"Sie werden sehen, dass Wien sehr günstig liegt"

Der Wiener Landeshauptmann Michael Ludwig weist den Vorwurf zurück, dass er die Menschen in seiner Stadt in Zeiten wie diesen zu sehr belastet.

von Michael Ludwig, Wiens Bürgermeister © Bild: Ricardo Herrgott/News

Die Bundes-SPÖ fordert von der Bundesregierung einen Teuerungsstopp, parallel dazu zieht die Wiener SPÖ gerade die Erhöhung der Gebühren für Wasser, Kanal und Müll durch. Warum?
Wir haben 2007 ein Valorisierungsgesetz beschlossen. Der Hintergrund war und ist, dass wir die Gebühren anpassen an die Inflation und nicht höher. Von daher soll es zu keinen übertriebenen Gebühren und Steigerungen kommen, sondern immer entlang der Inflationsrate. Wir haben jedoch schon vor den jetzigen Gebührenanpassungen die Wiener Energieunterstützung auf den Weg gebracht - als erste Gebietskörperschaft überhaupt. Mittlerweile haben mehr als 200.000 Haushalte 200 bzw. Alleinerzieherinnen 300 Euro überwiesen bekommen. Bis weit in den Mittelstand hinein gibt es die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen um entsprechend der hohen Inflation bzw. der hohen Energiepreise eine entsprechende finanzielle Abgeltung zu bekommen.

Begründet wird die Erhöhung damit, dass das hohe Qualitätsniveau gehalten werden muss. Ist es wirklich so, dass, wenn man die Gebühren nicht erhöht, die Qualität etwa bei der Müllabfuhr leidet?
Ja, selbstverständlich. Und das gilt nicht nur für Wien. Viele haben entweder schon oder werden alle mit Sicherheit erhöhen. Es ist nur eine Frage des Zeitpunktes und in welcher Höhe. Wir sind der Überzeugung, dass es besser ist - unabhängig von Wahlterminen - immer entsprechend einer genauen Festlegung bei der Inflation eine Gebührenanpassung vorzunehmen. Wir können in einigen Monaten einen Vergleich der Gebühren zu anderen Landeshauptstädten machen und auch im internationalen Vergleich. Sie werden sehen, dass Wien für die Bevölkerung sehr günstig liegt.

Michael Ludwig, Wiens Bürgermeister
© Ricardo Herrgott/News Michael Ludwig
Der Historiker und Politikwissenschaftler war zunächst in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Karriere in der Politik begann der heute 61-Jährige 1994 als Bezirksrat in Floridsdorf, ab 1996 war er Abgeordneter im Bundesrat, ab 1999 im Wiener Landtag und Gemeinderat. 2007 wechselte Ludwig als Wohnbaustadtrat in die Wiener Regierung, seit 2018 ist er Bürgermeister.

Wie kommt die Preiserhöhung bei Fernwärme von 92 Prozent zustande? Die Salzburg AG wird ihre Preise um 28 Prozent anheben.
Die Frage ist, ob man einmal oder in mehreren Tranchen erhöht. Wenn man sich in einem längeren Zeitraum die Erhöhungen anschaut, wird man sehen, dass es keine dramatischen Unterschiede geben wird - mit Ausnahme dort, wo Energieanbieter einen günstigeren Energiemix haben, wie zum Beispiel im Verbund. Hier gibt es lang abgeschriebene Wasserkraftwerke, die zu einem anderen Kostenmix führen als in Wien, wo sehr viel Gas verwendet wird und wo lange Zeit Gas günstig war - und wir aus diesem Grund über lange Zeit nicht erhöht haben. Durch den stark steigenden Gaspreis ist Wien Energie stärker gefordert als andere Energieanbieter.

"Die Preise müssen runter", plakatiert die SPÖ-Chefin. In Wien passiert das Gegenteil. Die SPÖ-Chefin fordert Preisdeckel für die Energieversorger, Wien Energie erhöht die Preise für Fernwärme drastisch. Wer soll dieser Erzählung noch folgen können?
Die Forderung von Pamela Rendi-Wagner, dass es einen Preisdeckel geben soll, ist voll zu unterstützen. Es liegen unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch und das war auch der Grund, warum ich einen Preisgipfel gefordert habe. Der hat auch stattgefunden, allerdings ohne Ergebnis. Sinnvoll wäre, die unterschiedlichen Vorschläge, die es zu diesem Thema gibt, zu analysieren und zu einer Entscheidung zu kommen. Da ist die Bundesregierung gefordert. Denn weder eine Stadt, eine Gemeinde oder ein Bundesland kann sich völlig aus der Preisentwicklung abkoppeln. Es wird notwendig sein, eine bundeseinheitliche Lösung zu treffen.

