Die Gewalt im Süden Syriens eskaliert: Nach schweren Kämpfen in der Provinz Sweida greift Israel militärisch ein – offiziell zum Schutz der drusischen Minderheit. Welche strategischen, politischen und historischen Hintergründe hinter diesem Eingreifen stehen.
Nach tagelangen Kämpfen in der südsyrischen Provinz Sweida hat sich ein lokaler Konflikt zu einem internationalen sicherheitspolitischen Brennpunkt ausgeweitet. Im Zentrum: die religiöse Minderheit der Drusen, die zwischen den Fronten eines sich wandelnden Syrien steht. Israel, das seit Jahren eine Schutzmachtrolle gegenüber den Drusen einnimmt, greift militärisch ein – offiziell zum Schutz der Glaubensgemeinschaft. Doch das Engagement folgt nicht allein humanitären Motiven.
Gewaltsame Eskalation in Sweida
In der vorwiegend von Drusen bewohnten Region im Süden Syriens war es in den vergangenen Tagen zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen drusischen Milizen, sunnitischen Beduinenkämpfern und syrischen Regierungstruppen gekommen. Berichten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge kamen dabei rund 600 Menschen ums Leben – darunter 154 Zivilisten drusischer Herkunft. Die Organisation wirft der Regierung in Damaskus die Exekution von über 80 Zivilisten vor.
Nach international vermittelter Waffenruhe zogen sich syrische Regierungseinheiten aus der Region zurück, nahmen aber kurz darauf erneut Positionen nahe der Stadt Sweida ein. Damaskus beschuldigt drusische Milizen, die Feuerpause gebrochen zu haben, und spricht von „gesetzlosen Kräften“, die den inneren Frieden gefährdeten.
Israelisches Eingreifen
Parallel dazu griff die israelische Armee militärische Ziele in Damaskus und im Umfeld von Sweida an. Die Regierung in Jerusalem begründet ihr Vorgehen mit dem Schutz der Drusen. Israels Premierminister Benjamin Netanyahu erklärte, man werde keine syrischen Regierungstruppen südlich von Damaskus akzeptieren und kündigte weitere militärische Schritte an, um „rote Linien“ zu wahren. Israels Luftwaffe habe mit „Stärke, nicht mit Bitten“ eine Waffenruhe erzwungen, so Netanyahu.
Gleichzeitig meldeten Medien, dass hunderten Drusen die Flucht nach Israel gelang. Einige von ihnen wurden laut Berichten wieder nach Syrien zurückgebracht. Auch drusische Abgeordnete des israelischen Parlaments überquerten demnach eigenmächtig die Grenze, um Angehörige in Sicherheit zu bringen.
Zwischen Schutzmacht und Geopolitik
Die Rolle Israels als „Schutzmacht“ für die Drusen ist nicht neu, gewinnt aber angesichts der instabilen Lage in Syrien an Gewicht. Nahost-Experte Thomas Schmidinger warnt vor einer weiteren Eskalation des syrisch-israelischen Konflikts: Israel nutze seine Nähe zu den Drusen zur strategischen Einflussnahme im Süden Syriens. Die tatsächliche Bedrohung für Israels Sicherheit sei zwar begrenzt, doch die Lage sei „explosiv“.
Ein Teil der Drusen steht Israels Hilfe offen gegenüber – aus Mangel an Alternativen. Zwar seien die meisten syrischen Drusen nicht „pro-israelisch“, so Schmidinger, doch in Anbetracht der Gewalt durch Regierungstruppen erscheine Tel Aviv als möglicher Schutzfaktor.
Fragile Machtverhältnisse
Die syrische Übergangsregierung unter Ahmed al-Sharaa bemüht sich offiziell um ein inklusives Image, auch gegenüber Minderheiten. Al-Sharaa, einst Führer der islamistischen HTS-Miliz, hatte sich im Dezember an die Macht gekämpft. Seine Regierung versichert, religiöse Gruppen schützen zu wollen. Beobachter wie Schmidinger sehen darin jedoch eher eine taktische Haltung. Der Präsident werde im Irak nach wie vor als Kriegsverbrecher gesucht. Seine Ambitionen gelten einem zentralisierten Staat – ein föderales Modell, wie es viele Minderheiten bevorzugen, lehnt er ab.
Internationale Reaktionen
Das israelische Eingreifen bleibt international umstritten. Außenminister mehrerer arabischer Staaten verurteilten die Angriffe als „Verstoß gegen das Völkerrecht“. Die USA distanzierten sich ausdrücklich von der Militäraktion Israels. Die UNO forderte indes ein Ende der Gewalt und den Schutz der Zivilbevölkerung.
Fazit: Vom lokalen Konflikt zum Spielball internationaler Kräfte
Israel verfolgt mit seinem militärischen Engagement im Süden Syriens mehrere Ziele: den Schutz der drusischen Minderheit, die Sicherung geopolitischer Interessen an der Nordgrenze und die Einschränkung syrischer und iranischer Präsenz in Grenznähe. Der jüngste Gewaltausbruch zeigt, wie schnell ein lokaler Konflikt religiöser Gruppen zum Spielball internationaler Kräfte werden kann – und wie fragil die Lage im Nachkriegssyrien bleibt.
Wer sind die Drusen?
Die Drusen bilden eine eigenständige, im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangene Religionsgemeinschaft. Ihre monotheistische Lehre ist stark mystisch geprägt, ihre religiösen Texte gelten als geheim. In Syrien, Israel, dem Libanon und Jordanien leben insgesamt mehr als eine Million Drusen, die Mehrheit davon in ländlichen Gebieten. In Syrien stellen sie etwa drei Prozent der Bevölkerung, ihre Hochburgen liegen im Süden in der Provinz Sweida. Konversion ist ausgeschlossen, Ehen mit Andersgläubigen unerwünscht.
In Israel sind rund 153.000 Drusen Staatsbürger. Anders als viele andere arabischstämmige Israelis leisten sie Wehrdienst und sind teilweise hoch in Armee und Verwaltung integriert. Viele haben familiäre oder religiöse Verbindungen zu ihren Glaubensbrüdern in Syrien. Das fördert Sympathien – und politische Interessen.
Trotz ihrer geringen Zahl spielten die Drusen politisch immer wieder eine wichtige Rolle – etwa im libanesischen Bürgerkrieg oder im syrischen Widerstand gegen Kolonialmächte. Seit dem syrischen Bürgerkrieg verteidigen sie vor allem ihr Kerngebiet gegen islamistische Angriffe. Jüngste Kämpfe zwischen Drusen, sunnitischen Beduinen und Regierungstruppen forderten laut Menschenrechtsgruppen über 90 drusische Todesopfer. Israel sieht sich als Schutzmacht der Drusen, was die Spannungen zusätzlich verschärft.