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Naked Lunch sind nach langer Absenz mit neuem Album zurück

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Oliver Welter hält Ausschau "nach den paar Lichtern"
©APA, HARALD SCHNEIDER
Zwölf lange Jahre sind seit dem letzten Album von Naked Lunch vergangen. Kommt da noch was, fragten sich viele - vor allem, nachdem Mitstreiter Herwig Zamernik 2019 die Formation endgültig verlassen hat. Nun ist klar: Es kommt. "Lights (And A Slight Taste of Death)" heißt das am Freitag erscheinende, fulminante Werk mit dem Anspruch, "die bisherigen Errungenschaften der Band mit einem neuen Soundgewand zu verbinden", wie es Mastermind Oliver Welter im APA-Gespräch formuliert.

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Dass er - inzwischen der einzige Fixstern im Naked-Lunch-Universum - noch einmal eine Platte unter diesem Namen machen würde, war alles andere als fix. "Ich war mir zwischendurch auch nicht sicher, ob es die Band noch gibt bzw. in welchem Zustand sie ist. Ich habe nur gewusst: Wenn sie irgendjemand reanimieren oder weiterführen will, muss ich das sein. Ich stehe immer noch zu dem, was ich einmal gesagt habe: Ich habe diese Band gegründet und ich werde sie auch zu Grabe tragen, wenn mir danach ist." Dass Welter noch nicht danach war, hat auch damit zu tun, dass er nach vielen Gesprächen das Gefühl gehabt habe, dass es "noch Menschen gibt, die an Naked Lunch interessiert sind". Das habe er als "Auftrag" empfunden: "Weil nur für die Galerie mache ich es dann doch nicht. Denn der physische und psychische Aufwand ist enorm."

Kein Wunder, denn große Gefühle waren immer schon fixer Bestandteil der Naked-Lunch-DNA - spätestens, seit die vor mehr als drei Jahrzehnten in Kärnten gegründete Formation nach ihren Indie-Rock-Jahren, in denen der Erfolg ebenso schnell gekommen war wie der darauffolgende Absturz, 2004 mit dem Longplayer "Songs For The Exhausted" ihren künstlerischen Befreiungsschlag geschafft hat. Darauf folgten die ebenso gefeierten Alben "This Atom Heart Of Ours" (2007) und "All Is Fever" (2013) - und dann nichts mehr. Auf der neuen Platte schlägt das Pendel ebenfalls wieder weit aus. "Der Titel versucht das emotionale Spektrum zu beschreiben", sagt Welter.

Wie nah Euphorie und Zu-Tode-Betrübtsein beieinanderliegen, hört man schon in den ersten paar Minuten. Der Opener ist eine einzige Weltumarmung: In "To All And Everyone I Love" besingt Welter "those lips that I kissed, when I'm drunk on love" ebenso wie "those kids out on the streets taking care of human needs", Billy-Wilder-Filme und tanzende Herbstblätter. Es lebe das Leben. Aber gleich im Anschluss stürzt man mit "Only Hollow" ins Bodenlose. Der zartinstrumentierte Einminüter schaut hinter die Fassade von Erfolg und Anerkennung - und findet nur traurige Leere.

Das Stück ist eine von vier Miniaturen, "die wahnsinnig persönlich und eine schonungslose Abrechnung mit mir selber sind", erklärt Welter: "Das sind sehr dunkle Sachen. Die gehen weit runter in den Keller." Überhaupt hätte die Platte genauso gut "Death (And A Slight Taste Of Lights)" heißen können. Aber er habe sich entschieden, am Beginn des Albums das Euphorische zu setzen, sagt Welter, der alle 14 Songs auch geschrieben hat: "Nach den paar Lichtern zu streben, die es gibt, scheint mir die bessere Variante."

