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Wilfried Haslauer: „Wir haben etwas zu verteidigen“

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Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer verlässt die Politik. In einem Abschiedsinterview spricht er über Gefahren für die Demokratie, den Auftrag an Politik und Gesellschaft und er erklärt, was ihm Hoffnung macht

Sie waren 21 Jahre lang Politiker. Wenn die Aufgabe von Politikern ist, die Gesellschaft zu verbessern – hat die Politik in dieser Zeit ihre Aufgabe erfüllt?

In der Bundespolitik hat sich die Tonalität nicht zum Besseren entwickelt. Wir sehen eine stärkere Polarisierung, wenig Kompromissbereitschaft. Persönliche Attacken sind viel intensiver geworden. Demokratie lebt von Diskussionen, von inhaltlicher Auseinandersetzung, bei der Argumente mit Würze vorgetragen werden. Aber es gibt eine Grenze und das ist die persönliche Herabwürdigung. In der Landespolitik ist das anders. Wir haben uns immer bemüht, einen ordentlichen Ton anzuschlagen.

Haben Sie versucht, ihren Einfluss in der Bundespolitik geltend zu machen, und gesagt: „Mäßigt Euch“?

Ich habe das öffentlich eingemahnt. Das muss reichen. Ich bin ja nicht der Lehrmeister der Nation, der den Leuten sagt, wie sie sich zu benehmen haben. Die Tonalität ist wichtig, weil Politiker immer noch eine Vorbildfunktion haben. Wenn jede Beleidigung erlaubt ist, sagen die Leute: „Wenn die das dürfen, dürfen wir das auch.“ Dann wird es Gemeingut, dass wir so miteinander umgehen. Davor müssen wir uns hüten.

Hätte man es anders machen können, oder war man Passagier der gesellschaftlichen Entwicklung und der sozialen Medien?

Es ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die durch soziale Medien befeuert wird. Es ist interessant, dass sich hier Leute viel leichter tun, einen sehr kränkenden Ton anzuschlagen. Ich rufe Menschen, die etwas geschrieben haben, manchmal an. Die sind dann ganz überrascht. Es ist ihnen dann unangenehm und sie sagen: „Ich war gerade so in Rage, aber eigentlich bin ich ja Ihr loyalster Anhänger.“ Im persönlichen Gespräch geht es gut, aber es ist eigenartig, was in der vermeint­lichen Anonymität passiert.

Was macht die Menschen so zornig?

Es gibt eine Entwicklung, die durch die Pandemie stark befeuert wurde. Wir gegen die anderen. Es ist eine Schicht in der Bevölkerung in den Vordergrund getreten, die man vorher nicht wahrgenommen hat. Die außerhalb der üblichen Verhaltensweisen steht, keine Medien konsumiert, in Verschwörungs-blasen drinnen ist, zur gesellschaft­lichen Entwicklung wenig beiträgt und jegliche Autoritäten wie Polizei, Bundesheer etc. ablehnt. Die hat sich stark artikuliert, Freude daran gefunden und ist immer noch präsent.

Wie viele Menschen sind das?

Es gibt Untersuchungen, die sprechen von einem Drittel der Gesellschaft. Ich würde diese Gruppe eher bei 15 bis 20 Prozent sehen.

Sind die für die Politik erreichbar?

Eigentlich nicht, aber sie sind jetzt erreicht worden. Bürgermeister berichten mir, dass Leute zur Wahl gehen, die man vorher nie gesehen hat.

Erklärt das die Stärke der FPÖ?

Ich will das nicht politisch zuordnen. Jedenfalls fühlen sie sich animiert, ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Was zur gesellschaftlichen Entwicklung hinzukommt, ist so etwas wie Demokratie­ermüdung und Wohlstandslangeweile. Demokratie ist ein mühsamer Prozess, weil sie mit Diskussionen und langwierigen Entscheidungsfindungen zu tun hat. Das führt zu einem Ermüdungsprozess. Die Leute fühlen sich überdemokratisiert. Andererseits wollen sie sich durch Direktplebiszite stärker einbringen, doch wenn ihnen das Ergebnis nicht passt, ist es auch wieder schlecht.

