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Das an der MedUni Wien angesiedelte Referenzzentrum für postvirale Syndrome bietet auf seiner interimistischen Webseite (https://go.apa.at/41916GsD) umfassendes Informationsmaterial für Gesundheitsdienstleister. Neben Leitfäden für die Diagnose und Behandlung findet sich auch eine neue Zahlengrundlage für spezialisierte ME/CFS-Behandlungsstellen in der "extramuralen" Fachversorgung (z.B. Spezialambulanzen, Ambulatorien oder Fachzentren) in den Bundesländern. Ebenso haben die Leiterinnen des Referenzzentrums über ihre Tätigkeiten an der Medizinischen Universität Wien auch eine Empfehlung zu Struktur und Prozess dieser spezialisierten Behandlungsstellen herausgegeben (https://go.apa.at/5Ye4dYA3).
Grundsätzlich gibt es für die Diagnose von Post Covid oder ME/CFS nicht den "einen" Biomarker, etwa einen Bluttest. Allerdings sind zahlreiche Untersuchungen möglich, die die Diagnose untermauern bzw. Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) beweisen, was wiederum zu therapeutischen Konsequenzen führen kann. Für ME/CFS sollten darüber hinaus laut den Leitfäden die sogenannten kanadischen klinischen Diagnosekriterien verwendet werden.
Bei postviralen Symptomen (wie Post Covid oder auch ME/CFS) kommt es oftmals zu Schwierigkeiten mit der Kreislaufregulation in aufrechter Position (Orthostase-Probleme) wie POTS (übermäßiger Pulsanstieg) oder orthostatische Hypotonie (übermäßigen Blutdruckabfall). Dabei können auch Symptome wie Ohnmachtsgefühle, Schwindel, Schmerzen in den Beinen, Verfärbungen der Extremitäten, kognitive Störungen oder Bauchschmerzen auftreten. Grund ist eine Störung des autonomen Nervensystems, die eine Fehlregulierung der Blutgefäße zur Folge hat. Diese Störungen sind durch einen einfachen, aber etwas zeitaufwendigen Test leicht nachzuweisen (Schellong-Test). Noch detaillierter diagnostizieren lässt sich dies mittels eines Kipptischtests an spezialisierten Einrichtungen bzw. Krankenhäusern. Auch durch das autonome Nervensystem bedingte Magen-Darm-Probleme können durch Untersuchungen dargestellt werden.
Oftmals vorkommende Durchblutungsprobleme in den kleinen Kapillaren ("Mikrozirkulationsstörungen") sind u.a. durch spezialisierte Blutuntersuchungen oder mittels Kapillarmikroskopie nachweisbar, wie auch neueste Studien belegen. Ebenso im Labor bestimmt werden können Marker, die endokrinologische Störungen, Immundefizite oder Auto-Immunreaktionen untermauern, die allesamt bei postakuten Infektionssyndromen oft vorliegen.
Auch das oftmals begleitende Mastzellaktivierungssyndrom lässt sich durch Anamnese, spezialisiertes Blutlabor oder Gewebeprobe der Magen- oder Darmschleimhaut nachweisen. Im Labor bestimmbar ist darüber hinaus beispielsweise die Reaktivierung von "schlummernden" Viren wie dem Epstein-Barr-Virus (EBV).
Das Kardinalsymptom von ME/CFS - die Post-Exertional Malaise (PEM) - kann diagnostiziert werden, sofern der Zustand des Patienten eine derartige Belastung zulässt. Wichtig ist festzustellen, dass PEM nach einer (auch nur leichten) belastenden Tätigkeit auftritt, oft mit ein bis zwei Tagen Verzögerung beginnt und die Zustandsverschlechterung mindestens 14 Stunden anhält. Antrieb und Motivation sind dabei nicht beeinträchtigt. Zusätzlich möglich ist etwa die Messung der muskulären Erschöpfung der Handmuskulatur (Handkraftmessung) im Abstand von rund einer Stunde oder ein zwei Mal durchgeführter einminütiger "Sit-to-Stand"-Test im Abstand von einer Stunde. Wichtig ist, dass immer zweimal gemessen wird, da PEM erst nach der Aktivität auftritt.
Bei den Therapieoptionen gibt es derzeit keinen "heilenden" Ansatz, allerdings kann symptomatisch viel für die Patienten getan werden. POTS ist beispielsweise aus einer Kombination aus medikamentöser und auch konservativer Therapie behandelbar. Beim Vorliegen von Mikrozirkulationsstörungen oder einer Schädigung des Endothels (innere Schicht der Gefäße) können im sogenannten "Off Label" Einsatz etwa Blutverdünner oder auch Statine zur Anwendung kommen. Das Mastzellaktivierungssyndrom kann ebenso medikamentös behandelt werden, das gilt auch für Schlafstörungen und Schmerzen. Auch bei (wahrscheinlich durch Neuroinflammation ausgelösten) kognitiven Dysfunktionen gibt es medikamentöse Therapieansätze.
Relevant ist auch das Einhalten der individuellen Belastungsgrenzen ("Pacing") beim Vorliegen von PEM, was zwar keine therapeutische Option im Sinn einer Verbesserung ist, aber Verschlechterung verhindert.
Neben einer Stabilisierung der Patienten kann mit diesen symptomlindernden Behandlungen in vielen Fällen auch eine Verschlechterung der Erkrankungen verhindert werden, wie die Leiterinnen des Referenzzentrums anlässlich der Vorlage einer Off-Label-Medikamentenliste (abrufbar unter https://go.apa.at/3VYgzoOh) im Februar dieses Jahres betonten. Die Leiterinnen Untersmayr-Elsenhuber und Kathryn Hoffmann verwiesen darauf, dass die Medikamente von (Haus-)Ärzten verschrieben werden können, die Krankenkassen tragen die Kosten.
PRODUKTION - 03.05.2022, NA, --: Eine Frau liegt auf einem Kissen mit Kopfhörern gegen Geräusche...Menschen mit der Krankheit CFS sind oft schon von Kleinigkeiten stark erschöpft und reagieren zum Beispiel empfindlich auf Geräusche. (zu dpa: «Chronisch erschöpft: Seit Pandemie mehr ME/CFS-Erkrankte») Foto: dpa +++ dpa-Bildfunk +++