Gianni Infantino - die Fratze des Fußballs

Gianni Infantino, Präsident der Fifa und umstrittener Drahtzieher der WM in Katar, ist das Symbol für alles, was im internationalen Fußball falsch läuft. Zu Recht?

von Gianni Infantino © Bild: Christopher Lee/Getty Images

Steckbrief Gianni Infantino

  • Name: Giovanni Vincenzo Infantino
  • Geboren am: 23. März 1970 in Brig (Kanton Wallis, Schweiz)
  • Wohnorte: Zug (Schweiz), Zweitwohnung in Katar
  • Ausbildung: Studium der Rechtswissenschaften
  • Position: Präsident des Weltfußballverbands FIFA
  • Familienstand: verheiratet mit Leena Al Ashqar
  • Kinder: 4 Töchter (Shania Serena, Sabrina, Dhalia Nora, Alessia

Gianni Infantino, der "Piccolo" aus Brig

Giovanni Vincenzo Infantino wurde am 23. März 1970 in Brig in der Schweiz als jüngstes Kind italienischer Migranten geboren. Von seinen Geschwistern als "Piccolo" bezeichnet, bewies er früh sein Durchsetzungsvermögen. Nach dem Rechtsstudium war er bei einem Zentrum für Sportstudien in Neuchâtel tätig, ehe er ab 2000 für den europäischen Fußballverband UEFA arbeitete. Er leitete dessen Rechtsabteilung und wurde 2009 Generalsekretär. Einer breiten Öffentlichkeit ist er seitdem bekannt, weil er die Auslosungen der Champions League durchführte. 2015 war er Mitglied in der Reformkommission der Fifa nach der Suspendierung des damaligen Präsidenten Sepp Blatter. Als Kandidat für Blatters Nachfolger ließ er unter anderem mit der Ankündigung aufhorchen, die Zahl der WM-Teilnehmer erhöhen zu wollen. Am 26. Februar 2016 wurde Infantino im zweiten Wahlgang zum neunten Präsidenten der Fifa gewählt; 2019 erfolgte seine Wiederwahl ohne Gegenkandidaten.

Infantino ist mit der Libanesin Leena Al Ashqar verheiratet, die für den libanesischen Fußballverband tätig war und mit der er vier Töchter hat. Die Familie lebt heute in Doha, wo seine Töchter auch zur Schule gehen.

Gianni Infantino mit König Felipe von Spanien
© Clive Mason/Getty Images Gianni Infantino mit König Felipe von Spanien

Glücklich sieht er aus, doch etwas erschöpft: Gianni Infantino ringt sich ein Lächeln ab, als er auf der VIP-Tribüne, hoch oben über dem Spielfeld, zwischen den Mächtigen dieser Welt Platz nimmt, zwischen Königen und Staatschefs, zwischen Ministern und Millionären.

Mächtig ist der Fifa-Präsident selbst, mächtiger als jeder andere Sportfunktionär der Welt, sollte dieser Begriff überhaupt noch passen für einen, der riesige Veranstaltungen organisiert und Schlagzeilen macht. Infantino ist zweifellos das Gesicht dieser WM, einprägsamer und bedeutender als irgendeiner der Akteure da unten auf dem Rasen. Lange, bevor, und lange, nachdem Spieler wie Lionel Messi, Kylian Mbappé oder Neymar mit Toren und Dribblings berühren, zieht er die Fäden - und zwar nicht nur bei dieser Veranstaltung in Katar, die derzeit weniger mit sportlichen als vielmehr mit politischen Machtspielchen aufregt. Eine scheinbar harmlose Armbinde wurde zum Streitobjekt, denn das Zeichen für Toleranz und Vielfalt wurde von der Fifa kurzerhand verboten. "OneLove" fühlt Infantino eben nur gegenüber seinen Gastgebern und Unterstützern, mit denen er gerne den Doppelpass aus wirtschaftlicher Überlegenheit und politischer Unverfrorenheit spielt.

