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Johanna Mikl-Leitner: „Wir werden dafür bestraft, dass wir Vorreiter sind“

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Johanna Mikl-Leitner

©Bild: Matt Observe

Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner fordert vom Bund mehr Fairness für Niederösterreich bei den Energienetzkosten. Zudem will sie die Bürokratie in Österreich auf das Mindestmaß zurückschleifen, „nicht mit ein bisschen Kosmetik, sondern mit dem großen Gerät“.

Eine Steuererklärung soll auf einem Bierdeckel Platz haben, heißt es oft. Auf welches Format könnte man Föderalismus in Österreich oder den Finanzausgleich herunterkürzen?

Es geht mir nicht darum, wer in Zukunft welche Aufgabe erfüllt. Es geht darum, dass sie effizient und rasch im Sinne der Landsleute erledigt wird. Da müssen wir bei der gesamten Bürokratie ansetzen. Österreich wurde zur Geisel seiner eigenen Bürokratie. Wir brauchen ein Gold-Plating-Verbot. In Österreich gibt es Regulative, die weit über die EU-Regeln hinausgehen. Hier braucht es ein Gesetz, dass keine nationalen Regelungen kommen dürfen, die die Vorschriften der EU noch verschärfen. Außerdem müssen alle bereits ‚vergoldeten‘ bürokratischen Regeln auf das notwendigste Mindestmaß zurückgeschliffen werden. Und zwar nicht mit ein bisschen Kosmetik, sondern mit dem großen Gerät.

Was empfinden Sie als überbordend?

Im Mostviertel beschäftigen wir uns schon rund 20 Jahre mit dem Projekt Mauthausenbrücke. Die Umweltverträglichkeitsprüfung dauert ewig, unter anderen müssen Flugrouten für Fledermäuse erhoben werden. Das verlängert das Verfahren bis zum St. Nimmerleinstag. Die Menschen haben dafür kein Verständnis, denn sie stehen täglich im Stau.

Bürokratieabbau ist eine Phrase. Wenn es nicht gut läuft, schiebt man es auf die Bürokratie. Viele Regeln sollen ja schützen. Arbeitnehmer, zum Beispiel. Was soll also weg?

Keine Ebene ist davon ausgenommen, ihre Regulative zu durchforsten. Die EU hat schon 2022 angekündigt: one in, one out. Was ist passiert? Für eine abgeschaffte Regel kommen vier neue dazu. Das muss ein Ende haben. Die USA sind für uns nicht überall ein Vorbild. Aber daran, dass sie Gesetze nur auf Zeit beschließen, kann man sich ein Beispiel nehmen.

Ihr Bundesland könnte mit gutem Beispiel vorangehen.

Wir sind schon federführend. Wir haben uns die größte Aufgabenkritik vorgenommen, die je stattgefunden hat. Wir schauen jeden Zettel durch, was wir vereinfachen können oder welche Prozesse man streichen kann. Aus der Beamtenschaft gibt es 1.500 Vorschläge, die wir zu 130 konkreten Ideen zusammengefasst haben. Bis Ende des Jahres wollen wir die Verwaltung und Verfahren schneller und effizienter machen. Das ist für Unternehmer oft wichtiger als eine finanzielle Förderung.

Und das sollen der Bund und die anderen Bundesländer auch machen?

Der Wille ist da. Alle haben erkannt, dass Wettbewerbsfähigkeit unseren Wohlstand sichert. Dazu braucht es weniger Bürokratie.

Bund und Länder wollen diesmal wirklich eine Föderalismusreform angehen. Welche Kompetenzen wären besser beim Bund, welche besser bei den Ländern aufgehoben?

Ich kann mir vorstellen, dass man gewisse Sonderbehörden im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung an die Länder überträgt. Etwa den Denkmalschutz.

Was wäre besser beim Bund?

Da kann man sich eine Kompetenzbereinigung in den Bereichen Bildung oder Gesundheit ansehen. Das soll aber nicht heißen, dass man den Gesundheitsbereich komplett zentralisiert. Da würden regionale Bedürfnisse nicht berücksichtigt. Das System würde teurer und für die Patienten nicht besser.

Warum soll das Gesundheitssystem teurer werden, wenn es zentral gemanagt wird?

Lassen wir uns bitte nicht einreden, dass mehr Zentralisierung in Wien automatisch mit einer Effizienzsteigerung gleichzusetzen ist. Natürlich muss das Gesundheitswesen auf regionale Besonderheiten weiterhin Rücksicht nehmen. In Niederösterreich arbeiten wir gerade an der größten Gesundheitsreform in der Geschichte unseres Landes, wo wir alle Bereiche – vom niedergelassenen Bereich über das Rettungswesen bis zu den Spitälern – mitdenken.

Manche rühmen sich damit, dass sie kein Windradaufstellen. Das geht einfach nicht.

Johanna Mikl-LeitnerLandeshauptfrau von Niederösterreich

Die derzeit tätige Reformgruppe ist unter dem Druck hoher Staatsschulden entstanden. Wie viel kann man mit einer Strukturreform einsparen?

Wenn sich auch die Bundesregierung einer Aufgabenkritik unterzieht, wird das System auf jeden Fall billiger. Ich glaube, da ist einiges drinnen. 87 Prozent der Staatsschulden liegen beim Bund, der Rest bei Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen. Wenn man das Budget konsolidieren will, müssen alle an einem Strang ziehen. Dazu bekennen wir uns. Die Länder sind von den Sparmaßnahmen ja schon betroffen. Etwa, wenn es für den Breitbandausbau in Zukunft weniger Geld gibt.

Reicht das Sparpaket, das die Bundesregierung vorgelegt hat?

