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Thomas Gindele: „In Österreich versucht man, die Menschen so viel wie möglich zu schonen“

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17 min

Thomas Gindele

©Bild: Matt Observe

Österreich hofft auf deutsche Impulse, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Doch das allein wird nicht reichen, sagt Thomas Gindele, Chef der Deutschen Handelskammer in Österreich. Ein Gespräch über Versäumnisse, Handlungsspielräume und nötige Ehrlichkeit.

Wenn Sie Deutschland und Österreich vergleichen: Wer ist mit Blick auf Ansagen in Richtung Wirtschaftspolitik – beide Länder haben neue Regierungen – gerade mutiger?

In beiden Ländern herrscht ein politischer Handlungsdruck, die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung deutlich zu verbessern. Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und muss diesem Anspruch nach drei Jahren Rezession bzw. Stagnation endlich gerecht werden. Das setzt natürlich die Regierung entsprechend unter Druck. Die ersten Ansätze zeigen, dass die Regierung es verstanden hat, dass sie die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessern muss. Auch Österreich erhofft sich dadurch Impulse. Was Österreich machen muss, hat aber einen anderen Hebel. Da geht es in erster Linie um die Strukturen im eigenen Land.

Was stimmt mit Blick auf Deutschland vorerst zuversichtlich?

Es ist ein Anfang, der durchaus richtige Zeichen setzt – z. B. höhere Abschreibungsmöglichkeiten für Neuinvestitionen, eine geplante Körperschaftsteuersenkung, eine gezielte Förderung, um die Elektromobilität weiter voranzubringen. Aber das reicht noch nicht aus.

Rentner, die weiterarbeiten wollen, können monatlich 2.000 Euro steuerfrei verdienen …

Auch das zielt in die richtige Richtung. Am Ende muss ein Gesamtpaket geschnürt werden, um das Weiterarbeiten im Alter zu verbessern. Was die Unternehmen in diesem Zusammenhang brauchen, ist eine Lohnkostenentlastung. Die Rahmenbedingungen müssen agiler, flexibler, schneller gestaltet werden.

Wie groß ist der Handlungsspielraum für Unternehmen und wann ist jedenfalls die Politik am Zug?

Die Unternehmen handeln ja schon tagtäglich, aber leider nicht in dem Sinne, wie es für eine Volkswirtschaft sinnvoll wäre. Sie warten auf investitionsfreundlichere Rahmenbedingungen. Und sie sind derzeit damit beschäftigt, auf die schwache Nachfrage – besonders in der Industrie – mit Kostensenkungen zu reagieren. Dabei geht es auch in Richtung Verlagerungen in Länder, wo man günstiger produzieren kann. Oder man versucht, die Entwicklung durch Personalabbau in den Griff zu kriegen. Diese Phase wird sich fortsetzen. Die Firmen nutzen die Gelegenheit, sich jetzt auf Effizienz zu transformieren. Ein anderer Punkt ist das Thema Energie. Da bleiben Österreich und Deutschland international wenig wettbewerbsfähig. Am Ende braucht es die Perspektive, dass auch der Markt wieder günstigere Energie zur Verfügung stellt. Denn irgendwann wird es sich der Staat nicht mehr leisten können, die Energiepreise dauerhaft zu subventionieren.

Viele österreichische Unternehmen und auch die österreichische Regierung setzen große Hoffnungen auf das deutsche Konjunkturpaket. Berechtigt?

Das Grundlegende an dem deutsch-österreichischen Wirtschaftsverhältnis ist die enge Vernetzung. Die österreichische Industrie ist als Zulieferer, als Systemlieferant nah an Deutschland dran. Insofern ist diese Hoffnung nicht ganz unberechtigt. Auch Deutschland ist stark vom Standort Österreich abhängig. Die Hoffnung alleine reicht aber nicht aus. Man darf jetzt da nicht den Fehler machen, zu glauben, wenn Deutschland anzieht, dann hat Österreich in diesem Fahrwasser wieder die Möglichkeiten, ebenfalls weiter zu wachsen. Es müssen die eigenen Hausaufgaben gemacht werden. Es muss an den Standortfaktoren gearbeitet werden. Jenen Unternehmen, die Produktionseinheiten in Osteuropa haben, geht es deutlich besser als jenen, die nur auf den Standort Österreich angewiesen sind.