Kein Spielraum für Menschenrechte

Gianni Infantino ist nicht erst jetzt zum Symbol für all das geworden, was im Sportbusiness falsch läuft, doch spätestens jetzt ist er die unverkennbare Fratze des Fußballs. Sein eingefrorenes Lächeln ist typisch für jene Chuzpe, mit denen Menschenrechte und Diversität unter den Deckmantel einer vorgeblich friedlichen und friedensstiftenden Show gekehrt werden. "Ich kann Ihnen sagen, dass ich mich heute wie ein Katari fühle. Ich fühle mich heute arabisch. Ich fühle mich heute afrikanisch. Ich fühle mich heute homosexuell. Ich fühle mich heute behindert. Ich fühle mich heute wie ein Gastarbeiter." Und wer solche Reden schwingt hat zweifellos viel Chuzpe.

Infantinos Spiel mit den Strukturen

Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Infantino versteht es wie kein Zweiter, die Interessen der unterschiedlichen Verbände auszunutzen und mit ihnen zu spielen. Gegen ihn wirkt sogar Sepp Blatter, einstmals der Inbegriff des unverfrorenen Fußballfunktionärs, unverdächtig. Blatters Nachfolger nutzt eben geschickt die Strukturen des Weltfußballs. So haben bei der Wahl des Fifa-Präsidenten alle Mitgliedsverbände des Weltfußballverbands - derzeit sind es 211 - genau eine Stimme. Das bedeutet, dass traditionsreiche, große Fußballverbände wie jene von Deutschland, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich ebenso nur eine Stimme haben wie Miniverbände, etwa jener von Aruba, einem Land mit rund 110.000 Einwohnern und einer Handvoll Fußballern. Wer mit den Wünschen dieser Stimmberechtigten spielt, ihnen Aufmerksamkeit (und vielleicht mehr) verspricht, kommt weiter als mit Rücksichtnahme auf die Interessen der Großen.

»Infantino hat jegliche Distanz zu Katar verloren«

Sepp Blatter, Ex-Fifa-Präsident

Das Paradoxe: Ausgerechnet die Profiteure dieser Strukturen ersticken jede Diskussion und Kritik mit dem Verweis auf Gleichberechtigung im Keim. Infantino und seine Weggefährten spielen sich als Kämpfer für unterdrückte Völker auf: Der Fußball soll ihrer Darstellung nach die Welt friedlicher, fairer, diverser machen. Wer etwas dagegen sagt, ist in ihren Augen ein typischer Vertreter der überholten Denkweise Süden gegen Norden, West gegen Ost oder Europa gegen Afrika. Schon als UEFA-Generalsekretär hatte sich Infantino für die kleineren Nationen eingesetzt. Das Ganze spielt er nun auf der Weltbühne und bleibt seinem Drehbuch dabei treu.

Man müsse "den Afrikanern" Hoffnung geben, hatte Infantino einmal als Argument für eine zwei- statt vierjährig stattfindende WM ernsthaft vorgebracht. Der selbsternannte Gutmensch glaubt, dass Fluchtbewegungen über das Mittelmeer auf diese Weise verhindert werden könnten. Aber Infantino ist ja auch sicher, dass Länder wie Katar sehr viel tun für die Gleichheit von Kulturen und Ländern, etwa indem sie Hunderttausende Arbeitsmigranten für Hungerlöhne schuften lassen. Man gebe diesen Menschen eine Perspektive, meinte er im Rahmen der WM zur Kritik an den Zuständen, unter denen die Arbeiter aus anderen Ländern arbeiten.

Auf der Seite der Diktatoren

Infantino hat die Seitenlinien des Fußballfelds längst verlassen, der Sport ist ihm zu wenig. Als Präsident des mächtigen Fußballverbands stehen ganz selbstverständlich politische Angelegenheiten auf seiner Agenda, wenn auch stets unter dem Deckmantel des sportlichen Austauschs adressiert. Wenn Spieler aus muslimischen Ländern nicht in die USA einreisen dürfen, stellt er sich ebenso auf deren Seite wie auf jene unfair kritisierter Fußballfreunde wie Wladimir Putin, der ihm nach der WM 2018 den Freundschaftsorden umhängte.

