Witwer spricht erstmals: "Das
ist unsere Liebesg'schicht"

Persönliche Erinnerungen an seine Frau

Im März verstarb die große Elizabeth T. Spira, nun sorgt ihr TV-Vermächtnis noch einmal für Topquoten. Spiras Witwer, der Schauspieler Hermann Schmid, über die außergewöhnliche Beziehung zu seiner "Toni".

von Elisabeth T. Spira - Witwer spricht erstmals: "Das
ist unsere Liebesg'schicht" © Bild: News Vukovits Martin

Jeden Vormittag, immer so zwischen neun und zehn Uhr, zieht es Hermann Schmid raus aus seiner 150-Quadtratmeter-Wohnung im dritten Wiener Gemeindebezirk, runter zum Ring, rein ins Café Prückel. Allein, sagt er, sei ihm seine Wohnung viel zu groß und die Einsamkeit ein übermächtiger Untermieter.

© Ricardo Herrgott

Doch das Café, das ist ein Ort der Erinnerungen, seine verstorbene Frau, die gefeierte TV-Journalistin und Dokumentaristin Elizabeth T. Spira, mochte ihn ganz besonders. "Von meinem Leben ein Stückel hab' ich verbracht im Prückel", schrieb sie vor ein paar Jahren ins Gästebuch.

Erst eine Melange, dann ein Mokka mit drei Gläsern Wasser: Der ehemalige Burgschauspieler Hermann Schmid, 80, hält sich an Rituale, die ihm dabei helfen sollen, den Verlust erträglich zu machen. An kleine Dinge, die sich immer wieder aufs Neue wiederholen, gewissermaßen als Gegenentwurf zur Endgültigkeit.

Die unbekannte Spira - was sie dachte & fühlte

© News Vukovits Martin

"Ich vermisse vor allem ihre Warmherzigkeit", sagt er. Sie, die Jüdin, nannten ihn ironisch "meinen Goi", auf Jiddisch heißt das so viel wie Nicht-Jude. Er nannte sie ganz einfach "Toni", bei ihrem Zweitnamen, der ihrem Vater im Widerstand gegen die Nationalsozialisten als Deckname gedient hatte. 39 Jahre waren sie verheiratet gewesen. Am 9. März 2019 verstarb sie 76-jährig. "Bis eine Woche vor ihrem Tod saß sie noch im Schneideraum", erzählt der Witwer.

Eine Ahnung vom Ende

Alle 42 Interviews der 23. Staffel ihrer "Liebesg'schichten und Heiratssachen", die am vergangenen Montag auf ORF 1 startete, hat Spira trotz angegriffener Gesundheit noch selber geführt. Oder, besser gesagt: ihrer angegriffenen Gesundheit zum Trotz. "Sie wusste, dass es zu Ende geht", sagt Hermann Schmid. "Doch sie wollte keine lebensverlängernden Maßnahmen, hat sich nicht an alles und jedes gehalten, was der Arzt von ihr verlangte -denn da war das Gefühl eines erfüllten Lebens."

Die rollende Sauerstoffflasche etwa, die sie hinter sich nachziehen sollte, aus der sie atmen sollte, sei ihr zuwider gewesen. Wie ein Symbol der eigenen Hinfälligkeit, ganz einfach unzumutbar und unerhört. "70 ist ja fast ein Triumph", habe sie ihrem Mann bereits vor gut sechs Jahren erklärt. Und: "Ich muss mich körperlich sehr zusammenreißen, damit meine jungen Mitarbeiter keine blöden Witze über mich machen - wenn ich zum Beispiel länger brauche, um ins Auto zu steigen."

»Ich habe ihre Stimme vom ersten Moment an geliebt«

Ja, genau so habe sie das gesagt. Mit ihrer tiefdunklen Reibeisenstimme, die -neben der unbändigen Haarkrause -über Jahrzehnte zu einer Art Markenzeichen geworden ist. Ein unplanmäßiges Markenzeichen, eines, das ihr eher passierte, durch zwei, drei Tschickpackerln pro Tag.

"Ich habe ihre Stimme vom ersten Moment an geliebt", sagt Schmid. Irgendwann mit Anfang sechzig habe sie dann zwar das Qualmen aufgegeben, doch die Tonlage blieb unverändert und deren Nebenwirkungen verstärkten sich zusehends. Und so waren es Spiras engste Mitarbeiterinnen, die nun ihr TV-Vermächtnis fertigzustellen hatten.

Die legendäre Kuppelshow

Und so ist der heurige Sommer für die TV-Nation noch einmal ein Sommer wie immer, und doch der letzte seiner Art: Noch einmal geht die legendäre Kuppelshow auf Sendung, noch einmal wird sie Montag für Montag um 20.15 Uhr knapp eine Million Zuschauer an die Fernseher fesseln.

