Breiteneckers Austro-Mitgift

Markus Breitenecker wird vom Puls-4-/ATV-Chef zum ProSiebenSat.1-Vorstand. Von der Filialleitung in die Konzernführung: Das ist ein persönlicher Aufstieg, doch ein österreichischer Rückfall. In Wien gibt nun deutlicher denn je München den Ton an

von Medien & Menschen - Breiteneckers Austro-Mitgift © Bild: Gleissfoto

Der ewige Hoodie. Die berufsjuvenile Selbststilisierung von Markus Breitenecker (55) verleitet zur Unterschätzung des längstdienenden Fernsehchefs in Österreich. Seit rund einem Vierteljahrhundert leitet er das, was sich heute als P7S1P4 abkürzt – ProSiebenSat.1 Puls 4. Als der durch Georg Kofler, den Südtiroler Ur-Chef des Mutterkonzerns, vom Wetterkanal abgeworbene Wiener 1998 heimkehrte, fiel gerade das Radiomonopol des ORF. Drei Jahre später wurde bundesweit terrestrisch verbreitetes Privatfernsehen erlaubt. Pionier ATV nutzte das ab 2003. ProSieben Austria kaufte dazu 2007 den Stadtsender Puls TV. 2017 übernahm P7S1P4 auch ATV. Neben dessen zweitem Kanal vervollständigt seit fünf Jahren Puls 24 das Austro-Bouquet des in München ansässigen Medienhauses, das viermal so viel Umsatz wie der ORF hat. Das Wort „Fernsehen“ ist im Steckbrief von Europas einst zweitgrößtem TV-Anbieter nach RTL kaum noch zu finden. Er beschreibt sich heute als „digitales Powerhouse“.

Genau diese Positionierung ist aber ein Streitfall zwischen der operativen Führung und dem größten Aktionär des börsennotierten Unternehmens: MediaForEurope (MFE), der Familienbetrieb des 2023 gestorbenen viermaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Der Konflikt zwischen dem Management und seinem mächtigsten Gesellschafter wurde ausgerechnet am Tag der Bekanntgabe von Breiteneckers Aufstieg besonders aktuell. Diese in Österreich von Respekt und Glückwünschen durch Wegbegleiter wie Mitbewerber geprägte Nachricht rangierte in Deutschland erst am Ende einer langen Meldung der auf Wirtschaft spezialisierten Agentur Reuters. Im letzten Absatz geht es um die Nachfolge Christine Schefflers, die „aufgrund unterschiedlicher Positionen über die nächsten Schritte der Unternehmensaufstellung“ den Vorstand verlässt. Sie musste zuletzt 400 Vollzeitjobs abbauen.

Deutlich wichtiger aber war nun Reuters, wie MediaForEurope den Druck auf P7S1 erhöht. MFE-Chef Pier Silvio Berlusconi hatte die voll auf Digitalisierung setzenden Bayern im „Corriere della Sera“ ermahnt, zu ihrem Kerngeschäft Fernsehunterhaltung zurückkehren und andere Firmen zu verkaufen. Drei Tage danach kündigten die Italiener an, bei der Hauptversammlung Ende April die Trennung von E-Commerce und Dating-Plattformen wie Parship vorzuschlagen – also die Spaltung des Konzerns in zwei börsennotierte Unternehmen. Der Entertainmentsektor sorgt für zwei Drittel des Umsatzes und vier Fünftel des Gewinns. Auf diesen Teil werden MFE seit Jahren Übernahmeabsichten nachgesagt. Die Italiener halten aktuell rund 29 Prozent. Bei 30 Prozent müssten sie ein Übernahmeangebot machen, planen dies aber nur, wenn ProSiebenSat.1 sein Kerngeschäft abspaltet. Sagt Berlusconi.

Dieser Bereich gruppiert sich mittlerweile um den Streamer Joyn. Breitenecker hat in Österreich auch die Mitbewerber ORF und ServusTV auf diese Plattform gebracht. In Deutschland läuft sie ohne ARD und ZDF schlechter. P7S1 setzt offenbar unter anderem auf das integrative Geschick des München-Rückkehrers, um das zu ändern. Der Wiener wird dort aber auch die Austro-Verantwortung haben. Er hat aus einer kleinen Filiale Österreichs größte Privat-TV-Gruppe mit 18 Prozent Publikumsmarktanteil insgesamt und über einem Viertel bei den unter 50-Jährigen gezimmert. Sie macht mehr als eine halbe Milliarde Euro Bruttowerbeumsatz und zweistellige Millionengewinne. Doch selbst Breitenecker konnte nicht verhindern, dass auch der profitable Ösi-Ableger zuletzt Personal reduzieren musste.

In Zusammenhang mit den MFE-Forderungen nach Rückbesinnung auf Unterhaltung wirkt langfristig vor allem der Informationsschwerpunkt der Österreich-Tochter gefährdet. Die Frage ist, ob dieses demokratiepolitisch enorm wichtige Engagement den Entertainmentkurs der demokratiepolitisch äußerst schlecht beleumundeten Marke Berlusconi überdauert – oder ob Aufsichtsrat und Management dem massiven Druck eines letztlich doch nur Einzelaktionärs ohnehin widerstehen. Die Info-Kompetenz von P7S1P4 ist seit 2019 in Puls 24 gebündelt. Es hat 0,8 Prozent Marktanteil. Das ist ein größerer Erfolg, als die kleine Quote andeutet: in Deutschland erreicht n-tv nach 22 Jahren erst 1,1 Prozent.

Für eine radikale Unterhaltungsorientierung erscheint das wohl bloß als Ballast. Und genau den soll P7S1 abstoßen, wenn es nach MFE geht. Doch in keinem anderen wachsenden Mediensegment hinkt Österreich der internationalen Entwicklung so stark nach wie bei 24-Stunden-Nachrichtensendern. Puls 24 hat noch viel Potenzial. Außerdem ist unklar, ob Berlusconi, dessen Vater der personifizierte Prototyp der Telekratie war, News-TV nicht ohnehin als unterhaltungskonformes Infotainment sieht. Dass Breitenecker keine Kindesweglegung betreiben will, ist sicher. Wie sehr er als Schutzmacht für seine Austro-Hinterlassenschaft wirken kann, hängt von der Gesamtstrategie für Joyn ab. In Österreich gilt Puls 24 vor allem als Streaming-Erfolg. Das ist das beste Argument für seine Zukunft.