Österreich ist ein sehr konsensorientiertes Land. Maßnahmen, die mit Verzicht einhergehen, scheut man sehr

Inwieweit ist dieses Abwarten, was die Deutschen tun und auch das Hoffen, dass sie etwas tun, ein Ausdruck von wirtschaftlicher Unfähigkeit?

Diese Wahrnehmung kann man durchaus haben. Ich gebe zu, als sich in Österreich eine neue Regierung gebildet hat, war seitens der Wirtschaft die Vermutung da, dass sie jetzt wissen, was zu tun ist. Aber eigentlich hat man eher damit begonnen, nochmal in die Analyse zu gehen. Maßnahmen scheinen noch in der Pipeline zu sein. Da wissen wir nicht ganz genau, was kommt. Man muss aber auch einräumen, dass angesichts der öffentlichen Haushaltslage die Spielräume begrenzt sind. Es gibt keine Mittel, um jetzt ein Innovationsschubprogramm aufzubauen. Aber man muss offen darüber reden, wie man sich etwaige Spielräume dafür erarbeiten kann. Man muss nachdenken, wo die zukünftige Priorisierung in den öffentlichen Mitteln stattfinden wird. Diese Diskussion muss schnell geführt werden.

Woran liegt es, dass nichts weitergeht?

Österreich ist ein konsensorientiertes Land. Man versucht, die Menschen im Land so viel wie möglich zu schonen. Maßnahmen, die beispielsweise mit Verzicht einhergehen, scheut man sehr. Das macht es schwierig, klare Maßnahmen zu setzen und zu sagen: Jetzt müssen wir die Priorität zum Beispiel auf die Unterstützung der Wirtschaft setzen. Stattdessen wird versucht, möglichst vieles auszugleichen. Was die Lohnkostenentwicklungen betrifft – auch wenn das nicht vordergründig eine staatliche Aufgabe ist –, sollte man sich an den Wachstumsentwicklungen orientieren statt an der Inflation.

Österreich hat die höchsten Arbeitskosten – noch vor der Schweiz –, zeigt eine aktuelle OECD-Studie …

Mit der Schweiz sucht keiner wirklich gerne den Vergleich. Wenn Sie sich die öffentlichen Haushalte ansehen, sieht es ganz, ganz anders aus. Es gibt viel weniger Transferleistungen. Die Menschen sind auch viel stärker auf Eigenverantwortung ausgerichtet. Die Schweiz hält durch ökonomische Stärke zusammen, die durch den Druck hoher Kosten, die in dem Land vorherrschen, getrieben ist. Ob die Schweiz etwas teurer oder günstiger ist, ist letztlich zweitrangig. Man muss das Gesamtpaket sehen. Man kann in der Schweiz effizienter arbeiten, weil zum Beispiel die Steuern für die Unternehmen günstiger sind. In der Schweiz kann bis zu 45 Stunden gearbeitet werden, der Durchschnitt liegt bei 42. Sie haben weniger Feiertage, weniger Urlaub. Das macht was aus.

Wir müssen mehr arbeiten, sagt auch die Politik in Deutschland und Österreich.

Wir diskutieren das immer vor dem Hintergrund, dass wir zu behäbig geworden sind. Ich würde das so nicht unterschreiben. Ich glaube, dass unsere Gesellschaften gleichermaßen sehr leistungsbereit sind. Wir haben uns auf früheren Erfolgen ausgeruht – und es fehlt an Motivation für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt. In der Vergangenheit hieß es ja immer: Was wollt ihr in der Wirtschaft? Die Menschen haben Beschäftigung, ist doch alles okay. Das war ein Trugschluss. Wir müssen die Leistungsbereitschaft mit der einen oder anderen Maßnahme effizienter gestalten. Der Druck ist da, weil wir absehbar nicht mehr ausreichend Menschen haben, um all die Aufgaben zu erfüllen.

