Danielle Spera: Geschichten erzählen, bis der Vorhang fällt

Nach zwölf furiosen Jahren verlässt Danielle Spera das Wiener Jüdische Museum. Die Abschiedsausstellung thematisiert Liebe und Sex im Judentum und verkörpert die pure Lebensfreude.

von Danielle Spera: Geschichten erzählen, bis der Vorhang fällt © Bild: Michael Rausch-Schott

Mit dem sinnlosen Abschiednehmen kommt man in diesen Tagen als Kulturjournalist kaum nach. Eben erst musste man Roland Geyer, der das Theater an der Wien im Spitzengrüppchen der internationalen Opernhäuser positionieren konnte, aus dem Amt eskortieren. Da war schon Robert Meyer dran, der erfolgreiche Volksoperndirektor, der gern noch geblieben wäre. Und jetzt Danielle Spera, 64, die sich 2010, quasi pragmatisiert in der unermesslichen Popularität einer ZiB-1-Moderatorin, ins Ungewisse beworben hatte. Das Jüdische Museum in der Dorotheergasse genügte seinen pädagogischen Verpflichtungen damals in einer Art Exklusivität, die man auch Unauffälligkeit hätte nennen können. Neun Jahre später, im letzten regulären Geschäftsjahr vor der Pandemie, hatte sich die Besucherzahl verdoppelt. Der Zuschuss der öffentlichen Hand war unverändert geblieben, aber die Erlöse aus Sponsoring und Spenden hatten sich versiebenfacht. Man arbeitete mit Kindern und Flüchtlingen, befeuerte die Provenienzforschung, förderte zeitgenössische Künstler, wurde Digitalarchiv, Veranstaltungsort und Schauplatz internationaler Konferenzen. Die "New York Times" wählte das Museum, heute eine der zehn bekanntesten Kultureinrichtungen Wiens, gar unter die wichtigen Adressen der Welt.

Danielle Spera ließ keinen Zweifel daran, dass sie gern weitergemacht hätte, doch die Stadt wollte "etwas anderes". André Heller, Helga Rabl-Stadler, Brigitte Bierlein, Peter Huemer, Karin Bergmann, Cornelius Obonya und viele weitere Proponenten eines Personenkomitees wollten sich dem amtlichen Veränderungswillen zwar entgegenstemmen. Aber beschlossen ist beschlossen: Am 1. Juli übernimmt die Österreicherin Barbara Staudinger, bis dahin Direktorin des Jüdischen Museums in Augsburg. Ihr ist ehrlich Glück zu wünschen.

Abschied von Nitsch

Die scheidende Direktorin, eine dunkle, zeit- und alterslose Schönheit, wirkt zu Beginn des Gesprächs noch echauffiert. Aber nicht wegen des sich anbahnenden Abschieds: Tags zuvor hat sie dem Weltkünstler Hermann Nitsch im Mistelbacher Museum die Trauerrede gehalten, eine Selbstverständlichkeit nach 45 Jahren Freundschaft. Die drei endlosen Monate des Verdämmerns, meist im künstlichen Koma, waren eine besondere Grausamkeit des Schicksals, sagt die Autorin der 2018 erschienenen Biografie. "So lebendig wie seine Augen waren, hatte ich den Eindruck, dass er sein Leiden ganz genau mitbekommen hat. Aber er hatte so eine Lebensfreude, er wollte nicht gehen, war ein totaler Kämpfer." Als es zu Ende ging, war sie eine Stunde bei ihm im Krankenhaus. "Ich hab's in seinen Augen gesehen, wie er sich gefreut hat, dass ich da war. Es war eine sehr schmerzhafte, aber eine sehr wichtige Stunde."

Es wird Zeit, auf den Gegenstand des Interviews zu kommen, denn es ist Freitag, und bald bricht der Schabbat an, der seitens der Familie geheiligt wird. Danielle Spera, Kind einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vaters, ist spät übergetreten, so etwas verfestigt die Überzeugungen. Geht sie mit leisem, vernehmlichem, lautem Groll? "Mit gar keinem Groll, sondern mit Dankbarkeit", sagt sie. "Weil alles, was ich mir vorgenommen hatte, und noch viel mehr umgesetzt werden konnte. Es war die Entscheidung der Stadt Wien, dass das Museum einen anderen Kurs einschlägt", fährt sie auf Anfrage fort. Was am Kurs denn schlecht gewesen sei? "Bitte die Verantwortlichen der Stadt Wien zu fragen, ich kann dazu nichts beitragen." Ob am Ende auch die Kultusgemeinde den Abgang befördert hat? Das, beschließt sie das Thema, könne nur die Kultusgemeinde beantworten.