So viele, wie in Zeiten der Mediensegmentierung sonst nur noch ein paar handverlesene Skirennen und Fußballspiele. Oder Mondlandungen. Österreich, ein Land bleibt Spira. Und auch Hermann Schmid wird wieder einschalten, diesmal vielleicht gemeinsam mit Freunden, alleine würde es ihm noch zu schwer fallen. "Das ginge zu sehr auf die Tränendrüse", sagt er -und lächelt ein wenig.

Kitsch als Kontrapunkt


"Mein Herz für ein Herz zu geben, für alle Zeit", raunt Peter Kraus als Signation, und diesmal klingt es doppelt wehmütig. Dann der Marzipanschriftzug auf Tortenhintergrund, der vor jedem Beitrag den Vornamen des Kandidaten ausweist. Dann die Zwischensequenzen, in denen Gott Amor in Form eines Plastikengerls über den Bildschirm schaukelt.

»Dass ich bei den Zuschauern so beliebt bin, macht mich ein bisschen misstrauisch«

Dazu auch noch dieses eindringlich schmatzende Kussgeräusch aus dem Off -keine Frage: Spira setzt, Spira setze, Kitsch ganz konsequent als Kontrapunkt zur ewigen Volkskrankheit Einsamkeit, die trotz Parship, Facebook und Tinder nichts an Intensität verloren hat. Der ganz alltägliche Abgrund, gesüßt bis zur Hauptabendtauglichkeit.

"Dass ich bei den Zuschauern so beliebt bin, macht mich ein bisschen misstrauisch", vertraute Spira ihrem Mann einmal an. Und der schrieb es auf, wie so viele andere beiläufig hingestreute Sinnsprüche und Aphorismen seiner Frau, die er News nun zur Veröffentlichung überließ.

Von Einsamkeit und Sehnsüchten

© News Vukovits Martin / Repro Bild mit Seltenheitswert: Die junge Spira mit ausgeföhnten Haaren

"Wir versuchen, über die Einsamkeit und die Sehnsüche in die österreichische Realität zu schauen." Auch das hatte sie ihm einmal über ihre Arbeit gesagt, und er hatte es gewissenhaft notiert. Einsamkeit, Sehnsüchte. Irgendwann, in einer Zeit nach dem gröbsten Schmerz, wäre vielleicht auch er ein typischer Kandidat für die "Liebesg'schichten" geworden. Wäre. Denn dass das Erfolgsformat trotz verlockender Quoten unter anderer Patronanz als jener seiner Frau fortgeführt werde, das kann er sich beim besten Willen nicht vorstellen. "Sie liebte die Menschen, und ihre Art, sie zu porträtieren, war letztendlich verantwortlich für die Quote." Alte Sendung sucht neue Frontfrau, nein, nein, so einfach sei das ganz sicher nicht.

Die Blitz-Hochzeit

22 Staffeln mit 222 Folgen und knapp 1.100 Kandidaten sind bisher über Österreichs Bildschirme geflimmert, 296 Damen und Herren haben ihr Glück gefunden, 46 sogar geheiratet. Wann genau er selbst seine Toni heiratete, daran kann sich Schmid nicht mehr erinnern. Aber wie, das weiß er natürlich noch. Denn es ist so was wie der offizielle Beginn seiner eigenen Liebesg'schicht -und der ganz persönlichen Liebesg'schicht der Elizabeth T. Spira.

© News Vukovits Martin / Repro Spira und Schmid heirateten ganz spontan

"Es war im März 1980, und es waren nur zwei Freunde als Trauzeugen anwesend", erzählt Schmid. Denn die Hochzeit selbst war für das Brautpaar, die aufstrebende Journalistin und den vielversprechenden Schauspieler, eigentlich nur ein notwendiger Formalakt. Unumgänglich, um die kleine Hannah adoptieren zu können, das gerade einmal vier Wochen alte Baby, das die Frischvermählten kurz nach der Trauung aus der Semmelweißklinik abholten.

»Wir waren so gelöst, so glücklich«

"Sie war so wunderschön, wie sie da so friedlich in ihrem Bettchen lag, wir haben uns sofort entschieden", erinnert sich Schmid. Das war an einem Samstag, und er kam frisch von den "Othello"-Proben im Schauspielhaus, wo er den Jago spielte. Spira war damals noch rasende Reporterin beim "Express" und eiste sich auch direkt vom Job los. Doch nun war da auch Hannah, und es musste eilends eine Kinderkrippe besorgt werden und ein Kindermädchen. "Andere haben neun Monate Vorbereitungszeit, wir hatten gerade einmal zwei Tage." Und dennoch: Die Heimfahrt mit Hannah vom Krankenhaus, die erste kleine Reise als Familie, blieb Schmid bis heute detailgetreu im Gedächtnis. "Ich erinnere mich genau: Wir waren so gelöst, so glücklich, unterwegs haben wir ,Back in the U.S.S.R.' von den Beatles gehört."