Merz sagt diesbezüglich: „Deutschland ist ein Einwanderungsland …“ Braucht es diese Klarheit auch in Österreich?

Ja. Österreich hat die Rot-Weiß-Rot-Karte; Deutschland erkennt an, dass es in bestimmten Berufsgruppen nicht mehr notwendig ist, dass die Menschen als Grundvoraussetzung Deutsch können müssen. Es reicht auch Englisch aus. Aber es muss uns bei der Einwanderung klar sein, dass wir nicht erwarten können, dass die Menschen dasselbe Qualifikationsniveau haben, wie wir es haben. Wir müssen folglich die Menschen auf jenes Qualifikationsniveau bringen, mit dem wir gut arbeiten können.

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Gefühlt schaut die halbe Welt auf Deutschland. Ist es nur wieder dieser Zauber, der dem Anfang immer inne wohnt?

Also ein gewisser Zauber ist sicherlich dabei. Viele Minister kennt man ja in Deutschland gar nicht, die wollen sich jetzt bekannt machen und ihre Themen einbringen. Ich finde es gut, dass ein Fachmann damit beauftragt ist, das Thema Digitalisierung anzugehen. Ich hoffe, dass man sich nicht zu sehr im Klein-Klein verstrickt, weil man glaubt, dass digitale Lösungen auch in Zukunft immer alles Erdenkliche an Regulatorik abbilden müssen. Der öffentliche Druck, dass da was passiert, ist gerade deutlich größer als die Möglichkeiten, das schnell umzusetzen. Auch die Wirtschaftsministerin, die aus der Wirtschaft kommt, wird sich da das eine oder andere Mal die Zähne ausbeißen.

Stichwort Entbürokratisierung. Warum tun sich beide Länder so schwer, das einfach mal konsequent umzusetzen?

Weil es letztendlich auch immer darum geht, gewisse Interessen rauszunehmen. Die Bürokratisierung ist ja kein Ergebnis von unterbeschäftigten Staatsangehörigen. Vielmehr ist es eine Widerspiegelung gesellschaftlicher Interessen, die auf Regeln, Verlässlichkeit und Schutz ausgerichtet ist. Die Datenschutzverordnung soll vor unsachgemäßer Nutzung von persönlichen Daten schützen. Bauvorschriften haben wir, weil wir möglichst vermeiden wollen, dass ein Haus einstürzt. Das ist in der Regulatorik abgebildet. Entbürokratisierung kann am Ende nur funktionieren, wenn man auch fairerweise den Menschen vermittelt, dass wir damit auch ein Stück weit ein höheres Risiko eingehen und dass auch mal was schief gehen kann. Damit tun wir uns schwer – denn Sicherheit gilt mittlerweile als gesellschaftlicher Konsens. Ich kann ja beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aufschreiben, die Wirtschaft muss so und so agieren. Wenn sie es nicht tut, greifen wir ein und strafen. Aber es wird nicht ständig überprüft, ob das auch eingehalten wird.

Wie realistisch ist es, dass wir in solchen Dingen lockerer werden?

Die Menschen misstrauen der Wirtschaft. Generell haben viele die Auffassung, dass die Wirtschaft aufgrund ihrer Gewinnmaximierungsabsichten durchaus bereit ist, so manche unzulässigen Risiken einzugehen. Ja, auch das gibt es. Aber wir müssen zulassen, dass bestimmte Risiken entstehen. Ein Beispiel: Wenn sie in Europa das autonome Fahren weiter voranbringen wollen, müssen sie viel testen. Die Regulatorik schränkt hier enorm ein. Es darf auf keinen Fall in irgendeiner Form etwas passieren. Warum sind die Chinesen uns da voraus? Weil sie es im Realbetrieb auf den Straßen testen. Die Folgen spielen keine Rolle. Das geht natürlich bei uns nicht. Aber es zeigt die Unterschiede auf, warum andere schneller vorankommen.

Es gibt Stimmen, die sagen: Deutschland kann ein zweites Wirtschaftswunder schaffen. Gehen Sie mit?

