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Evelyn Palla, Bettina Orlopp, Karin Rådström und Co.: Frauen fürs Grobe

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Evelyn Palla

©Annette Riedl / dpa / picturedesk.com

Wenn es in Unternehmen bergab geht, werden oft Frauen in Vorstandspositionen berufen. Ein klares Muster, meinen Wirtschaftsexperten. Die Chefin als Signalfigur – und auf der „gläsernen Klippe". Ein Phänomen, das Chancen eröffnet, aber auch Risiken birgt.

Sie wolle den Konzern auf „links drehen“: Mit dieser Aussage sorgte die neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Evelyn Palla, in den vergangenen Tagen für reichlich Gesprächsstoff. Die Südtirolerin steht seit dem 1. Oktober an der Spitze des deutschen Staatsunternehmens und kündigte einen radikalen Neustart an, um die Deutsche Bahn wieder auf Schiene zu bringen.

Damit hat sie sich eine Mammutaufgabe vorgenommen. Die Bahn kämpfte in den vergangenen Jahren nicht nur mit sinkender Kundenzufriedenheit und mangelnder Pünktlichkeit, sondern auch mit erheblichen finanziellen Verlusten: Im ersten Halbjahr verzeichnete der Konzern ein Minus von 760 Millionen Euro – der Verlust hat sich damit gegenüber dem Vorjahr zwar um fast eine Milliarde verringert, doch wirtschaftlicher Erfolg sieht anders aus.

Den Karren aus dem Dreck ziehen

Palla steht nun vor der Aufgabe, die DB strukturell und kulturell neu auszurichten. Auch andere deutsche Großunternehmen setzen auf weibliche Führung in herausfordernden Zeiten: So ernannte die Commerzbank 2024 Bettina Orlopp zur Vorstandsvorsitzenden. Sie übernahm den Posten von Manfred Knof, just in einer Phase, in der sich die Bank in einem Übernahmestreit mit der italienischen UniCredit befand.

Im selben Jahr übernahm auch bei Daimler Truck erstmals eine Frau die Unternehmensführung: die schwedische Ingenieurin Karin Rådström. Ihr wird medial zugeschrieben, den Konzern erfolgreich restrukturiert und eine „Renditenrevolution“ ausgelöst zu haben. Medien lobten ihre klare strategische Handschrift und die Tatsache, dass sie als erste Frau an der Spitze des größten Lkw-Herstellers der Welt steht. Ihr Führungsstil – ähnlich wie jener von Orlopp und Palla – gilt als mitarbeiterorientiert, verbunden mit hohen Leistungsanforderungen und einem klaren Fokus auf Kundenzufriedenheit. Alle drei stehen für ein neues Führungsverständnis: zahlenbasiert, kooperativ, motivierend. Teamwork statt Einzelkämpfertum – und vor allem: anders als ihre männlichen Vorgänger.

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Seit Bettina Orlopp das Ruder bei der Commerzbank übernahm, hat sich der Aktienkurs verdoppelt.

 © Getty Images

„Ich wusste, dass ich das kann. Da war ich mir in der Situation sehr sicher“, sagte Orlopp nach ihrer Ernennung in einem Statement. „Das Wichtigste in dieser Situation ist, dass man sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, dass man die Organisation zur Ruhe bringt, selbst wenn von außen Unruhe produziert wird.“

Damit bringt Orlopp es auf den Punkt. Denn empirische Befunde zeigen: Frauen in Führungspositionen gelten insbesondere in Krisenzeiten ­als Personen, die Struktur, Ruhe und Orientierung in Organisationen bringen können.

Gläserne Klippe

Sich unter schwierigen ­wirtschaftlichen Bedingungen beweisen zu müssen, ist für viele weibliche CEOs kein Zufall, sondern ein wiederkehrendes Muster, bekannt als „Gläserne Klippe“. Das Phänomen beschreibt die erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Frauen gerade in Krisenzeiten in Führungspositionen berufen werden. Geprägt wurde der Begriff 2005 von den britischen Professoren Michelle K. Ryan und Alexander Haslam an der University of Exeter. Ihre Untersuchung von FTSE-100-Unternehmen zeigte: Firmen, die Frauen in den Vorstand beriefen, hatten in den Monaten zuvor häufiger schlechte Ergebnisse erzielt.

Business-Coachin Vera Steinhäuser präzisiert: „Während die gläserne Decke unsichtbare Barrieren meint, die Frauen am Aufstieg in Führungspositionen hindern, bezeichnet die ‚gläserne Klippe‘ die Situation nach dem Aufstieg: Frauen werden überdurchschnittlich oft dann in Führungspositionen berufen, wenn das Risiko zu scheitern besonders hoch ist – also etwa in Krisenzeiten, bei angeschlagenen Unternehmen oder chaotischen politischen Lagen.“ Ein Beispiel aus der Politik liegt nahe: Beate Meinl-Reisinger übernahm ihr Amt in einer Phase außen- und sicherheitspolitischer Umbrüche und führt seither das österreichische Außenministerium mit klarem pro-­europäischem Kurs.

Manchmal Kalkül, manchmal Signal

Hinter solchen Ernennungen steckt mitunter ein ehrliches Bekenntnis zu Vielfalt und Wandel, oft aber auch strategisches Kalkül, wie Steinhäuser betont: „In solchen Fällen sollen Frauen retten, was zu retten ist.“ Ein klassisches Beispiel für die gläserne Klippe, so die Expertin: „Frauen werden nicht einfach gleichberechtigt befördert, sondern häufig strategisch in Risikosituationen platziert, wo sie dann kaum eine faire Chance haben.“

Gleichzeitig, so Steinhäuser, könne man diese Situationen auch strategisch nutzen: „Wer eine Krisensituation strategisch annimmt, kann ein starkes Profil als Problemlöserin entwickeln, sichtbar werden, Netzwerke erweitern, und Führung neu definieren. Nicht über Kontrolle, sondern über Kooperation, Empathie und Klarheit.“

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 © Theresa Kaindl

Zahlen zeigen zudem, dass nach weiblichen Krisenmanagerinnen häufig wieder Männer folgen – was auch mit der geringen Gesamtzahl weiblicher Führungskräfte zusammenhängt. Doch selbst wenn die „gläserne Klippe“ ein strukturelles Problem bleibt, kann sie zugleich eine Bühne sein. „Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Studien, die zeigen, dass Frauen in Führungsrollen oft ebenso gut oder in bestimmten Aspekten sogar besser führen als Männer“, weiß Steinhäuser. „Wichtig ist zu verstehen: Führung ist kein monolithischer Begriff. Gut führen heißt in der Forschung oft: Effektiv, transformational, fair, kommunikativ, innovationsfördernd.“

Vielleicht zeigt sich gerade in Krisenzeiten, dass Wandel nicht durch Brüche entsteht, sondern durch neue Perspektiven – und jene, die den Mut haben, sie einzunehmen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2025 erschienen.

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