Prototyp einer emanzipierten Frau

Spira, das war der Prototyp der emanzipierten Frau, die großbürgerliche Linke, die sich, was nur wenige "Liebesg'schichten"-Fans wissen, den Kampf gegen die augenscheinlichen und verborgenen Faschismen in unserer Gesellschaft zur Lebensaufgabe gemacht hatte.

© News Vukovits Martin / Repro Spira (vorne links) mit Mutter und jüngerer Schwester Margaret im Exil in London

"Dafür habe ich sie bewundert, ich glaube, es ist nicht übertrieben, zu sagen: Durch sie habe ich erst richtig zu denken gelernt", sagt Schmid. Und zwar von dem Moment an, in dem er die Frau mit den großen, dunklen Augen und den langen, damals noch ausgeföhnten, schwarzen Haaren im Café Dobner neben dem Theater an der Wien zum ersten Mal traf. An Angela Davis, die amerikanische Bürgerrechtlerin, habe sie ihn auf den ersten Blick erinnert. "Zum Glück hat sie mich angesprochen, ich wäre viel zu schüchtern gewesen."

Das Prinzip Hermann

Schmid selbst stammt aus der Kärntner Provinz und aus bescheidensten Verhältnissen und heißt, wie er sagt, eigentlich nur deswegen Hermann, weil man das im Jahr 1939, pragmatisch auf Göring schielend, für eine vernünftige Namenswahl hielt. Spira hingegen, das jüdische Mädchen, wohnte nach der Rückkehr aus dem englischen Exil bis zu ihrem neunten Lebensjahr mit ihren Eltern und der jüngeren Schwester in einem Hinterzimmer der KP-Zentrale Hütteldorf. Die schöne, große Wohnung ihrer Großmutter war arisiert worden und nach dem Krieg noch lange besetzt. Viele Menschen aus dem Umfeld der Spiras hatten den Holocaust nicht überlebt, und so begann sie, eingedenk der unzähligen Toten, eines Tages für immer Schwarz zu tragen.

Als sie dann später, in den Achtzigern, zur Zeit der Waldheim-Affäre, auf dem Stephansplatz mit Gleichgesinnten Mahnwache hielt, sei, wie Schmid sich erinnert, plötzlich eine Dame auf seine Frau zugestürzt, habe mit dem Finger sierend erhobenem Zeigefinger, sondern in ihren tiefgründigen Filmen, allen voran den "Alltagsgeschichten".

Eine Jägerin der Naziseele sei sie, eine, die ständig grabe und daher auch ständig was finde, so habe sie das Schmids Notizen zufolge einmal im privaten Kreis formuliert. Und seine Kollegen von der Burg, die hätten für ihre Rollen in Volksstücken akribisch die Typen studiert, die seine Frau in ihren Arbeiten porträtierte.

Provokateurin aus Leidenschaft

Nein, diese Elizabeth Toni Spira, mit der wir heuer zum letzten Mal unseren Sommer verbringen, sah sich gar nicht so sehr als die "Kupplerin der Nation", als die sie immer wieder etikettiert wird -sondern eher als leidenschaftliche Provokateurin, geprägt von einer Gesellschaft, die eigentlich nur vergessen wollte und unangenehme Wahrheiten nach Möglichkeit vergrub, statt wie Spira kompromisslos nach ihnen zu schürfen. Spira fragt, Spira bohrt -und wir sind geschockt, gerührt, ergriffen: vom Abnormalen, das sie hinter der trügerischen Normalität hervorkitzelt.

Jeden Vormittag, so zwischen neun und zehn Uhr, raus aus der verwaisten Wohnung, runter zum Ring, rein ins Café, erst eine Melange, dann ein Mokka mit drei Gläsern Wasser: Hermann Schmid hält sich an Rituale, die ihm dabei helfen sollen, den Verlust erträglich zu machen.

Manchmal fragt er sich, wie das wohl wäre, wenn Elizabeth T. Spira jetzt reinkäme, um ihn, unbekannterweise, als Kandidaten für ihre "Liebesg'schichten" zu interviewen. Ob er seine verstorbene Frau denn vermisse, würde sie ihn dann, wie jeden Witwer, fragen. "Ja", würde er antworten. Es ist einer dieser Momente, wo sich Vorstellungen und Realität überschneiden.