Ich sehe momentan die Perspektive noch nicht. Die bereitgestellten Investitionen müssen erst umgesetzt werden. Es muss für eine schnelle Umsetzung der Projekte gesorgt werden. Das wird eine gewisse Zeit brauchen. Hoffnung habe ich, dass erste Impulse sich psychologisch auswirken. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir momentan auch ziemlich globale Verwerfungen haben, initiiert insbesondere durch die Zollpolitik der USA. Das bringt eine hohe Unsicherheit in die Wirtschaft. Da wäre es wünschenswert, dass es der Europäischen Union gelingt, verlässliche Absprachen mit den USA zu finden. Das wird nicht ohne Zölle gehen, aber am Ende hängt es davon ab, ob und wo die Unternehmen noch Spielräume haben.

Gerade für KMU in Österreich ist es nicht so einfach zu sagen: Ich packe jetzt mein Zeug zusammen oder ich habe überhaupt die Kapazitäten, nach Amerika zu gehen. In Deutschland sieht man gerade beim Klein- und Mittelstand eine Entglobalisierung. Das heißt, die Unternehmen konzentrieren sich immer stärker auf Europa, weil ihnen die Risiken in Übersee zu groß sind. Sie versuchen wieder stärker, in den europäischen Regionen ihre Geschäftsmodelle umzusetzen. Das kann zur Stärkung des europäischen Markts beitragen. Und interessanterweise ist das Hauptziel für den deutsche Klein- und Mittelstand Österreich und die Schweiz.

Der öffentliche Druck, dass da was passiert, ist deutlich größer als die Möglichkeiten, das schnell umzusetzen

Heißt das auch, dass die Warnungen vor Abwanderung überzogen sind?

Nein, wir sind mittendrin. Die wird sich auch fortsetzen. Österreich braucht ja immer diese wichtigen Meldungen: Unternehmen XY hat hier investiert, das andere dort. Aber den schleichenden Prozess der Abwanderung, den kriegt man gar nicht immer so mit – also wenn Unternehmen Stück für Stück hier bestehende Produktionskapazitäten nach Osteuropa verlagern. Mittlerweile gehen auch Service und Dienstleistungen immer mehr in diese Regionen. Zurück bleiben die Vertriebshüllen. Dieser Prozess ist weiter fortgeschritten, als viele glauben – er wird von Erfolgsmeldungen überlagert.

Aber wie kommen wir aus diesem Dilemma raus, die Löhne und Gehälter sind dort, wo sie sind – und sie richten sich vor allem an der Inflation aus?

Zurückhaltung wäre dennoch wünschenswert. Wir müssen die Diskus­sion auch mal ein Stück weit konfrontativ führen. Aber dafür fehlt am Ende der Mut. Diese in Österreich so bedeutende Sozialpartnerschaft ist sakrosankt. Die aktuelle Regierungskonstellation spiegelt das auch komplett wider.

Der deutsche Kanzler Friedrich Merz hat in seiner Regierungserklärung gesagt, im Sommer werden die Deutschen spüren, dass sich etwas verändert hat. Und in der Sogwirkung – Stichwort enge Verflechtung – würden das ja auch Österreicher spüren. Eine realistische Ansage?

Ja, ich denke schon. Deutschland muss der Wachstumstreiber in Europa sein und diesen Anspruch auch haben. Ich schenke Friedrich Merz den Glauben, dass er diese Impulse vermitteln und rüberbringen kann. Und das wird sich natürlich auf Österreich auswirken. Aber es wird nicht umhingehen, dass Österreich sich eigene Impulse setzt. Wir haben nach wie vor gute, kleine und große Unternehmen, die sehr wettbewerbsfähig unterwegs sind, die gute Technologien haben, die die Möglichkeit haben, ganz vorne mitzuspielen. Das ist ein gutes Fundament, aber es müssen jetzt die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um dieses Fundament auch wieder richtig zum Tragen zu bringen. Ich bin nicht unoptimistisch, aber ich glaube, es wird nicht in dieser Geschwindigkeit dauern, wie man es sich vielleicht wünschen würde.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 24/25 erschienen.

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