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Der Buchtitel mag pures Klischee sein, aber der Musiker bietet mit seinem Co-Autor Torsten Gross auch für Szeneunkundige durchaus spannende Einblicke in das Werden eines Genres und einer Band, in ein Aufwachsen im Ruhrpott, umgeben von Gewalt und Alkoholismus, und in ein interessantes Familienumfeld. "Wir haben versucht, die Hintergründe zu beleuchten. Welche Zechen geschlossen wurden, welche Partei warum gewählt wurde, wie es dazu kam, dass Gastarbeiter, zu denen auch mein Vater gehörte, ins Ruhrgebiet gekommen sind", erläutert Petrozza.
Bei der Beschreibung des Ruhrgebiets war es dem Künstler ein Anliegen, so manchem Klischee entgegenzuwirken: "Viele glauben, da gibt es kein Grün, aber viele Ecken sind sehr wohl grün. Natürlich gibt es auch viel Industrie. Aber die ist mittlerweile nicht mehr so präsent. Es gibt eine bestimmte Mentalität, die sehr herzlich ist. Aber auch da gibt es nicht den typischen Ruhri oder die typische Ruhrin", betont Petrozza im Interview.
Kreator haben nicht nur ein Genre mitgeformt, sondern auch Stellung gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit bezogen. "Antirassistisch zu sein, ist für mich nicht mal ein politisches Statement, sondern völlig normal, eine Grundhaltung", betont Petrozza. "Dadurch, dass ich aus einer Familie stamme, in der beide Elternteile Wirtschaftsflüchtlinge waren - meine Mutter aus der DDR, mein Vater aus Süditalien -, kann ich es nicht nachvollziehen, wenn Menschen sich aufgrund ihrer Herkunft über andere stellen."
"Your Heaven, My Hell" konzentriert sich naturgemäß aber über weite Strecken auf die Musik. Nach einer Liebe für Village People und Boney M. fand Petrozza über Kiss und Iron Maiden zum Heavy Metal. Mit seiner Band Kreator prägte er ein damals neues, härteres Metal-Subgenre mit: Thrash. "Das war eine subkulturelle Veränderung. Wir haben das widergespiegelt, was wir erlebt haben, waren von englischen und amerikanischen Bands beeinflusst. Die Anfangszeit war wie ein Rausch", sagt Petrozza.
Im digitalen Zeitalter ist es kaum nachvollziehbar, wie Anfang der 80er-Jahre eine junge Metalband ohne mediale Hilfe auf sich aufmerksam machte - durch Tausch von Kassetten, die per Post international verschickt wurden, wie im Buch beschrieben. "Das war quasi die Graswurzelbewegung der Metalwelt", schmunzelt Petrozza. "Wir haben mit einfachsten Mitteln viel bewegt. Die ersten Demos nahmen wir im besten Fall auf Vierspurgeräten auf, manchmal auch einfach mit einer Boombox."
Generell sei alles für einen Metalfan seinerzeit "mit mehr Aufwand" verbunden gewesen, sagt Petrozza: "Wenn man damals ein Metal-T-Shirt haben wollte, gab es, wenn man Glück hatte, einen oder zwei Mailorder, wo man sich das bestellen musste. Heute kannst du deine Metal-Outfits bei H&M kaufen. Ich bin aber nicht gatekeeper-mäßig unterwegs, der sagt, dass man ein Band-T-Shirt nicht tragen darf, wenn man die Band nicht hört. Aber man sollte sie zumindest kennen." Nachsatz mit einem Achselzucken: "Wenn nicht, auch gut."
Viele Song- und Albumtitel von Kreator - wie "Extreme Aggression" oder "Gods Of Violence" - mögen brutal klingen. Aber, so Petrozza: "Man muss das alles mit Humor sehen. Das ist ironisch, überspitzt, eine absolute Übertreibung der realen Verhältnisse. Das ist pure Fantasie zum größten Teil." Doch, da stimmt der Sänger, Songschreiber und Gitarrist zu, der letzte Albumtitel "Hate über alles" funktioniert durchaus als reale Beschreibung der derzeitigen Weltlage.
"Your Heaven, My Hell - Wie Heavy Metal mich gerettet hat" gibt Einblicke in eine Zeit, in der Metal noch lange nicht im Mainstream angekommen war. "Man musste sich als Teenager abgrenzen", blickt Petrozza im APA-Gespräch zurück. "Da ging es gar nicht, dass man zugab, vielleicht auch mal eine Platte der Village People aufzulegen." Und wie ist das jetzt, dürfen Kreator-Fans Boney M. hören? "Man sollte Boney M. hören! Da ist ja auch super Musik", lacht Petrozza, der mit Kreator am 16. Jänner ein weiteres Thrash-Album herausbringt.
(Das Gespräch führte Wolfgang Hauptmann/APA)
(S E R V I C E - Mille Petrozza mit Torsten Gross: "Your Heaven, My Hell - Wie Heavy Metal mich gerettet hat", Ullstein Verlag, 336 Seiten, 24,50 Euro)
ESSEN - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA/Robert Eikelpoth/Ullstein/Robert Eikelpoth