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Wissenschaft auf dem Weg zu Norovirus-Vakzinen

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++ ARCHIVBILD ++ Nicht nur auf Kreuzfahrten ein Problem: Noroviren sind gefährlich
©APA, dpa, Marcus Brandt
Mit mehreren hundert Millionen Erkrankungen und weltweit rund 200.000 Todesfällen pro Jahr sind Noroviren nicht nur Durchfall-"Plagegeister", sondern eine echte Gefahr - speziell für Babys und Senioren. Die Forschungen für schützende Vakzine sind relativ weit fortgeschritten, hieß es jetzt in der US-Ärztezeitschrift JAMA. Welches der Konzepte sich aber durchsetzt, ist noch nicht klar.

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Das Norwalk-Virus (Norovirus) "agiert" sprichwörtlich global. "Norovirus-Ausbrüche sorgen auf Kreuzfahrtschiffen weltweit für Unruhe", schrieb erst vor kurzem das deutsche Centrum für Reisemedizin (CRM). "Bis Anfang Mai wurden bereits 14 Ausbrüche der hoch ansteckenden Magen-Darm-Erkrankung auf Kreuzfahrten registriert - fast so viele wie im gesamten Vorjahr", stellten die Experten fest. "Wer sich auf eine Kreuzfahrt begibt, sollte sich bewusst sein, dass Noroviren unter den Bedingungen an Bord ideale Voraussetzungen für eine rasche Verbreitung finden - wie überall, wo viele Menschen auf engerem Raum zusammenkommen", betonte Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM.

Doch die Sache ist kein Luxustourismus-Problem. "Norovirus trägt zu fast 20 Prozent der Durchfallerkrankungen weltweit bei und verursacht jährlich etwa 200.000 Todesfälle. Zu den am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen gehören Kinder unter fünf Jahren, ältere Erwachsene und Menschen, die immungeschwächt sind. In Entwicklungsländern sind Todesfälle durch Noroviren bei Kindern häufig, was mehr als ein Drittel der weltweiten Zahl der Noro-Todesopfer ausmacht", schrieb vor kurzem Kate Schweitzer in der hoch angesehenen Zeitschrift der amerikanischen Ärztegesellschaft (JAMA).

Natürlich verbessern Hygienemaßnahmen zur Verhinderung von Infektionen, sauberes Wasser und einwandfreie sanitäre Einrichtungen die Situation. Doch noch immer wird der jährliche Schaden durch Norovirus-Erkrankungen auf rund 60 Milliarden US-Dollar (51,70 Mrd. Euro) geschätzt. "Aus diesen Gründen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2016 die Entwicklung eines Impfstoffs als Priorität festgelegt. Aber seitdem haben Impfstoffentwickler weiterhin Probleme damit, dafür eine sichere und effektive Option zu schaffen. Derzeit befindet sich eine Handvoll Kandidat-Vakzine in verschiedenen Stadien klinischer Studien, darunter eines, das in Form einer oralen Tablette angeboten würde - ein vielversprechender Ansatz für ein Virus mit einem so verheerenden Effekt in ärmeren Ländern", schrieb Kate Schweitzer.

Primär geht es bei den Entwicklungen nicht um Reiseimpfungen. "Niemand entwickelt einen Norovirus-Impfstoff, um den gelegentlichen Ausbruch auf einem Kreuzfahrtschiff zu vermeiden", sagte Buddy Creech, Chef der Vakzine-Forschung am Vanderbilt University Medical Center in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee. "Wir tun es, damit wir die Schwächsten der Welt vor potenziell verheerenden Krankheiten schützen können.

Was das Schaffen von schützenden Impfstoffstrategien so schwierig macht, sind die Übertragungsweise und die ureigenen Charakteristika der Viren, die von manchen Experten auch locker als "Ferrari unter den Viren" bezeichnet werden. William Schaffner, Professor für Präventivmedizin am Vanderbilt Medical Center: "Es ist nicht nur das Berühren von kontaminierten Oberflächen. Noroviren können sich auch über die Luft ausbreiten. Man kann das Virus auch einatmen - und nur eine 'Spur' davon ist genug für eine Infektion." Nicht nur das, Menschen, die sich von der Infektion erholt haben, können das Virus noch wochenlang weiter ausscheiden und verbreiten.