Intim, zärtlich, dann wieder hart und schmerzbeladen fällt diese Tour de Force aus. "Come Into My Arms" ist eine herzergreifende Einladung, "Fuck My Senses" geht ins Selbstzerstörerische und in "Blackbird" fragt sich Welter, ob er vielleicht eine Schuld auf sich geladen haben könnte, die jetzt mit der immer wiederkehrenden Traurigkeit und Einsamkeit gesühnt werden müsste. "Ich glaube nicht an höhere Gerechtigkeit, ich bin kein spiritueller Mensch. Aber seit meiner Jugend bin ich mit langen depressiven Schüben konfrontiert", sagt der Bandleader. "Und da das nicht aufhört - obwohl ich mich eigentlich als glücklichen Menschen betrachten würde -, stelle ich mir im Lied die naive Frage: Gibt es etwas Konkretes, warum ich das jetzt auf mich nehmen muss?" Es sei schlimm, wenn man so etwas ein Leben lang in sich trage, "aber gleichzeitig habe ich das Glück, dass ich auch die schönen Aspekte des Lebens intensiver spüre. Das ist dann auch wieder cool."

Trotz der langen Abwesenheit der Indie-Größen war Oliver Welter in den vergangenen Jahren nicht unproduktiv. Er könne ja gar nicht anders, als Lieder zu schreiben. "Mit wenigen Mitteln - mit einer Gitarre oder am Klavier - eine Melodie oder Harmonie zu entwickeln und daraus einen Song zu kreieren, ist fast das Befriedigendste und Schönste, aber gleichzeitig auch das Enervierendste", betont der Musiker. Da habe sich schon einiges an Stücken angesammelt, "aber vieles davon habe ich wieder weggeschmissen".

Womit "Lights (And A Slight Taste Of Death)" auch aufwartet, ist "das erste Solo in der gesamten Bandgeschichte", will der Chef der Truppe nicht unerwähnt lassen. Saxofonist Boris Hauf tobt sich auf "If This Is The Last Song You Can Hear" in Free-Jazz-Manier aus. "Ich hasse Soli eigentlich", lacht Welter, "aber wenn schon, dann muss es total arg sein". Hauf spielt auch Keyboard auf der Platte, Romy Jakovcic (Pauls Jets) ist am Bass, Alex Jezdinsky an den Drums zu hören. Als Produzent hat man sich Wolfgang Lehmann an Bord geholt, der schon mit Clara Luzia, Voodoo Jürgens oder Alicia Edelweiss gearbeitet hat.

Mit der Ankündigung der neuen Platte hat Welter auch seine Krebserkrankung öffentlich gemacht. Unter diesem Vorzeichen hört man Songs wie "As I Lay Down Dying" oder "Going Underground" freilich ganz anders. Wobei der Sänger selbst betont, die Krankheit habe sich in den kreativen Prozess gar nicht so eingeschrieben. "Ich bin am Anfang fast euphorisch damit umgegangen. Ich dachte mir, ich bin Arnold Schwarzenegger, und das Teil in mir ist fucking klein und kann mir nichts anhaben. Das hat sich zuerst als richtig rausgestellt, aber der Scheiß hat mich dann noch einmal attackiert. Das hat mich psychisch total aus der Bahn geworfen. Ich habe lange gebraucht, um da wieder rauszukommen", erzählt der 58-Jährige. Die Lieder, die danach entstanden sind, seien "vielleicht eine unbewusste Reflexion darauf". An seinem Lebensstil habe er jedenfalls nicht allzu viel geändert. "Ich trinke etwas mehr Wasser. Früher war Wasser für mich ja nur etwas, das man zum Duschen oder zur Abkühlung im Sommer braucht", scherzt er.

Und wie geht es mit Naked Lunch nun weiter? Da will sich Welter nicht festlegen: "Jetzt kommt einmal die Platte und ich hoffe, dass sie auch ein paar Menschen gefallen wird und die dann auch zu den Konzerten kommen. Wir waren ja lange weg und sind jetzt nicht Radiohead oder so, die nach zehn Jahren Pause ihre Shows nach drei Minuten ausverkauft haben. Sollten unsere Konzerte vor leeren Rängen stattfinden, dann muss man sich schon die Sinnfrage stellen." Die Tour startet Mitte Jänner 2026. Man wünscht dem Mann ein eifrig herbeiströmendes Publikum.

(Das Gespräch führte Thomas Rieder/APA)

(S E R V I C E - Naked Lunch auf Tour: 22.1. Kino Ebensee, 22.1. Arena Wien, 23.1. PPC Graz, 29.1. Treibhaus Innsbruck, 30.1. Spielboden Dornbirn, 31.1. ARGEkultur Salzburg)

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/HARALD SCHNEIDER

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