Menschen wie Trump hätten vor 15 Jahren keine Chance gehabt, an die Macht zu kommen

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Manche wollen einen starken Führer.

Die große Überschrift heißt „Verunsicherung“ – durch die geopolitische Entwicklung, kriegerische Auseinandersetzungen, die politischen Bocksprünge des Donald Trump oder die technologische Entwicklung. Die Leute haben das Gefühl, künstliche Intelligenz könnte die Welt regieren. Sie sorgen sich, ob sie dann noch einen Platz haben. Dazu kommen Wohlstandsverlust, Ängste, der Verlust von Wertigkeiten, die man von Kind an gewöhnt war – weg mit dem Kreuz im Klassenzimmer bis zu Gender-, Diver­sity- und Wokeness-Diskussionen. Die Leute verstehen diese Debatten nicht mehr und denken sich: „Was passiert in unserem Land?“ Dazu kommen Migration, Asylwesen und das Gefühl, ein Land, das genuin deutschstämmig und katholisch ist, verändert sich massiv. Das tut es ja auch. In Salzburg waren vor 50 Jahren 92 Prozent der Bevölkerung katholisch, jetzt ist es vielleicht die Hälfte. All das führt, in Kombination mit der Wirtschaftssituation zu Verunsicherung. Die Zunahme der Sparquote von 8 auf 12 Prozent ist volkswirtschaftlich ungemein ungesund.

Dass Bevölkerung und Wirtschaftsleistung wachsen, liegt aber an den zugewanderten Menschen.

Ja, doch jede politische Gruppe hat dazu ihre eigene Erzählung. Die Frage ist, haben wir überhaupt noch eine gemeinsame Erzählung? Unsere freiheitlichen Kollegen haben eine, die aus zwei Teilen besteht: „Es muss wieder so werden, wie es einmal war.“ – Das ist rückwärtsgewandt und völlig irreal. Man kann anhand der Daten objektiv sagen: Es ist jetzt viel besser als früher. Der zweite Teil der Erzählung ist: „Wir müssen wieder wir sein dürfen. Alles, was fremd ist, muss also demnach raus.“ Auch das funktioniert nicht. Es sind ja schon viele Menschen aus dem Ausland da und voll integriert. Wenn man fragt „Wie ist denn der türkische oder syrische Kollege bei dir im Betrieb?“, sagt jeder: „Der ist eh schwer in Ordnung.“ Den größten Widerstand gegen Asylwerber hatten wir dort, wo wir gar keine Quartiere aufgemacht haben. Es ist immer das Vorurteil, die Angst vor dem Unbekannten. Aus diesem Kreislauf haben wir nicht herausgefunden.

War die Pandemie Ihre schwierigste Zeit in der Politik?

Sie war ein sehr, sehr schwieriges Kapitel und wir haben viel gelernt. Wir haben den persönlichen Freiheitsdrang, den Wunsch nach Wahrung der körperlichen Integrität komplett unterschätzt. Wobei diese Verbitterung über die Impfpflicht umso bemerkenswerter ist, weil sie nie scharf gestellt wurde. Krisen habe ich auch andere erlebt: Vom Finanzskandal zu Beginn meiner Amtszeit, über die Flüchtlingskrise bis zu Naturkatastrophen und nun den Krieg.

Aber bei keiner Krise wurde die Autorität und Kompetenz von Politikern so stark angezweifelt.

Ja, und das hat auch nachhaltig gewirkt. Die Pandemie konnte durch die Wissenschaft bewältigt werden. Die Wissenschaft sagt: „Wir haben hier ein Mittel.“ Doch die Politik verklärt es in Richtung: „Wir haben die Lösung.“ Dann stellt sich heraus, es ist nicht die Lösung. Die Menschen haben nach Hoffnung gelechzt. Die Politik hat aber Hoffnungen gemacht, die sich nicht erfüllten. Das politische Ansehen, das Vertrauen in ihre Lösungskompetenz haben unglaublich gelitten, obwohl man sagen muss, wir sind ganz gut durchgekommen.

