrieben ihm nur Rahmenbedingungen. Er sagt: "Gerade weil die Situation so aufgeladen ist, hätte die Politik die Verpflichtung, gemeldete Interessenkonflikte offenzulegen." Rechtsverbindlich sei dies nicht. Allerdings mache genau das, nämlich auch unverbindliche Verhaltensregeln, ein gutes Compliance-System aus. Wie mögliche Unvereinbarkeiten für die Bürger einsehbar gemacht werden sollen, dafür gebe es mehrere Wege. Zum Beispiel auf der Website des jeweiligen Gremiums.

So, wie es zum Beispiel die deutsche STIKO tut und das österreichische NIG nicht. "Eine andere Variante wäre, die Interessenkonflikte der Sitzungsteilnehmer am Ende des jeweiligen Schlussdokuments anzuführen", sagt Kreutner. Dann könne jeder die vorgelegte Empfehlung oder Entscheidung selbst einordnen.

Das wäre ein Weg, den auch das britische Gegenstück zum Nationalen Impfgremium, das JCVI (Joint Committee on Vaccination and Immunisation) geht. Auf dessen Webseite informiert die Regierung über die Conflicts of Interest der Mitglieder -und stellt die Sitzungsprotokolle zur Verfügung. Darin erfährt man, dass Andrew Pollard, Professor an der Universität Oxford und eigentlich Vorsitzender des JCVI, für alle Zusammenkünfte betreffend Covid-19-Vakzine seine Funktion zurückgelegt hat. Warum? Er war mit seinem Institut an jenen klinischen Studien beteiligt, die letztlich zur Entwicklung des Vakzins des schwedisch-britischen Pharma-Unternehmens AstraZeneca führten.

Die undurchsichtige Gemengelage betrifft in Österreich jedoch nicht nur die Beziehung zwischen Politik, Wissenschaft und Bevölkerung. Sie betrifft auch Medien. Ein exemplarischer Fall ereignete sich am 14. Dezember. Der ORF übertrug am Vormittag im Internet 54 Minuten und 33 Sekunden lang live eine Pressekonferenz mit dem Titel: "CoV-Impfung bei Kindern". Im Stil der Pressekonferenzen der Bundesregierung sprachen vor einem Plakat mit der schwer lesbaren Abkürzung "ÖVIH" eine Moderatorin und mehrere Experten. Alle argumentierten, warum eine Impfung für Kinder ab fünf Jahren sinnvoll sei.

Der ORF und die Pharma-Lobbyisten

Hinter dem Kürzel "ÖVIH" steht der Verband der österreichischen Impfstoffhersteller. Dieser wird -unter anderem - von den Covid-Impfstoff-Herstellern Astra-Zeneca, Johnson &Johnson, Moderna und Pfizer finanziert. Die Moderatorin der live gestreamten Pressekonferenz stellte sich den ORF-Zusehern nur mit ihrem Namen vor: Renée Gallo-Daniel. Unerwähnt blieb, dass sie Führungskraft bei Pfizer ist. Vor sieben Jahren übernahm sie die Führung der Vakzin-Sparte in Österreich, wurde dann Senior Public Affairs Manager und hat seit 2020 eine tragende Rolle bei Vaccines Europe (VE) in Brüssel. Im Lobbying-Register der EU sind die Ziele der Organisation offengelegt: "Förderung eines günstigen politischen Klimas zugunsten der Vakzin-Industrie".

"Journalistische Kriterien"

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk argumentierte die Übernahme der von Lobbyisten ausgerichteten Pressekonferenz in sein auch durch Gebühren mitfinanziertes Onlineprogramm so: "Die ORF-TVthek bietet als Zusatzservice unkommentierte Livestreams. Die thematische Auswahl dieser von der APA angebotenen Livestreams erfolgt nach journalistischen Kriterien. Rechtliche Voraussetzung für diese 'Live Spezial'-Streams ist Berichterstattung im linearen TV. Diese ist beim gegenständlichen Pressegespräch mit einer Meldung in der 'ZIB 13' erfolgt."

In besagter "ZIB 13" vom 14. Dezember erschien tatsächlich ein Beitrag, in dem Ausschnitte aus der Lobbying-PK verwendet wurden. In der Anmoderation hieß es: "Ab morgen gibt es an Österreichs Impfstraßen den Covid-19-Kinderimpfstoff." Produzent dieses Impfstoffs: Pfizer.