Zuletzt forderte die SPÖ, bundesweit die Mieten einzufrieren und Mietzinserhöhungen rückgängig zu machen. Erst im April stieg aber in Wien der Richtwert in Altbauwohnungen -auch in rund 80.000 von 220.000 Gemeindewohnungen. Warum setzt die SPÖ nicht dort aus, wo sie kann?
Wenn es eine Änderung des Bundesgesetzes gibt, würden wir das natürlich tun. Wenn das gewünscht ist -und das ist sicher eine Möglichkeit, preisdämpfend zu wirken -, dann wird es notwendig sein, hier den Bundesgesetzgeber dazu zu bringen, zu einer entsprechenden Regelung zu kommen.

Rechnen Sie mit Straßenprotesten im Herbst?
Es ist natürlich eine sehr starke Belastung für jeden und jede Einzelne, für die Haushalte und natürlich für die Budgets. Von daher wird es notwendig sein, dass wir Rahmenbedingungen setzen, um die Herausforderungen, die jetzt auf uns zukommen, gemeinsam so zu meistern, dass die Menschen möglichst wenig beeinträchtigt werden. Dass das ohne Beeinträchtigung über die Bühne geht, glaubt niemand. Meine Aufgabe als Wiener Bürgermeister ist es, vor allem jene zu schützen, die wirtschaftlich jetzt schon unter Druck sind.

Kann man das Spiel mit Einmalzahlungen ewig fortsetzen? Ein Ende der Teuerung ist nicht in Sicht ...
Wir haben uns in Wien vorgenommen, im Rahmen unserer Möglichkeiten auch weitere Unterstützungen für die Wiener Bevölkerung anzusetzen.

»Für den Herbst werden wir weitere Maßnahmen setzen«

Zeitnah?
Ja, natürlich. Für den Herbst, also für das vierte Quartal, werden wir weitere Maßnahmen setzen. Die muss man jetzt schon auf den Weg bringen, denn alles, was größere Summen betrifft, muss entsprechend beschlossen werden.

In welche Richtung?
Das hängt von der weiteren Entwicklung ab. Wir sind aber nur Co-Pilot in dieser Entwicklung. Wir wollen die Haushalte, soweit es möglich ist, schützen und Maßnahmen setzen, um den Standort und den Arbeitsmarkt zu stabilisieren.

Das Geld muss woanders eingespart werden?
Das ist der Grund, dass wir hier sehr vorsichtig sind, aber trotzdem bestimmt. Wir unterstützen vor allem jene Gruppen, die wirtschaftlich unter Druck sind. Sonstige budgetäre Vorstellungen kommen jetzt natürlich etwas durcheinander. Aber prinzipiell machen wir das mit Augenmaß.

Also in der Endkonsequenz keine Schließung von Schwimmbädern?
Das zeichnet sich derzeit nicht ab, weil wir die Infrastruktur aufrechterhalten wollen, wohlwissend, dass das eine Spirale abwärts ist. Beginnt man damit, bei der Infrastruktur einzusparen, hat das natürlich starke Auswirkungen. Wo wir sparen wollen, ist im Energieverbrauch. Das werden wir in den nächsten Monaten verstärken. Im Rahmen unserer Möglichkeiten werden die alternativen Energieformen forciert. Jetzt mit erhöhter Geschwindigkeit. Wir haben einen Energie-Fahrplan beschlossen und eine Smart-Klima-City Strategie. Da sind wir im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Ziel ist es, in den nächsten Jahren pro Jahr Fotovoltaikanlagen in der Größenordnung von 100 Fußballfeldern zu eröffnen, die Geothermie zu forcieren, und wir werden eine der größten Wärmepumpen Europas realisieren, um mit der Wärme vom Abwasser etwa 110.000 Haushalte mit Energie zu beliefern. Da sind wir bereit, viel Geld zu investieren.