,Es muss wieder so werden, wie es einmal war.‘ – Das ist rückwärtsgewandt und völlig irreal

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Wenn wir in die USA blicken: Das Mutterland der Demokratie wankt.

Wir alle haben das Gefühl, wir sind in einem großen Veränderungsprozess. Stichwort: Demokratieermüdung. Verabschieden wir uns von der liberalen Demokratie Richtung autoritäre Systeme wie in der Türkei, Ungarn und nun den USA? Menschen wie Trump hätten vor 15 Jahren keine Chance gehabt, an die Macht zu kommen. Das Pendel geht hin und her. Seine Schwungbewegungen nehmen aber eine gewisse Zeit in Anspruch. Wir sind in einer wahnsinnig spannenden Zeit, in der wir auch große Chancen haben.

Was muss dafür geschehen?

Wir werden aus unseren Problemzonen nur herauskommen, wenn wir mit viel mehr Tatkraft und Zukunftsgläubigkeit sagen, „Das kriegen wir schon hin.“ Vor 80 Jahren war Österreich in einer hoffnungslosen Situation. Da konnte es nur bergauf gehen. Heute haben wir hohen Wohlstand, Demokratie, Freiheit, Ausbildungsmöglichkeiten, ein soziales Netz. Das ist aus Sicht der Menschen total selbstverständlich geworden, es gibt eine hohe Erwartungshaltung und Begehrlichkeit. Es ist immer alles ein bisschen zu wenig. Laut einer Studie sind nur 14 Prozent der Österreicher bereit, ihr Land mit der Waffe zu verteidigen. Wenn diese Zahl stimmt, ist das sehr bedenklich. Denn wir haben etwas zu verteidigen. Wir sind ein Musterbeispiel, was ein Staat in relativ kurzer Zeit erreichen kann. Aus der totalen Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg, nach einem sittlichen moralischen Verfall der Sonderklasse, wurde Tritt gefasst und es gibt sehr hohe ethische Maß­stäbe. Das aufs Spiel zu setzen, ist sehr leichtfertig.

Sind wir träge vom Wohlstand?

Früher hat man gesagt „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir.“ Heute: „Unsere Kinder sollen es nicht schlechter haben als wir.“ Der Biss, das soziale Aufsteigertum, hat sich in andere Wertigkeiten, die mehr freizeitorientiert sind, verlagert. Doch Reisen, Sport etc. kosten Geld. Wenn man das mit nur zwei Drittel der Arbeitszeit nicht verdienen kann, generiert das Unzufriedenheit. Darüber muss man offen diskutieren. Das ist eine Frage für politische Parteien: Was ist der richtige Gesellschaftsentwurf in unserer Zeit? Was ist der Sinn des Lebens? Ist der Sinn des Lebens, 40 Stunden die Woche zu arbeiten, oder gibt es andere sinnstiftende Tätigkeiten, die glücklich machen? Soziales Engagement, zum Beispiel.

Ist der Mensch „im Grunde gut“, wie der Historiker Rutger Bregman schreibt, oder ist er einfach Egoist?

Im Grunde genommen, ist er gut. Er hat zumindest das Gute auch in sich veranlagt, das Altruistische, das Selbstlose. Das herauszukitzeln, ist eine religiöse, gesellschaftliche und eine politische Aufgabe. Und eine individuelle. Wir können dem Menschen nicht alles abnehmen. Ich sehe viel Positives: Freiwilligkeit, Sozialarbeit, Ehrenamt. Unser Problem ist aber, dass der Finger immer auf das Negative zeigt. Es ist ein mediales Problem, dass bei der Politik alles schlecht gemacht wird. Die Wirtschafts- und Sportseiten beweisen, dass Lob und Tadel möglich sind. In der Politik wird nur getadelt. Das birgt die Gefahr, dass die Leute irgendwann sagen: „Wir haben das falsche System. Wir brauchen ein anderes.“

Sie gehen unerzwungen aus der Politik. Gehen Sie mit leichtem Herz?

Ja, ohne Wehmut. Ich bin sehr dankbar, dass ich das selbst entscheiden konnte. Das ist in der Politik eher selten

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  Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 26/25 erschienen.

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