Du, Sebastian! Du, Rainer!

Dieses beiläufige "Du" zwischen Politikern und Journalisten ist der Beginn von Kompromissen. Es vernebelt die Objektivität. Eine Beißhemmung ist programmiert.

von Du, Sebastian! Du, Rainer! © Bild: News/ Matt Observe

Der Tiefpunkt vom Tiefpunkt ist in diesem Land oft nur eine Chatnachricht entfernt. Jetzt sind gleich zwei Chefredakteure über ihre einstige Nähe zur Politik, die in ebensolchen Chats nachzulesen ist, gestolpert. Es geht um Machtmissbrauch, auch für den eigenen Vorteil. Immerhin: Es wurde sich dafür nicht nur entschuldigt. Es wurden auch Konsequenzen gezogen. Selbstverständlich ist das nicht. Der eine Chefredakteur hat seine Funktion einstweilen ruhend gestellt, der andere tritt einen Urlaub an. Und der Rest der nunmehr unter Generalverdacht stehenden Branche? Die einen versuchen es mit einer Transparenzoffensive. Andere mit Spott und Häme. Aber auch mit Abwiegeln und Kleinreden. Ja, da wurde aus "Eitelkeit" eben ein bisschen "jenseits der Norm" kommuniziert. Vertraulich und kumpelhaft. Männergespräche halt.

Was bleibt, ist die Tatsache, dass nicht nur die Politik ein Korruptionsproblem hat. Auch die Medien haben Erklärungsbedarf -zum Beispiel in Hinblick auf ihr Verhältnis zu den Mächtigen des Landes. Übrigens nicht erst seit letzter Woche. Gründe zum Wundern gab es öfter. Nur gewundert hat sich kaum jemand. Etwa über dieses weit verbreitete, ja beinahe schon selbstverständliche "Du auf Du" - mit dem Kanzler, dem Minister, einem Landeshauptmann oder -frau. Ein Gin Tonic mit dem Message-Controller Sebastian Kurz in vertrauter Journalistenrunde (Gendern nicht nötig), ein Selfie fürs Familienalbum oder zum Angeben. Eine innige Umarmung -ja, warum eigentlich nicht? Das Land ist klein, die Nähe groß. Die Verhaberung manchmal noch viel größer. Am allergrößten ist aber das allgemeine Schulterzucken darüber. Da kann man halt nichts machen, wenn man sich ständig über den Weg läuft. Das gab es schon immer. Das wird es immer geben. Bitte weitergehen, weil eigentlich gibt es diesbezüglich nichts zu sehen.

» Die Ausrede, dass das Land klein und Nähe zwangsläufig ist, kommt oft. Zu oft. «

Diese Ausrede, dass das Land eben klein und Nähe fast zwangsläufig ist, kommt oft. Zu oft. Nicht nur in der Kombination von Medien und Politik. Ich höre sie seit 26 Jahren. Ich finde sie damals wie heute billig. Und zu einfach. Man kann dem nämlich widerstehen. Auch auf die Gefahr hin, nicht jedes "exklusive" Infohäppchen, das in oft gut selektierten Hintergrundgesprächsrunden -die guten Medienvertreter in das eine Töpfchen, die weniger angepassten in das andere -abzubekommen. Ja, das muss man wollen. Man muss es aushalten, nicht "dazuzugehören". Jedenfalls aber sollte man ein Gespür dafür entwickeln, dass ein "Du Sebastian!","Du Pamela!" hin und wieder, vielleicht sogar ziemlich oft, praktisch ist, sich professionelle Distanz aber damit nicht ausgeht. Dieses beiläufige "Du" ist der Beginn von Kompromissen. Es vernebelt die Objektivität. Eine Beißhemmung ist programmiert. Schönreden zwecklos.

Dem zu widerstehen, ist der erste Schritt, der leichteste Schritt von vielen Schritten, die wir in der Medienbranche und in Österreich, dem Land der Unschuldsvermutung und dem Land, wo immer ein bisschen was geht, gehen müssen. Ein bisschen weniger Eitelkeit und Geltungsbedürfnis können bei diesen ersten Schritten zur Besserung auch nicht schaden. Triumphgeheul liegt mir fern. Schlimm genug empfinde ich es aber, dass man darauf hinweisen muss. Anders zu sein. Anders als viele andere.

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