Ich sehe den Reformwillen. Es sind im Reformprozess vier Arbeitsgruppen vorgesehen, für die Themen Gesundheit, Bildung, Verwaltung und Energie. Überall braucht es rasche Lösungen. Für Niederösterreich ist mir der Bereich Energie besonders wichtig. Wir sind federführend beim Ausbau der erneuerbaren Energie. Wir haben 800 Windräder, 160.000 PV-Anlagen und produzieren 40 Prozent der erneuerbaren Energie in Österreich. Dafür müssen wir die Netze ausbauen. Bis 2030 investieren wir hier drei Milliarden Euro. Das wird aktuell über die Netzkosten eins zu eins auf die niederösterreichischen Landsleute umgelegt. Dafür habe ich kein Verständnis. Wir werden dafür bestraft, dass wir Vorreiter sind.

Was genau läuft da schief?

Die zusätzlichen Kosten für den Netzausbau spüren alle niederösterreichischen Haushalte direkt über ihre Stromrechnung. Da Niederösterreich durch den hohen Anteil der Erneuerbaren die Netze stärker ausbaut, steigen hier die Kosten höher als in anderen Regionen Österreichs, wo der Ausbau der Erneuerbaren nicht so engagiert vorangetrieben wird. Da muss es einen Ausgleich geben. Manche rühmen sich damit, dass sie kein Windrad aufstellen. Das geht einfach nicht.

Oft sind es FPÖ-Politiker, die gegen Windräder auftreten. Es ist ein Kampagnenthema geworden.

In Niederösterreich wird der Ausbau von der FPÖ mitgetragen. Wir haben gerade erst den Energie- und Umweltfahrplan in der Landesregierung einstimmig beschlossen.

Zurück zum Sparpaket: Der Fiskalrat sagt, es wird nicht reichen.

Der erste Schritt ist einmal getan. Man hat ein Budget und einen Konsolidierungsplan beschlossen. Die Umsetzung wird zeigen, ob es reicht oder nicht.

Beim Pensionssystem wird an einigen Schräubchen gedreht. Eine Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters ist auch für Sie kein Thema?

Mit den Änderungen bei der Korridorpension ist ein erster Schritt gesetzt worden, um das faktische Pensionsantrittsalter hinaufzutreiben. Viel wichtiger ist es aber, dass mehr Menschen, die keine Betreuungspflichten haben, Vollzeit arbeiten. Nur mit mehr Leistung wird der Sozialstaat finanzierbar bleiben. Jene, die Vollzeit arbeiten, dürfen nicht die Dummen sein.

Wenn alles, was im Regierungsprogramm steht, umgesetzt wird, haben wir den Retrosozialismus verhindert

Johanna Mikl-LeitnerLandeshauptfrau von Niederösterreich

IV-Chef Georg Knill fordert das Arbeiten bis 70. Aber etwa 30 Prozent der Unternehmen beschäftigen gar keine Mitarbeiter über 60. Wie viele arbeiten bei Ihnen im Büro?

Ich habe mit älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oft äußerst gute Erfahrungen gemacht. Die wollen arbeiten. Für Unternehmen ist Diversifikation wichtig: Frauen, Männer, verschiedene Altersgruppen. Ältere haben viele Vorteile: Sie haben Erfahrung und kennen die Abkürzungen.

Welche Note würden Sie der Bundesregierung geben?

Für eine Zeugnisverteilung ist es zu früh. Man kann nur empfehlen, dass die Bundesregierung weiter Ausdauer und vor allem Disziplin zeigt. Wettbewerbsfähigkeit, Leistung, Gesundheit, Zuwanderung sind die Themen, die die Menschen beschäftigen. Bei der Zuwanderung ist es für die Menschen ein Faktum, dass zu viele aus anderen Kulturkreisen zugewandert sind, die nicht Deutsch lernen und sich integrieren wollen. Die Sorgen vor dem wachsenden Extremismus sind groß. Das Bildungs- und Sozialsystem ist überfordert. Die Regierung hat den Familiennachzug gestoppt und eine Integrationsverpflichtung beschlossen. In Niederösterreich haben wir Strafen bis zu 2.500 Euro für Eltern eingeführt, die im Kindergarten ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen. Wir fordern, dass der Bund diese niederösterreichische Regel für den Schulbereich übernimmt.

Besteht nicht die Gefahr, dass Eltern, ihre Kinder bei Strafen aus dem Kindergarten nehmen?

Dann müsste man sich überlegen, ob man dagegen mit einer Kürzung der Sozialleistungen vorgeht.

Die Regierung lebt im Moment von ihrem Image, „angenehm fad“ zu sein. Reicht das auf Dauer?

Die Welt um uns wird immer lauter. Da braucht es eine Bundesregierung, die mit ruhiger Hand Reformen angeht.

Sie haben nach der Nationalratswahl für einen Regierungsbildungsauftrag an Herbert Kickl und Verhandlungen mit der FPÖ plädiert.

Ich habe damals auf die Usance verwiesen, dem Erstgereihten das Verhandlungsmandat zu geben. Diese Bundesregierung hat sich nach langem Ringen gefunden und muss jetzt ihrer Verantwortung nachkommen.

Als die Verhandlungen mit SPÖ und NEOS im Jänner geplatzt sind, haben sie den „Retrosozialismus“ von Andreas Babler dafür verantwortlich gemacht. Was ist jetzt anders?

Wenn all das, was im Regierungsprogramm drinnen steht, umgesetzt wird, haben wir den Retrosozialismus auf alle Fälle verhindert.

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 © Bild: Matt Observe

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28+29/25 erschienen.

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