Wer immer nur „die Österreicherinnen und Österreicher“ sagt, lässt oft mehr weg, als ihm bewusst ist. Eine Regierungsbilanz zum Halbjahr 2025 zeigt: Sprache schafft Realität – und schließt aus. Über das Weglassen, das Mitmeinen, das Selbstlob – und warum das nicht reicht.
Man kann es so sagen. Muss man aber nicht. Und je nachdem, wo man steht, fällt auch der Blick darauf aus: Zustimmendes Nicken hier, resigniertes Kopfschütteln dort. Der Anlass? Auf den ersten Blick kaum der Rede wert. Ein internes Papier für Journalistinnen und Journalisten. 14 Seiten Regierungsbilanz zum Halbjahr 2025. Das Schriftstück beginnt mit einer Formulierung, die viel sagt: Man habe ganze Arbeit geleistet – für „die Österreicherinnen und Österreicher“. Nur für sie. So steht es da. So selbstverständlich wie ausgrenzend. Nicht nur einmal.
Formuliert, wohl ohne großes Nachdenken. So könnte man es sehen, wenn man nicht allzu engstirnig auf das Ganze blickt. Passiert. Geschenkt. Passiert halt ziemlich oft. Es ist eine Feststellung, die Wirkung entfaltet – bei denen, die nicht gemeint sind. Denn wir, die Unerwähnten, tun nichts zur Sache. Nicht in dieser Regierungsbilanz. Und sonst auch selten. So ist das Selbstverständnis im Land. Zu Recht. Weil es ja lange Zeit so war. Aber es ist nicht mehr zeitgemäß. Und richtig schon gar nicht. Die Unerwähnten sind längst viele. Rund 1,9 Millionen Menschen ohne österreichischen Pass leben hier. Das sind 20,2 Prozent der Bevölkerung. Das ist nicht nichts. Aber trotzdem nicht der Rede wert?
Mitgemeint reicht nicht
Ein erheblicher Teil davon arbeitet. Zahlt Steuern. Hält gemeinsam mit den anderen die Wirtschaft am Laufen. Trägt das System mit. Bringt sich ein. Sind wir mitgemeint? Vielleicht. Sollen wir uns angesprochen fühlen, auch wenn wir nicht erwähnt werden? Wahrscheinlich. Darf man erwarten, dass Politiker einen Blick auf alle im Land haben? Ja, darf man. Sprache macht etwas mit uns. Sagt etwas über den Absender aus. Einstellungen. Werte. Gespür und Selbstverständnis.
Integration – da sind sich (fast) alle einig – ist entscheidend für unsere Gesellschaft. Für den Zusammenhalt. Für ein gelingendes Miteinander. Doch dafür braucht es mehr als das immer gleiche Pflichtprogramm: Sprachkurse, Werteunterricht, Arbeitsmarktintegration. All das ist wichtig. Aber wenn Integration dauerhaft gelingen soll, dann reicht es nicht, sie nur als Bringschuld der Zugezogenen zu sehen. Integration darf erwartet werden. Auch darüber herrscht Konsens. Aber ebenso darf erwartet werden, dass diejenigen, die Integration einfordern – und neuerdings wie als Akt der Selbstvergewisserung eine kleine rot-weiß-rote Flagge am Revers oder Blazer tragen –, mit gutem Beispiel vorangehen. Das kostet übrigens nichts. In Zeiten knapper Budgets ist das ein Argument. Man müsste bloß über den eigenen Schatten springen – und den Sprachgebrauch an die Gegenwart anpassen. Nicht nur in Pressemitteilungen.
Sprache macht etwas mit uns. Sagt etwas über den Absender aus. Einstellungen. Werte. Gespür und Selbstverständnis
Hauptsache, es klingt gut
Die aktuelle Aussendung liest sich wie ein Arbeitszeugnis: wohlformuliert, glattgebügelt, ohne Ecken und Kanten. Am Ende war – wie immer – alles „zur vollsten Zufriedenheit“. Alles super. Wirklich? Natürlich nicht. Auch wenn das selbst ausgestellte „Zeugnis“, flankiert vom Schulterklopfen vor TV-Kameras, genau diesen Eindruck erwecken soll. Lächerlich ist es ohnehin, nach einem halben Jahr eine Bilanz zu ziehen. Wer Schulkind-Eltern fragt, kennt die Antwort auf die Frage nach dem Wert von Halbjahreszeugnissen: keinen. Zumindest vordergründig.
Andererseits leben wir in einer Zeit, in der gefühlt jeder Tag zählt oder eine neue Wendung in einer Erzählung bringen kann. Insofern kann auch ein halbes Jahr relevant sein. Aber nur dann, wenn man ehrlich hinschaut. Und eben nicht, wenn man sich selbst inszeniert, als wäre schon „Großes gelungen“. Auch der Griff zu Phrasen wie „man habe vom ersten Tag an gearbeitet, um das Land voranzubringen“ überzeugt nicht. Das darf man erwarten – von jedem Menschen, der Verantwortung übernimmt. Und nein, das ist keine überzogene Erwartung. Überzogen ist der mediale Applaus dafür, dass diese Regierung „nicht streitet“. Dass sie nüchtern, unaufgeregt und unpopulistisch agiert. Mit Blick auf Vorgängerregierungen, die vor allem auf Slim-Fit-Anzüge, Message-Control und Selbstinszenierung setzten, mag das sogar stimmen. Und ja, man darf auch erleichtert sein, dass ein dauerempörter, selbsternannter „Volkskanzler“ dem Land erspart geblieben ist.
Aber ebenso darf man schon jetzt erwarten, dass am Ende des ersten Regierungsjahres mehr steht als: Man habe sich bemüht, ruhig und gelassen durch wirtschaftlich schwierige Zeiten zu führen. Zwischen Wurschtigkeit und Gelassenheit, Wollen und Können verläuft ein schmaler Grat – das wissen übrigens auch Eltern von Schulkindern. Ein „passt schon“, „wird schon“, „geht sich irgendwie aus“ oder gar ein „alles leiwand“ wird als „Mitarbeits“-Note nicht reichen. Mit Blick auf das Selbstverständnis einer Nation, die gerne zwischen Selbstverzwergung und „Wir sind die Besten“ pendelt – und dabei doch in vielem ein Vorzeigeland geblieben ist –, dürfen wir mehr erwarten. Die Österreicherinnen und Österreicher. Und „die anderen“ auch.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28+29/25 erschienen.