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Massiver Rückgang des Stichlings im Bodensee weiter ungeklärt

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Klimawandel setzt Fischbeständen im Bodensee zu
©APA, dpa, Felix Kästle
Der 2024 festgestellte, plötzliche und starke Rückgang des Stichlings im Bodensee gibt der Forschung weiter Rätsel auf. Der Bestand des zuvor massenhaft aufgetretenen, eingeschleppten Fisches sei erfreulicherweise weiter niedrig, "aber wir verstehen nicht, wieso", so Alexander Brinker von der Fischereiforschungsstelle Langenargen (Baden-Württemberg). Beim Felchen sehe man bereits eine Erholung. Insgesamt setzt der Klimawandel das Ökosystem Bodensee immer stärker unter Druck.

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Der Stichling existiert seit den 1950er-Jahren als gebietsfremde Art im Bodensee und verursachte ein Ungleichgewicht: Der bis zu zehn Zentimeter lange Fisch lebte im Uferbereich, bevor er 2012 ins Freiwasser wechselte, wo er sich explosionsartig vermehrte und in Nahrungskonkurrenz zum Felchen trat bzw. dessen Laich und Larven fraß. Felchen sind eine Leitart für die Ökologie im Bodensee und galten lange als "Brotfisch" der Berufsfischerei. Der Felchenbestand brach als Folge radikal ein, der Stichling machte dagegen bis zu 90 Prozent der Fische im Freiwasser aus.

Bei der Inventur-Befischung vergangenes Jahr fanden sich zur Überraschung der Forscher aber auf einmal kaum mehr Stichlinge. Diese Momentaufnahme bestätigte sich in Echolot-Fahrten inzwischen: Geschätzt 80 Prozent des Stichlingsbestands ist weg. Warum, ist völlig unklar: "Das kann ich heute genauso wenig beantworten wie vor einem Jahr", so Brinker gegenüber der APA. Man habe weiter nur Vermutungen. Bei einer Krankheit oder einem Parasiten müsste man tote Fische finden, was nicht der Fall sei. Eine weitere Vermutung ist, dass der laichraubende Sonnenbarsch, ebenfalls aus Aquarien eingeschleppt, die Stichlinge dezimiert haben könnte, dann bliebe aber weiter die Frage nach dem Verbleib der erwachsenen Tiere. Neue Forschungsansätze gebe es derzeit nicht, man beobachte die Situation weiter.

Gemeinsam mit dem seit 1. Jänner 2024 geltenden Fangverbot hilft der Stichlingsausfall jedenfalls dem Felchenbestand. "Die Felchen wachsen wieder gut, ihre Mägen sind voll, sie finden Beute und wir sehen wieder Gelege. Wir hätten uns das nicht besser wünschen können", berichtete Brinker. Es ist eine gute Nachricht unter vielen schlechten: Der Situation der Leitart setzte laut Brinker einen Kaskadeneffekt in Gang, der die Resilienz des Ökosystems Bodensees insgesamt verschlechterte. Mit Antennen in der Tiefe und besenderten Fischen dokumentieren die Forschenden derzeit die Bewegungen der Felchen, um herauszufinden, wie sich das wärmere Wasser im Klimawandel auf sie auswirkt. Dieser begünstigt invasive Arten im Bodensee, befeuert Nährstoffveränderungen, beeinflusst die Wasserzirkulation und entkoppelt aufeinander eingespielte biologische Prozesse.

Das wärmere Wasser ist beispielsweise eine Herausforderung für die Trüsche: Sie braucht für die Entwicklung ihrer Eier in der Tiefe im Winter unter fünf Grad kaltes Wasser. Die Temperatur in dem Bereich sei aber schon höher, so Brinker, sie müsste daher in flachere, kühlere Zonen ausweichen. "Wir hoffen, dass sie es lernt", sagte der Forscher. Gemeinsam mit den Fischbrutanstalten arbeite man ihrem Rückgang mit Schutzprogrammen entgegen. Für manch eine Art könnten die Veränderungen aber für eine Anpassung zu schnell verlaufen.

Wegen seiner Größe gilt der Bodensee als resilienter als kleinere Gewässer, reagiert träger, aber auch hier wird es laut Brinker jetzt "heikel". "Wir sehen, dass an vielen Stellen im See viel los ist - und nichts davon ist gut", so der Forscher über die Entwicklung. Man müsse den Klimawandel endlich stoppen, sonst drohten irreparable Schäden. 1962 lag die Wassertemperatur des Bodensees laut einer Auswertung des Seeforschungsinstituts Langenargen im Jahresschnitt bei 10,5 Grad, 2023 waren es bereits 13,6 Grad. Bis Ende 2027 erarbeitet im Rahmen des Interreg-Projekts "SeeWandel - Klima" eine internationale Forschungsgemeinschaft aktualisierte Vorhersagen der Folgen von Klimawandel und Neobiota für den Bodensee.

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