Naive Fütterung der digitalen Beutegreifer

Wenn sich mit der Künstlichen Intelligenz wiederholt, was bei Internet, Google und Social Media geschehen ist, schaufeln sich die Inhaltslieferanten ihr eigenes Grab. KI anzuwenden, ohne der Konzernverführung zu erliegen, ist die Kunst der Stunde

von Medien & Menschen - Naive Fütterung der digitalen Beutegreifer © Bild: Gleissfoto

Wir schauen uns das an. Solch eine Antwort gilt heute schon als Entwicklungsbremse statt als Beschäftigungszusage. Katharina Schell, die stellvertretende Chefredakteurin der Austria Presse Agentur (APA), beschrieb damit die Herangehensweise ihres Unternehmens an den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Dieser Zugang der Gastgeberin bei einem deutschsprachigen Dreiländertreffen der Initiative Qualität im Journalismus (IQ) war einerseits Understatement, zum anderen Handlungsempfehlung. Denn für ihr Metier gilt die APA in Europa als federführend bei der Beschäftigung mit KI, sorgt sich aber seit den ersten Versuchen mit automatisiertem Journalismus auch intensiv um die ethischen Aspekte.

Doch "Wir schauen uns das an" ist mehr als eine bloße Tempo- und Euphorie-Drosselung. Als Motto hat es auch aus einer wirtschaftlichen Perspektive
Berechtigung, die in Bezug auf KI davon ausgeht, dass alles, was automatisierbar ist, auch automatisiert wird. So illusionslos beschrieb Michael Roither, Kommunikationswissenschafter, Journalist und Vizerektor der FH Burgenland, das Zukunftsszenario beim IQ-Treff. Kampfeslust im Sinne des aus dem Publikum zitierten Sachbuch-Bestsellers "Big Tech muss weg!" von Martin Andree war dort nicht zu spüren. Eher die Fügung ins Unvermeidliche, verbunden mit einer leisen Beschwörung der Lernfähigkeit von Medien und Journalismus aus früheren Fehlern.

Der wohl größte Missgriff seit bald 30 Jahren ist die digitale Gratis-Bereitstellung wertvoller Inhalte. Das gilt für den Durchbruch des Internets hierzulande ab 1995 ebenso wie für die folgende Verpflegung von Google und Fütterung von Social Media. Facebook wird am 4. Februar schon 20 Jahre alt. Das Web, Google und Social Media hätten ohne den Gratis-Zugriff auf Medieninhalte kaum eine so steile Entwicklung erlebt. Sie profitierten von in technologischen Startphasen immer wieder allzu naiven Content-Lieferanten. Als diese dann zurückrudern wollten, war es zu spät. Die mühsam errichteten Paywalls sind Defensiv-Bollwerke. Profiteure der vermeintlichen Kost-nix-News von der digitalen Fortsetzung der Gratiszeitungen bis zum unverhofften neuen Standbein der öffentlich-rechtlichen Medien unterlaufen diese wirtschaftlich notwendige Strategie zur Bezahlung von Journalismus.

Es liegt auch daran, dass mit der Gefährdung der Branche auch Chancen für einzelne Vertreter einhergingen. Das war schon beim Internet so, auf das der "Standard" als erstes deutschsprachiges Tagblatt setzte und ohne das es "Die Zeitung für Leser" kaum noch gäbe. Sie hat - abgesehen von der "Neuen" in Vorarlberg - die geringste Verkaufsauflage aller heimischen Titel. Unterdessen entwickelte der ORF parallel zum Ende des Radio- und TV-Monopols eine textbasierte Kompensationsfläche, auf die der Unternehmensname "Österreichischer Rundfunk" kaum schließen ließe. Und der Status von Armin Wolf wäre allein durch die "ZIB2" nicht annähernd so groß wie durch frühzeitige Verknüpfung mit Twitter. Er schreibt im Februar 2024 schon exakt 15 Jahre auf dem heutigen X. Das bringt neben ihm auch dem ORF viel, so wie etwas später Florian Klenk für den "Falter". Die beiden sind gute Beispiele dafür, wie es ohne Verschenken von Inhalten geht. Sie wecken mit ihren Persönlichkeiten Neugier auf die Inhalte ihrer Medien - was beim frei zu empfangenden ORF leichter funktioniert.

Dieses Teasern, oft Inhalte nur anreißend oder mit Verspätung zur Originalerscheinung präsentierend, ist der bisher vielversprechendste Weg für herkömmliche Medien, um mit den digitalen Beutegreifern klarzukommen. Damit künstliche Intelligenz nicht zum finalen Totengräber der herkömmlichen Content-Lieferanten wird, braucht es aber vor allem das Bewusstsein, die Bestie nicht zu füttern. Wer ChatGPT und ähnliche Großanbieter freiwillig gratis mit wertvollen Daten füllt, schafft wiederum einzelne Giganten, wie es schon bei Suchmaschinen und Social Media der Fall war. Der mühsamere Weg ist der dauerhaft bessere: Mit Open-Source-KI kleinere, aber eigene - für Unternehmen wie Personen - Programme zu schaffen. Das meint Katharina Schell, wenn sie sagt: "Wir schauen uns das an." Dahinter verbirgt sich keine technologiescheue Entwicklungsbremse, sondern eine kontinuierliche Beschäftigungsbestätigung. Ein Tempodiktat gilt trotzdem: Der Einstiegszeitpunkt ist jetzt.