Gibt es auch Leute - Stichwort Fachkräftemangel -, die das umsetzen?
Das ist ein Thema. Insgesamt gibt es einen starken Bedarf an Fachkräften. Das hat viele Gründe und liegt auch in der demografischen Entwicklung. Wir kooperieren stark mit den Sozialpartnern und dem AMS Wien, um Menschen zu unterstützen, die in diese Fachbereiche beruflich eintreten. Ich bin zuversichtlich, dass wir in relativ kurzer Zeit den notwendigen Bedarf decken werden.

Stehen Sie hinter dem 5-Punkte-Plan der SPÖ? Finden Sie den Spritpreisdeckel gut?
Es gibt viele Vorschläge. Es wäre wichtig, dass diese Vorschläge von der Bundesregierung nicht nur sortiert werden. Ich fordere jetzt schon seit Wochen, dass die Bundesregierung Maßnahmen plant. Es ist notwendig, jetzt etwas in die Umsetzung zu bringen. Es muss ein in sich geschlossenes Paket sein. Länder und Gemeinden müssen in diese Entscheidungen eingebunden werden.

Michael Ludwig, Wiens Bürgermeister
© Ricardo Herrgott/News Michael Ludwig

Aber Spritpreisdeckel finden Sie eine sinnvolle Sache?
Es gibt sicher Maßnahmen, die noch unmittelbarer und stärker greifen. Das muss dann ein Gesamtpaket sein.

Welche Maßnahmen wären das zum Beispiel?
Ein Preisdeckel im Bereich der Energie. Das wäre mit Sicherheit eine der derzeit wichtigsten Maßnahmen mit Auswirkungen auf die Haushalte, aber auch auf den Wirtschaftsstandort und auf den Arbeitsmarkt.

Ein Deckel für die Preise oder ein Deckel, wo ein Grundbetrag gestützt wird und darüber hinaus muss der Marktpreis gezahlt werden? Oder Hauptsache ein Deckel?
Die Frage wird sein, wie hoch der Prozentsatz ist, der gestützt wird, und ab welchem Prozentsatz dann die Haushalte selbst dafür finanziell herangezogen werden. Da geht es nicht nur um die budgetäre Abdeckung, sondern um die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine Überförderung eintreten würde, wenn auch andere Sozialleistungen notwendigerweise ergänzend gesetzt werden. Von daher müsste jetzt die Bundesregierung einen Vorschlag machen, den man dann auch mit den Ländern, Städten und Gemeinden diskutiert.

In Österreich fremdelt man mit der Ehrlichkeit. Im Zweifel wird noch ein Gutschein auf den Tisch gelegt, wohlwissend, dass man nicht alle finanziellen Zumutungen ersparen kann. Glauben Sie, dass es den Menschen in drei Monaten gleich gut geht wie jetzt?
Mir kann man nicht vorwerfen, nicht mit großer Ehrlichkeit an die Öffentlichkeit zu treten. Ich bin optimistisch, dass man auch schwierige Zeiten gemeinsam löst, wenn man an einem Strang zieht. So habe ich mich während der Coronakrise immer für ein bundesweites Vorgehen ausgesprochen, und das gilt auch jetzt in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Es ist ja nicht so, dass es allgemein eine wirtschaftlich schwierige Situation gibt. Viele Branchen haben sehr gute Umsätze. Man muss jetzt mit dieser importierten Inflation, die vor allem durch die Energiepreise getrieben ist, umgehen. Das ist eine große Herausforderung, aber machbar.

Sind Sie dafür, bei den Pensionen über das gesetzliche Maß hinauszugehen?
Die Pensionistinnen und Pensionisten sind jetzt sicher in einer besonderen Art und Weise gefordert. Es wird notwendig sein, dass wir zum einen bei den Kollektivvertragsverhandlungen entsprechende Vorkehrungen treffen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer höhere Einkommen haben, um die höheren Ausgaben abdecken zu können. Und das gilt in gleicher Weise für Pensionistinnen und Pensionisten, insbesondere für jene mit einer geringeren Pension. Von daher wird man da besonders darauf achten müssen, dass es hier nicht zu einer Altersarmut kommt und dass Menschen, die Pension beziehen, hier nicht zusätzlich unter Druck kommen.

