Neiddebatte oder gerechte Transparenz?

Der ORF muss seine Topverdiener offenlegen. Daraus nur eine Neiddebatte zu machen, greift zu kurz

von Kathrin Gulnerits © Bild: News/Matt Observe

Natürlich ist es eine Neiddebatte. Völlig menschlich. Völlig normal. Erfolg, Liebesglück – vor allem aber Geld: Wenn jemand vermeintlich besser dran ist als wir selbst, kommt dieser Gefühlsmix aus Unterlegenheit, Verbitterung und Eifersucht hoch. Bei dem einen in homöopathischen Dosen, bei anderen ungefiltert: „Obszön!“ „Schamlos!“ „Irre!“ „Ein Hohn!“ So sind wir Menschen nun mal. Die meisten jedenfalls. Nur jene mit dem nach Eigendefinition besten Rückgrat von allen kennen dieses Gefühl nicht. Meinen Neid für diese beachtliche Standfestigkeit haben sie.

Verwerflich ist also an der aktuellen Diskussion über die offengelegten Traumgagen beim ORF nichts. Schon gar nicht, wenn man mal in einer ruhigen Minute einen Blick auf die Lohn- und Gehaltsstruktur in diesem Land wirft. Bei den Medien, aber nicht nur. Spätestens dann darf der Moralfinger getrost unten bleiben und die in diesem Land gern gestellte Frage „Wos woa mei Leistung?“ zur Abwechslung – und erst recht in einem Unternehmen, das nicht in der freien Wirtschaft agiert – auch mal ganz nüchtern formuliert werden.

Was ist passiert? Der substanziell gebührenfinanzierte ORF muss im Zuge der ORF-Gesetzesnovelle ab sofort jährlich einen verpflichtenden Transparenzbericht an das Bundeskanzleramt vorlegen und darlegen, wer ein Bruttojahresgehalt inklusive Zulagen von 170.000 Euro im Jahr oder höher bezieht. Zudem müssen Nebeneinkünfte, etwa für Werbung oder Moderationen, offengelegt werden. Demnach verdienen 61 Mitarbeiter im ORF mehr als 170.000 Euro. Das Durchschnittsgehalt im Sender liegt bei 91.000 Euro. Spitzenverdiener ist ein Ö3-Starmoderator, der ein Bruttojahresgehalt von 443.894,39 Euro erhält und obendrein durchschnittlich 8.500 Euro brutto monatlich aus Nebenbeschäftigungen erzielt. Der Generaldirektor des Hauses landet bei 425.500,04 Euro und dürfte im Erstjob ausgelastet sein. Er nennt keine Nebenbeschäftigung. Letzterer hält in einem Statement fest, dass jene genannten Mitarbeiter lediglich rund 1,3 Prozent der 3.425 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfassenden Belegschaft ausmachen. Als Grund werden teilweise alte Kollektivverträge und eine sehr lange Betriebszugehörigkeit genannt. Derartige Verträge seien ein Auslaufmodell.

»Warum war die Höhe der Spitzengehälter bis jetzt ein gut gehütetes Geheimnis?«

So weit, so gut. Und wie weiter jetzt? Statt die Diskussion über eine gerechte Entlohnung einzig und allein als Neiddebatte abzustempeln, könnten Argumente auf den Tisch gelegt werden, warum diese Gagen in genau dieser Höhe gerechtfertigt sind. Weil es schon immer so war? Weil es ein objektiv „richtiges Gehalt“ wahrscheinlich gar nicht gibt? Was wären mögliche Kriterien, die die Debatte versachlichen? Wann ist ein Gehalt „exorbitant“ hoch? Macht ein Deckel Sinn, auch wenn die Haushaltsabgabe deswegen wohl um keinen Cent sinken würde und ein Verzicht nur ein symbolischer Akt wäre? Wie teuer ist eigentlich das österreichische System im Vergleich zu anderen Ländern? Und überhaupt: Warum war die Höhe der Spitzengehälter bis Anfang dieser Woche ein gut gehütetes Geheimnis?

Der ORF muss sich gegenüber dem Publikum, das ihn finanziert – in vielerlei Hinsicht – so aufstellen, dass er nicht angreifbar ist. So weit, so logisch. Naheliegend ist freilich der österreichische Weg, den wir in der Debatte blitzschnell eingeschlagen haben: Transparenz ist offenbar etwas Schlechtes in diesem Land. Bloß nicht drüber reden, dann ist alles gut. Weil sonst? Sonst führen wir ja nur eine Neiddebatte.

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