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EU-Klimaziele 2040: Wie sehen sie aus - und wann kommen sie?

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++ ARCHIVBILD ++ Bis 2050 will die EU klimaneutral werden
Es war gar nicht auf der Gipfel-Agenda und sorgte am Donnerstag in Brüssel dennoch für Aufregung. Angeführt von Frankreichs Emmanuel Macron zeigten sich einige Länder besorgt darüber, dass zu ambitionierte EU-Klimaziele die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Mitglieder schwächen könnte. Die Debatte kam direkt vor dem bereits einmal verschobenen und für Mittwoch erwarteten EU-Kommissionsvorschlag für das Klimaziel 2040. Eine Verschiebung der Bekanntgabe ist möglich.

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Festgelegt sind die Ziele für davor und danach: Bis 2030 möchte die EU die Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren, bis 2050 klimaneutral werden. Der Green Deal und das "Fit for 55" genannte Maßnahmenpaket waren Meilensteine der Kommission in Ursula Von der Leyens erster Amtszeit. Ihre zweite Präsidentschaft ist bisher von der Zurücknahme mancher vor allem von rechter und konservativer Seite als überschießend empfundenen Regelungen und Berichtspflichten gekennzeichnet.

Mit dem Klimaziel 2040 soll nun einerseits signalisiert werden, dass sich am Tempo der Transformationsagenda nichts geändert hat. Andererseits soll die EU dringend ihre Ziele für 2035 bekanntgeben, die bei der nächsten UNO-Klimakonferenz COP30 im November in Brasilien diskutiert werden. Angekündigt waren 90 Prozent für 2040, nur die konkreten Umsetzungspläne stehen noch aus. Darüber dürfte bis zuletzt gerungen werden - wobei in den folgenden Verhandlungen mit dem Rat und dem EU-Parlament ohnedies noch alles anders werden kann.

Eine der APA vorliegende interne Einschätzung zählt u.a. Italien, Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Kroatien zu jenen Ländern, aus denen der stärkste Widerstand gegen das 90-Prozent-Ziel geleistet wird. Frankreich habe demnach sehr weitreichende Bedingungen gestellt, wobei das Wirtschaftsministerium für 80 Prozent, das Europaministerium für ein Aussetzen der Diskussion um das 2040-Ziel sein soll. Doch selbst unter den Ländern, die zu den größten Unterstützern für starke Klimaanstrengungen gezählt werden - wie Dänemark, Schweden und die Niederlande - scheint eine internationale Ausweitung des bestehenden Emissionshandelssystems zur teilweisen Anrechnung auf die eigene Reduktion nahezu eine ausgemachte Sache. Deutschland hat etwa jüngst eine dreiprozentige Anrechenbarkeit internationaler Zertifikate ins Koalitionsabkommen aufgenommen. Staaten wie Italien plädieren für bis zu zehn Prozent.

Der Europäische Wissenschaftliche Beirat für Klimaänderungen hat sich Anfang Juni in einem Bericht für eine Nettoreduzierung der Treibhausgasemissionen um 90 bis 95 Prozent bis 2040 ausgesprochen und vor der Einbeziehung internationaler Emissionsgutschriften zur Erreichung des Ziels gewarnt: "Die dafür erforderlichen Technologien sind weitgehend vorhanden", ließ Jette Bredahl Jacobsen, stellvertretende Vorsitzende des Beirats, wissen: "Wenn wir Maßnahmen verzögern oder auf internationale Emissionsgutschriften setzen, riskieren wir, entscheidende Chancen zur Modernisierung der EU-Wirtschaft, zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze und zur Stärkung der Führungsrolle Europas im Bereich klimafreundlicher Technologien zu verpassen."

Aus Österreich gehört Keywan Riahi, Programmdirektor am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien, dem Beirat an. Sein IIASA-Kollege Daniel Huppmann sieht die ins Auge gefasste Einbeziehung internationaler Zertifikate in den europäischen Emissionshandel ebenso kritisch wie die anderen von der APA dazu befragten Klimaökonomen. Diese würde "auf jeden Fall eine Aufweichung der europäischen Klimaziele" bedeuten, so der Vorsitzende des Austrian Panel on Climate Change (APCC) zur APA, und gibt zu bedenken: "Um einen effektiven Beitrag zur globalen Emissionsreduktion leisten zu können, müsste ein großer administrativer und regulatorischer Aufwand betrieben werden, um die Effektivität internationaler Zertifikate zu gewährleisten und Greenwashing oder Betrug zu verhindern. Ich halte es für absurd, wenn EU-Lieferkettengesetz und Umweltstandards mit der Begründung des Bürokratieabbaus ausgehöhlt werden und gleichzeitig neue bürokratische Mechanismen für einen internationalen Zertifikatsmarkt mit zweifelhaftem Nutzen eingeführt werden."

Auch der Wirtschaftswissenschafter Karl Steininger vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz hielte einen internationalen Zertifikatehandel für "ein dubioses Instrument", dessen "Verlässlichkeit, Qualität und Belastbarkeit" kaum kontrollierbar wäre. Argumente mancher Gegner, es handle sich um eine Art neuer Kolonialismus, bei dem man auch in der Lösung der Klimakrise die Last Richtung Globalen Süden verschieben würde, kann Steininger dagegen nicht nachvollziehen: "Ich glaube, dass diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe ganz zentral ist - aber zusätzlich zu den 90 Prozent im Inland."

Auch Andreas Türk, Forschungsgruppenleiter für Internationale Klimapolitik und Ökonomik am Joanneum Research, sieht "eher die Vorteile für die Gastländer: Richtig eingesetzt wäre es ein Instrument des Technologietransfers und der Entwicklungszusammenarbeit." Huppmann plädiert dabei eher für Direktinvestitionen als für den "Umweg von komplexen und bürokratischen neuen Zertifikatsmärkten, die mit enormen Interessenskonflikten der beteiligten Unternehmen verknüpft sind".

Gravierend sieht Steininger die Bremswirkung, mit der ein neuer Zertifikatehandel den vorhandenen Schwung auf dem EU-Pfad Richtung Klimaneutralität nehmen könnte. "Wir sind auf einem guten Weg. Die bisherigen Ziele werden erfüllt oder sogar übererfüllt. Es braucht aber Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit, auch für die Unternehmen. Die 90 Prozent müssen innerhalb der EU erreicht werden. Davon abzurücken, wäre ein falsches Signal."

Ähnlich argumentiert auch Türk, der für größere Flexibilität plädiert, "aber innerhalb Europas". Zum Erreichen der Klimaziele könnten transnationale Projekte durchaus beitragen - weniger über den Zertifikatehandel, bei dem seine Treffsicherheit infrage stehe, als durch gemeinsame Anstrengungen, etwa beim Ausbau der europäischen Stromnetze, die durch immer stärkere dezentrale Einspeisung erneuerbarer Energie vor großen Herausforderungen stünden. "Wir dürfen Klimaziele nicht mehr national denken. Es braucht eine konzertierte europäische Anstrengung."

STUTTGART - DEUTSCHLAND: ++ ARCHIVBILD ++ (ARCHIVBILD VOM 10.4.2023) - FOTO: APA/APA/dpa/Christoph Schmidt

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