Hinzu kommt die große Anzahl an unterschiedlichen Virusstämmen und deren ständigen Mutationen. Basierend auf genetischen Unterschieden haben Forscher mittlerweile fast 50 verschiedene Norovirus-Typen identifiziert, die in zehn Gruppen aufgeteilt werden. Fünf dieser Gruppen sind dafür bekannt, Menschen zu infizieren, wobei der Genotyp I (GI) und GII am häufigsten sind. Ähnlich wie das Grippevirus verändern sich dominante Norovirus-Stämme und entziehen sich damit dem Immunsystem.

Es gibt mehrere Technologien, die in Zukunft für Norovirus-Impfstoffe sorgen sollen: Einer der fortschrittlichsten Impfstoffkandidaten enthält virusähnliche Partikel (VLPs), leere Strukturen, die Größe und Form des Erregers imitieren und an ihrer Oberfläche Antigene der Erreger eingefügt bekommen haben, aber nicht sein genetisches Material aufweisen. Diese Strategie wurde weltweit erfolgreich mit den HPV- und den Hepatitis B-Impfstoffen gegen Krebs umgesetzt. Entwickler haben mittlerweile positive Wirksamkeits- und Immunogenitätsdaten für eine solche Vakzine mit Erwachsenen als Probanden veröffentlicht. Bei Säuglingen war der Effekt aber nicht ausreichend.

Das US-Biotech-Unternehmen Moderna, das mit seiner mRNA-1403-Vakzine ursprünglich an der Spitze der Norovirus-Impfstoffentwicklung stand, hatte im Frühjahr dieses Jahres einen Rückschlag zu vermelden. Im Februar hat die US Food and Drug Administration (FDA) eine klinische Phase-III-Studie mit mRNA-1403 nach einem gemeldeten Fall einer Guillain-Barre-Syndrom-Erkrankung bei einem Probanden vorübergehend gestoppt. Die klinische Studie soll weltweit insgesamt rund 25.000 Teilnehmer umfassen.

Die Entwicklung von Vakzinen mit abgeschwächten Noroviren (attenuiert) hat sich bisher als schwierig erwiesen, weil die Kultivierung der Erreger für einen Impfstoff nicht ausreichend gut klappt. Ein weiterer neuer Ansatz umfasst laut dem JAMA-Bericht einen genetisch veränderten harmlosen Rotavirus-Stamm, dem ein Schlüsselprotein aus dem Norovirus hinzugefügt worden ist. Dies könnte sogar zu einem Kombinationsimpfstoff gegen beide Erkrankungen führen. Vorerst lägen dazu aber nur präklinische Studien an Mäusen vor.

Schließlich versucht ein US-Biotech-Unternehmen, einen Norovirus-Impfstoff in Tablettenform als Schluckimpfung marktreif zu bekommen. Bei dem Projekt von "Vaxart" handelt es sich um in den Pillen enthaltene von Adenoviren abgeleitete "Vektoren". VXA-G1.1-NN ist in einer magensaftresistenten Tablette enthalten. Der Vektor, der zur Produktion eines Proteins der Noroviren führt, wird im Dünndarm freigesetzt.

"In einer Challenge-Studie mit rund 150 Teilnehmern zwischen 18 und 39 Jahren nahm die Verumgruppe vor absichtlichem und geplantem Kontakt mit Noroviren den oralen Impfstoff ein. Es zeigte sich eine Infektionsreduktion von 25 Prozentpunkten gegenüber der Placebogruppe (Infektionen: 57 versus 82 Prozent). Auch die Viruslast im Stuhl und Erbrochenem war geringer - ein Hinweis auf eine mögliche Eindämmung der Weiterverbreitung. Die Reduktion der Krankheitsschwere war jedoch statistisch nicht signifikant", schrieb dazu jetzt auch die deutsche Pharmazeutische Zeitung. Allerdings sind jene Noroviren, gegen welche der Kandidatimpfstoff zum Teil geschützt hat, nicht jene, welche weltweit für die meisten derartigen Infektionen sorgen.

Der mögliche Vorteil solcher Strategien: Mit solchen "Schluckimpfstoffen" sollte eine Immunität speziell in der Darmschleimhaut entstehen. Gerade dort erfolgt ja die Infektion mit Noroviren. Dies könnte zu einem besseren Schutz als mit injizierbaren Vakzinen führen. Mit einem Impfstoff in Tablettenform wäre jedenfalls nicht die komplizierte Logistik samt notwendiger Kühlkette wie bei vielen Impfstoffen notwendig. Die Anwendung könnte ohne Ärzte erfolgen. Doch bis zum erfolgreichen Abschluss einer noch gar nicht erst begonnenen großen Wirksamkeitsprüfung mit vielen Probanden (klinische Studie der Phase III) dürfte noch einige Zeit vergehen.

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