Wenn Infantino mit Staatsoberhäuptern scherzt oder sich im Privatjet zu zukünftigen Schauplätzen von Weltmeisterschaften transportieren lässt, tut er dies der völkerverbindenden, einigenden Eigenschaft des Fußballs zuliebe. Kritik perlt an ihm ebenso ab wie Untersuchungen der sogenannten "Ethikkommission" der Fifa, die ihn unter anderem wegen exorbitanter Spesenrechnungen und diverser Interessenkonflikte im Visier hatte. Auch vor echter strafrechtlicher Verfolgung braucht sich der Schweizer derzeit kaum zu fürchten. Einen guten Draht hat der Jurist unter anderem auch zur Schweizer Bundesanwaltschaft: 2016 traf er den damaligen Bundesanwalt Michael Lauber heimlich, seit dem Sommer 2020 läuft deshalb in der Schweiz ein Verfahren, das bisher allerdings wenig Zählbares brachte.

Gianni Infantino
© Laurence Griffiths/Getty Images HANDSCHLAGQUALITÄT. Gianni Infantino geht gerne auf Tuchfühlung mit den Mächtigen.

Wie meinte Infantino bei einer Pressekonferenz in Katar kürzlich? "Für das, was wir Europäer in den vergangenen 3.000 Jahren getan haben, sollten wir uns für die nächsten 3.000 Jahre entschuldigen." Wenn ein Fußballfunktionär die europäische Geschichte aufarbeitet, geht es aber um weit mehr als um Bronzezeit und Hallstattkultur, als die Bälle noch eckig waren - es geht um das große Ganze. Denn ist der Ruf erst mal ruiniert, lebt es sich gänzlich ungeniert, dürfte er sich wohl denken. Weshalb nicht gleich mal eine WM in Nordkorea ins Auge fassen? Dort gäbe es wenigstens keine renitenten Fans. Aber auch Saudi-Arabien steht auf der Interessentenliste für eine der nächsten Weltmeisterschaften ganz oben und hat fraglos ausreichend finanzielle Ressourcen. Und wer weiß, vielleicht gewöhnt man sich ja an eine WM im Winter. Und wenn nicht, gibt es genug andere obskure Ideen, etwa eine Klub-WM oder eine Global Nations League, zwei Projekte, die Infantino mit Hilfe potenter Investoren aus dem arabischen Raum schon vor einigen Jahren lancieren wollte, damals aber auf Widerstand aus Europa gestoßen war.

Kein Gegenkandidat bei der Fifa in Sicht

Die Pläne hat er sicher noch griffbereit in der Lade liegen, denn Infantino, von seinen Kritikern oftmals als "Infantilo" verunglimpft, wird dem Fußballbusiness noch länger erhalten bleiben. Nächsten März stehen bei der Fifa die nächsten Präsidentenwahlen an, und bisher gibt es keinen Gegenkandidaten zu Infantino, der sich bereits vor der umstrittenen WM in Katar die Stimmen vieler Verbände gesichert haben soll. Europäische Verbände wie jener aus Deutschland wollen keinen Kandidaten aufstellen, weil das ohnehin sinnlos wäre.

Dennoch könnte es in den nächsten Monaten Gegenwind für Infantino geben: Sein Kurs irritiert vor allem die europäischen Verbände, die sich daheim mit der wachsenden Kritik seitens der Sponsoren auseinandersetzen müssen. So hat der Handelskonzern Rewe wegen des Verbots der "OneLove"-Armbinde kurzerhand den Vertrag mit dem deutschen Fußballverband DFB aufgelöst und verschenkt nun seine Pickerlalben zur WM. Doch weshalb sollte sich der bekannteste und wichtigste Sportfunktionär der Welt mit solchen Kleinigkeiten abgeben?

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 48/2022 erschienen.