»Judentum wird in Österreich leider oft auf die Jahre 1938 bis 1945 reduziert«

Zur Bilanz nach zwölf Jahren. Was ist am durchschlagendsten gelungen? "Das Haus zu öffnen und auf den kulturellen Stadtplan zu setzen. Das war eines der Motive, warum ich mich dafür beworben habe. Die österreichisch-jüdische Geschichte ist so unglaublich wichtig für unser Land, das ist mit anderen Ländern nicht vergleichbar. Es ist daher essenziell, diese Geschichte zu erzählen, das geschieht sonst nirgends. Deshalb war das Ziel, das Jüdische Museum viel breiter aufzustellen."

Das bedeutet? "Die jüdische Geschichte in allen ihren Facetten zu erzählen. Die Geschichte der Ephrussis oder der Wiener Rothschilds ebenso zu vermitteln wie die Geschichten von durchschnittlichen Wiener jüdischen Familien. In Österreich wird das Judentum bedauerlicherweise sehr oft auf die Jahre von 1938 bis 1945 reduziert."

Marschieren sie wieder?

Die aber jetzt zum Entsetzen Wiederkehr feiern. Hätte denn jemand aus Danielle Speras Generation für möglich gehalten, dass junge Menschen, gelbe Sterne auf der Brust, durch die Straßen österreichischer Hauptstädte marodieren und bei dieser Gelegenheit die Opfer von Auschwitz verhöhnen? Das seien Auswüchse einer sehr kleinen Gruppe, logische Begleiterscheinungen einer Krise. Wobei, wendet sie gleich ein: Von welcher Art Krise denn da die Rede sei? "Möge die Welt nie Schlimmeres erleben als wir hier im Wohlstand." In Wahrheit habe sich in Österreich während der vergangenen Jahrzehnte viel verändert, und zwar zum Guten.

Damals, in der Kindheit, da sei der Antisemitismus ständig präsent und der Geist des Nationalsozialismus überall zu spüren gewesen. "In vielen Wohnungen waren noch Fotos der Väter in Wehrmachtsuniform aufgestellt, und es hat Schweigen geherrscht, das lauter war als das Gebrüll Weniger heute. Heute gibt es ein unglaubliches Interesse am Judentum, mehrmals pro Woche kann man Veranstaltungen besuchen, die sich mit jüdischen Themen beschäftigen. Und ganz abgesehen vom jüdischen Museum Wien, man denke nur an den Tag der offenen Tür im Stadttempel, den tausende Menschen besuchen wollen."

© Michael Rausch-Schott

Wenn sich nur nicht der immigrierte, von Linken gern als Antiisraelismus verharmloste Judenhass unter die Besucher mengt. Zwar geben Fachleute auf News-Anfrage vorsichtige Entwarnung auch für das Museum: Attentäter würden bevorzugt große Menschenmengen an überlaufenen Plätzen mit sich reißen. Aber die Gefahr sei präsent und nicht zu verdrängen. "Man muss sich dem stellen!", fordert Danielle Spera. "Wir haben gleich zu Beginn des großen Zustroms von Menschen aus dem Nahen Osten Programme entwickelt, um sie ins Jüdische Museum einzuladen. Viele von ihnen kommen aus einem antisemitischen Umfeld, in dem es heißt, Jude ist gleich Israel ist gleich Feind." Deshalb hat das Museum junge Menschen aus diesen Ethnien eingeladen und erste Dialoge in Gang gesetzt. Eine Gruppe syrischer Frauen kam immer wieder.

Und jetzt? In den riesigen Instituten, die über Jahrzehnte mit Blockbusterwucht aufgefahren sind, könnte man jetzt kampieren. Aber das Jüdische Museum ist schon wieder fast wie vorher besucht. Die Rothschilds wurden beinahe überrannt. Und jetzt kommt zum Abschied die animierendste, frechste Ausstellung der Ära, die tatsächlich eine solche war.