Also jedenfalls über das bestehende Modell hinaus?
Der Unterschied liegt darin, dass man sich anschaut, wie sich die überdurchschnittlich hohe Inflation entwickelt. Berechnet man das nur an der vergangenen Inflation oder berechnet man die rollierende Inflation mit ein? Das ist eine Situation, die wir jetzt mehr als 40 Jahre nicht gewohnt waren. Eine neue Situation wird auch neue Maßnahmen erfordern. Von daher bin ich dafür, die berechtigten Anliegen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber auch der Pensionistinnen und Pensionisten entsprechend zu berücksichtigen.

Finanziell gehen sich alle Wünsche aus?
Insbesondere für jene, die wirtschaftlich unter Druck sind - das sind nicht alle, aber viele. Viele Pensionistinnen und Pensionisten geben das Geld auch wieder aus. Also von daher ist das auch ein Teil der Stärkung des Wirtschaftsstandorts. Der private Konsum hat uns ja in den letzten Jahren in Österreich dabei geholfen, Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu stabilisieren.

Zurück zur SPÖ. Einen geschlossenen Eindruck vermittelt diese nicht. Es gibt den Landeshauptmann vom Burgenland mit seinen Ideen. Es gibt die Parteichefin. Und dann gibt es noch Wien. Was bekomme ich am Ende, wenn ich SPÖ wähle?
Im Vergleich zu allen anderen Parteien, die derzeit in der politischen Landschaft tätig sind, würde ich behaupten, dass die Sozialdemokratie die Partei ist, die am geschlossensten agiert. Dass es unterschiedliche Persönlichkeiten gibt, finde ich gut. Ich unterstütze auf Bundesebene die Parteivorsitzende, die gezeigt hat, dass sie in einer schwierigen Situation die Sozialdemokratie gut anführt. Das zeigt sich auch in den Meinungsumfragen, wo die SPÖ bei rund 30 Prozent liegt.

»Ich kann mich nicht erinnern, dass eine Oppositionsführerin vor dem amtierenden Bundeskanzler gelegen ist«

Der aktuelle APA-OGM Vertrauensindex zeigt: Das Vertrauen in die heimische Politik sinkt -und reißt alle mit. Pamela Rendi-Wagner verliert fünf Punkte und stürzt auf ein Minus von elf ab. Gleichzeitig liegt die SPÖ in der Sonntagsfrage zwischen 29 und 31 Prozent. Wie passt das zusammen?
Ich kann mich nicht erinnern, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine Oppositionsführerin im Ranking vor dem amtierenden Bundeskanzler gelegen ist. Sie liegt an der Spitze im Vergleich zu den anderen.

... denen es noch schlechter geht.
Dass es schwierige Zeiten mit sich überlagernden Krisen sind, ist allen bewusst. Man traut ihr zu, nicht nur die Partei, sondern auch das Land zu führen.

Also keine Obfrau-Debatte in nächster Zeit?
Die hat es für mich nicht gegeben. Es wird immer wieder unterschiedliche Meinungen geben. Aber im Unterschied zu anderen Parteien gibt es bei uns keine Debatte.

Ihr Finanzstadtrat hält nichts von Neuwahlen. Die SPÖ-Chefin würde am liebsten sofort in Neuwahlen gehen. Was will der Wiener Bürgermeister?
Die Bundesregierung liegt in den Meinungsumfragen zwischen 30 und 35 Prozent -und zwar beide gemeinsam. Das Vertrauen der Bevölkerung in diese Regierung schwindet. Beide Parteien sind offensichtlich so stark aneinander geklammert, dass sie bereit sind, das bis zum Ende oder zumindest weitgehend durchzustehen. Aufgrund des Vertrauensverlustes wären Neuwahlen angebracht. Genau das wird der Grund sein, dass es zu keinen Neuwahlen kommen wird. Die Mehrheit im Nationalrat gibt es nicht.

