Jennifer Hermoso Fuentes: "Ich hoffe auf eine neue Ära für den Frauensport"

Die Spanierinnen holen in Sidney den Fußball-Weltmeisterinnentitel. Doch ein Kuss, der Kapitänin Jennifer Hermoso Fuentes aufgezwungen wird, stiehlt ihnen die Show. Statt des Siegs dominiert Ende August eine Sexismus-Debatte die Schlagzeilen.

von Jennifer Hermoso Fuentes © Bild: 2023 FIFA/Getty Images

Im australischen Accor-Stadion kochen am 20. August die Emotionen hoch. Nach nervenzerfetzenden Schlussminuten schießen die Spanierinnen doch noch ein Tor und siegen über England. Jubel bricht aus. Luis Rubiales, der Präsident des spanischen Fußballverbands, drückt die Spielerinnen bei der Siegerinnenehrung überschwänglich an sich. Eine von ihnen, Jennifer Hermoso, wird auf eine Weise beglückwünscht, die sie später mit dem bitteren Halbsatz "Es hat mir nicht gefallen" kommentiert. Rubiales packt sie mit einem Schraubstockgriff am Kopf und drückt ihr einen festen Kuss auf die Lippen. Vor sämtlichen Bildschirmen, die das Finale live ausstrahlen, weiten sich irritiert die Augen des Publikums.

Der "Kuss-Eklat" bringt den spanischen Titelgewinn bei der Frauen-Fußball-WM am nächsten Tag auf die internationalen Titelseiten. Doch statt des sportlichen Erfolgs steht eine Sexismus-Debatte im Zentrum der Diskussionen. Jennifer Hermoso, die betroffene Spielerin, eigentlich öffentlichkeitsscheu, gerät dabei in den Fokus der Presse. Rubiales behauptet, der Kuss habe in beidseitigem Einvernehmen stattgefunden. In ihrem letzten Statement betont Hermoso, sie habe sich "verletzlich, als Opfer eines Übergriffs" gefühlt. "Der Kuss war ein impulsiver, machohafter Akt, der unangebracht war", heißt es in der Stellungnahme. "Ich habe dem nicht zugestimmt. Ich wurde einfach nicht respektiert."

Internationale Empörung

Der Fall löst einen Sturm der Entrüstung aus. Pedro Sanchez, Spaniens amtierender Premierminister, bezeichnet den Übergriff als "beschämend", laut dem FIFA-Präsidenten Gianni Infantino hätte die Kuss-Attacke "nie passieren dürfen". Internationale Medien sprechen vom "spanischen Me-Too-Moment". Trotz der in den darauffolgen Tagen anhaltenden Empörungswelle bleibt Rubiales selbst uneinsichtig. Der Verband lädt fünf Tage nach dem Vorfall zu einer Vollversammlung, erwartet wird dabei der lautstark geforderte Rücktritt des Präsidenten. Doch stattdessen inszeniert sich Rubiales überraschend als Opfer. Er schimpft auf einen "falschen Feminismus", bezichtigt Hermoso der Lüge. "Ich werde nicht zurücktreten", brüllt er fünfmal ins Mikrofon. Der Monolog erhält von verschiedenen Akteuren, etwa dem Frauen- Nationaltrainer Jorge Vilda, Standing Ovations.

Suspendierung und Streiks

Aus Solidarität zu Jenni Hermoso Fuentes treten die spanischen Weltmeisterinnen daraufhin in einen Streik. Solange Rubiales im Amt ist, werden sie nicht mehr für Spanien spielen. Sechs Tage nach dem Kuss- Skandal zieht die FIFA endlich Konsequenzen: Rubiales wird für 90 Tage suspendiert. Zudem hat fast der gesamte Trainerstab aus Solidarität zu Hermoso den Rücktritt erklärt. Schließlich trennt sich Spaniens Fußballverband auch von Frauen-Teamchef Jorge Vilda. Am 6. September reicht Jennifer Hermoso eine Klage ein: Sie zeigt Luis Rubiales wegen sexueller Nötigung an. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft. Der Druck auf Rubiales steigt - vier Tage später gibt er, noch immer uneinsichtig, seinen Rücktritt bekannt.

Das unbeirrbar entschlossene Auftreten der Weltmeisterinnen gegen die Verharmlosung des erzwungenen Kusses hat sich ausgezahlt. im Verband kommt es zu strukturellen Veränderungen. Die Profifußballerinnen, der Verband RFEF sowie die Sportbehörde CSC haben eine gemeinsame Kommission gegründet, die nach dem Kuss-Skandal für tiefgreifende Reformen sorgen soll. Unter anderem soll es mehr Prävention und klare Reaktionen auf Diskriminierungen oder sexuelle Belästigung geben. Jennifer Hermoso wird vom Magazin GQ zu Spaniens "Frau des Jahres" gekürt.

»Ich will als Person in Erinnerung bleiben, die versucht hat, die Mentalität zu ändern«

Hoffnung auf Wandel

"Ich musste die Konsequenzen einer Tat tragen, die ich nicht provoziert habe", sagt Hermoso im Interview mit der spanischen GQ. Dass sie Morddrohungen erhalten habe, sei ihr sehr nahe gegangen. Doch sie wolle weiterhin gegen das Unrecht einstehen. "Ich will als Person in Erinnerung bleiben, die versucht hat, die Mentalität zu ändern", betont sie.

Dafür setzt sie große Erwartungen auf die zu ihrer Unterstützung gegründete Stiftung "#SeAcabo (Es ist vorbei)". Vor der ersten Nations-League-Partie setzen die Spanierinnen mit dem schwedischen Gegnerinnenteam ein Zeichen. Beide Teams posieren gemeinsam hinter einem Banner mit der Aufschrift "SeAcabo!" ("Schluss jetzt!"), darunter steht auf Englisch: Unser Kampf ist ein globaler Kampf. "Ich hoffe, dass eine neue Ära für den Frauensport anbrechen wird", sagt Hermoso, das Gesicht des Wandels.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 51+52/2023 erschienen.