Love Me Kosher

"Love Me Kosher" thematisiert nichts Geringeres als Liebe und Sexualität im Judentum, ein wahrhaft befeuerndes Thema. Denn Sexualität ist da nichts Verpöntes, sondern, im Gegenteil, "etwas Wichtiges und Heiliges, das Freude machen soll. Diese Lebensfreude, dieses Hängen am Leben ist für das Judentum fundamental. Das Leben ist das höchste Gut, das wir bekommen haben."

Deshalb jetzt diese bunte, wie glücksbesonnte Ausstellung. Sie beginnt, buchstäblich, bei Adam und Eva, mit Bildern von Chagall und Arik Brauer vor riesigen Gobelins, die André Heller entworfen hat, Inhaber eines eigenen Paradieses in Marrakesch. "In einer Krise", sagt die Direktorin, "suchen Menschen Zerstreuung. In der heutigen Situation will man nicht noch einmal etwas Belastendes, das einen an Dunkles und Trauer erinnert."

Deshalb folgen Interviews mit Rabbinern über die Kabbalah, in der die Sexualität geheiligt wird, Videos von Hochzeitsfeiern und Bilder des rituellen Reinigungsbades, das Mikwe genannt wird. Man kann auch einen Schritt unter den jüdischen Hochzeitsbaldachin tun, sich mit den als Pornografen begeiferten Schriftstellern Arthur Schnitzler und Hugo Bettauer solidarisieren, epochalen Aufklärern von Freud und Lazarsfeld bis Carl Djerassi und Ruth Westheimer danken und beim ersten koscheren Sexshop in Jerusalem fündig werden.

Auch ein Blick ins Verdrängteste wird getan, in den Todesstreifen zwischen Holocaust und Sexualität.

Arik Brauer und Prinz Charles

Schön war es, hier zwölf Jahre gestalten zu können, sagt die Direktorin. Arik Brauer hat hier eine späte Heimat gefunden, schon Danielle Speras jüdischer Vater war mit ihm befreundet. Beide hatten im Versteck überlebt und sich nach 1945 begeistert der KPÖ angeschlossen.

Edmund de Waal, der Schöpfer des Hasen mit den Bernsteinaugen, hat dem Museum sein von aller Welt begehrtes Archiv geschenkt. Der Filmpionier Eric Pleskow ging hier ein und aus, und die Kinder der Filmschauspielerin Hedy Lamarr hätten in der Geburtsstadt der Mutter gern einen ständigen Raum des Gedenkens, das wird für Danielle Spera eine der ersten Aktivitäten im neuen Leben sein.

Oder Prinz Charles, der 2017 Wien besuchte und sich aus all dem verschwenderischen Freizeitangebot nur das Jüdische Museum erwählte. Nach wochenlangen sicherheitstechnischen Vorkehrungen setzte er sich zu den fassungslosen Teilnehmern eines Flüchtlingsprogramms. Anschließend nahm er für sein Land den Dank hochbetagter Überlebender entgegen, die über britische Flüchtlingsprogramme dem Massenmorden entkommen waren.

© Michael Rausch-Schott "ER". Der Name des Scheusals fiel in der aus Wien emigrierten Familie des Kunstsammlers Stefan Edlis nie. Jetzt kniet "er" im Jüdischen Museum zwischen stilisierten Bücherwänden

Und jetzt? Die Suche nach einem Gedenkraum für Hedy Lamarr ist glücklich weit gediehen, ein Forschungsprojekt über den jüdischen Semmering soll zum Buch werden. Das Theatermuseum sollte an einer Ausstellung über den Schriftsteller Ephraim Kishon interessiert sein.

Der letzte Rundgang endet. Nebenan würdigt eine kleinere Ausstellung den jüdischen Kunstsammler Stefan Edlis. Und da, zwischen zwei Stellagen mit stilisierten Büchern, kniet "Er". Der Name Hitlers wurde in der aus Wien emigrierten Familie nie ausgesprochen, aber die Skulptur des Bildhauers Maurizio Cattelan stand im Wohnzimmer des 2019 verstorbenen Edlis.

Den Unhold hier auszustellen, ist ein starkes Stück frontaler Pädagogik, unvorstellbar in jeder anderen Konstellation. Am Ende auch in jeder anderen Direktion? Man wird sehen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25+26/2022 erschienen.