42 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher glauben nicht, dass die Sanktionen gegen Russland Wirkung zeigen. Zwei Landeshauptleute haben das Thema für sich entdeckt; der FPÖ-Chef sowieso. Stellen Sie die Sanktionen infrage?
Die Entscheidungen beziehen sich auf eine militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. Aber es sind Entscheidungen, die weitreichender sind. Wir werden im internationalen Wettbewerb nur bestehen können, wenn dieses Europa gemeinsam auftritt und deutlich macht, dass es militärische Aggressionen auf unserem Kontinent nicht duldet. Es ist mir völlig bewusst, dass es durch die Sanktionen negative Auswirkungen gibt. Wenngleich ich der Überzeugung bin, dass die Auswirkungen der Sanktionen auf Russland dramatisch stärker sind als für die Europäische Union und für Österreich. Alles, was diese Gemeinsamkeit auflöst oder unterläuft, ist ein Risiko für die Zukunft Europas. Wenn wir dieses gemeinsame Europa nicht weiterentwickeln, dann werden wir nicht nächstes Jahr, aber in Zukunft irgendwann einmal Kolonien unterschiedlicher Weltmächte werden, die sich Europa filetieren. Von daher bin ich sehr für Geschlossenheit. Das heißt nicht, dass man nicht darüber nachdenken muss, welche Maßnahmen gesetzt werden. Da gibt es Abstufungen -etwa bei den Sanktionen, die aufgrund der Rücksichtnahme auf einzelne EU -Länder gemacht worden sind. Das ist immer möglich und notwendig. Aber die Geschlossenheit wird auch für die Zukunft nachfolgender Generationen wichtig sein.

Michael Ludwig, Wiens Bürgermeister
© Ricardo Herrgott/News Michael Ludwig

Das heißt, Sanktionen anpassen, aber jedenfalls nicht aufweichen und schon gar nicht aufh eben?
Und vor allem gemeinsam auftreten. Nichts ist schlimmer, als wenn einzelne Länder der Europäischen Union, um beispielsweise bei Öl-oder Gaslieferungen kurzfristige Vorteile zu haben, dieses gemeinsame Europa unterlaufen.

In Sachen Corona haben Sie lange und durchaus nachvollziehbar mit dem Wiener Weg gepunktet. Was ist davon noch übrig? Im Theater darf man ohne Maske sitzen, in der U-Bahn ist es mehr oder weniger egal und im Feriencamp muss die Maske rauf, wenn es einen Verdachtsfall gibt.
Egal ist die Maske in den Verkehrsmitteln nicht. Wir haben in Wien versucht, einen sehr konsequenten Weg zu gehen. Dieses ständige Hin und Her, das die Bundesregierung zu verantworten hat, hat nicht dazu geführt, dass Maßnahmen ernster genommen werden. Besser wäre gewesen, wenn man den Menschen das Gefühl vermittelt, sie machen das nicht für irgendeine Obrigkeit, sondern für die eigene Gesundheit und für die Gesundheit der anderen. Ich hoffe nicht, dass es im Herbst, so wie in den letzten zwei Jahren, wieder dazu kommt, dass die politischen Entscheidungsträger auf Bundesebene völlig überrascht feststellen, dass sie zu spät oder gar keine Maßnahmen für den Herbst gesetzt haben. Wir sind vorbereitet auf den Herbst und wir wollen uns nicht überraschen lassen, wie das vielleicht in anderen Gebietskörperschaften der Fall sein wird.

Wien belegt in vielen Rankings in Hinblick auf Lebensqualität einen Spitzenplatz. Allerdings auch in jenem Ranking, das zeigt, welche europäischen Hauptstädte am stärksten von Hitzewellen betroffen sein werden. Nebelduschen werden nicht reichen. Wie wollen Sie gegensteuern?
Wir haben seit über 20 Jahren ein Klimaschutzprogramm der Stadt Wien. Das ist auch der Grund, dass die CO2-Emissionen pro Kopf halb so hoch sind wie im restlichen Österreich. Da ist schon vieles gelungen. Das Zweite ist, dass wir in Hinblick auf die Klimaerwärmung, die es ja de facto gibt und wo natürlich vor allem Wien aufgrund der geografischen Lage betroffen ist, Maßnahmen setzen, um die Auswirkungen für die Bevölkerung erträglich zu halten. Das ist der Grund, dass wir den Anteil an Grünraum - obwohl wir mehr Wohnungen gebaut haben - von 50 auf 53 Prozent erhöht haben.

Im Zentrum von Wien-Favoriten macht die unversiegelte Fläche lediglich zehn Prozent aus. Pech gehabt?
Nein. Wir haben beispielsweise auch dort, wo wir versiegelte Flächen für Wohnraum erschlossen haben, zusätzliche Grünanlagen geschaffen. Schwierig sind zugegebenermaßen jene Teile der Stadt, die aus der Gründerzeit stammen, weil die dicht verbaut sind und weil wir um jedes Gründerzeithaus kämpfen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 34/2022 erschienen.