Die Bundesregierung will mit einem harten Migrationskurs unter anderem das Terrain gegenüber der FPÖ absichern. Innenminister Gerhard Karner erklärt im Interview, warum dieser Kurs die illegale Zuwanderung reduzieren soll und warum es an Deutschlands dichten Grenzen kaum Asylwerber aufzugreifen gibt. In Sachen Messenger-Überwachung wird er gegenüber Kritikern emotional
Dieser Tage endet die Begutachtung für Ihre Verordnung zum Stopp des Familiennachzugs für Asylberechtigte. Zudem laufen Asyl-Aberkennungsverfahren für Menschen aus Syrien. Spanien geht einen anderen Weg: Dort werden in den nächsten drei Jahren 900.000 illegale Migrantinnen und Migranten legalisiert, weil man die Arbeitskräfte braucht. Wer macht es richtig?
Der Stopp des Familiennachzugs ist eines der ersten Projekte, das diese Regierung aus ihrem Programm abarbeitet. Wir gehen davon aus, dass das mit Mitte des Jahres umgesetzt wird und es danach, voraussichtlich in einem Jahr, durch eine Quotenregelung ersetzt wird – wobei die erste Quote auch null sein kann. Was Spanien macht, halte ich für den völlig falschen Weg. Ich bin klar dafür, zwischen legaler Migration und dem Kampf gegen illegale Migration strikt zu trennen. Wir haben im Kampf gegen illegale Migration den richtigen Weg eingeschlagen und die Zahlen deutlich reduziert.
Spanien lässt Pragmatismus walten: Die Leute sind da, werden z. B. als Erntehelfer gebraucht, also lässt man sie bleiben. Auch bei uns werden Arbeitskräfte dringend gesucht.
Ich halte das dennoch für den falschen Weg, weil man so über die Hintertür das Geschäft der Schlepper fördert. Was wir tun, ist, über ein Integrationsprogramm Menschen zur Integration und in den Arbeitsmarkt zu bringen. Es gibt zu viele Asylberechtigte, die keiner Arbeit nachgehen. Auch unter den Menschen, die aus der Ukraine gekommen sind, obwohl das besser zu funktionieren beginnt.
Wer aus der Ukraine geflüchtet ist, hat gleich Zugang zum Arbeitsmarkt, wäre das nicht allgemein gut? Arbeit hilft bei der Integration.
Wir haben ja in der Bundesbetreuung eine Arbeitspflicht für Asylwerber. Immer mehr Bundesländern folgen diesem Beispiel. Sie müssen dort, wo sie untergebracht sind, eine Gegenleistung erbringen.
Mit gemeinnütziger Arbeit, nicht im regulären Arbeitsmarkt.
Ab dem Zeitpunkt, wo jemand asylberechtigt ist – und wir werden mit den Verfahren immer schneller –, sollte rasch die Integration am Arbeitsmarkt gelingen. Daher wird es auch mehr Deutschkurse geben und die Verpflichtung, an diesen Kursen teilzunehmen.
Ziel ist es, Straftäter auch wieder nach Syrien und Afghanistan abschieben zu können

Wie lange dauern die Verfahren?
In der ersten Instanz rund drei Monate. Wenngleich wir in Zusammenhang mit Syrien nach dem Fall des Assad-Regimes Anfang Dezember ein Rückführungs- und Abschiebeprogramm vorbereiten. Es sind schon Syrer zurückgekehrt, und es wurden Asyl-Aberkennungsverfahren durchgesetzt. Nicht, weil ich mir das als Innenminister einbilde. Sondern, weil das Asylgesetz so funktioniert und es konsequent umgesetzt werden muss, damit es glaubwürdig und gerecht bleibt.
Wie viele Rückkehrer gab es bisher?
Aus Österreich sind seit Anfang des Jahres über 300 Personen zurückgekehrt – das ist um ein Drittel mehr als in den beiden Jahren zuvor insgesamt. Wir gehen davon aus, dass es mehr werden und unterstützten die Menschen auch dabei. Entscheidend ist, dass diese vorsichtige Stabilität, die dieses Land bekommen hat, auch nachhaltig abgesichert wird. Denn die Menschen wollen zurück. Die syrische Regierung will, dass die Menschen zurückkommen. Über 500.000 sind bereits aus den Nachbarländern zurückgekehrt. Aber vier Millionen sind immer noch in den Flüchtlingslagern in der Türkei, Jordanien und im Libanon. Jetzt muss man den Zeitpunkt nutzen, damit sich die Menschen aus diesen Flüchtlingslagern nicht in Richtung Europa auf den Weg machen, sondern in ihre Heimat gehen. Daher ist es gut, dass die EU und die USA die Sanktionen gegen Syrien aufgehoben haben, damit hier wieder etwas entstehen kann.
Inwieweit sind diese Aberkennungsverfahren ein Papiertiger? Die Unterlagen für Asylverfahren besagen, dass die politische Entwicklung noch nicht nachhaltig ist. Zudem herrscht bittere Armut. Wer den Asylstatus verliert, kann humanitäres Bleiberecht bekommen. Sie können also nur auf freiwillige Rückkehr hoffen.
Wir tun beides. Wir unterstützen freiwillige Rückkehr. Wir haben aber auch die Verantwortung für eine funktionierendes Asyl- und Fremdenrecht. Dazu gehört, dass Straftäter und Gefährder außer Landes gebracht werden. Das ist keine einfache Diskussion, aber sie ist notwendig. Ich habe gemeinsam mit der deutschen Innenministerin Nancy Faeser Gespräche mit dem syrischen Innenminister geführt, damit wir in das Heimatland abschieben können. Wir schieben derzeit auch Syrer und Afghanen ab, aber nicht in die Heimatländer. Mein Ziel ist es, Straftäter auch wieder in diese Länder abschieben zu können.
Sie vermischen gerade normale Flüchtlinge und Straftäter.
Da gibt es unterschiedliche Hebel. Wir haben jene, die freiwillig zurückkehren. Dann jene Menschen aus Syrien oder Afghanistan, die in der Regel Asyl oder subsidiären Schutz bekommen haben, wo sich aber das Lagebild im Land zumindest für bestimmte Bevölkerungsgruppen ändert, da ist der Schutzstatus kein Automatismus mehr. Und wenn das so ist, muss der- oder diejenige auch wieder zurückkehren.
Daher stoppen wir den Nachzug. Damit wir die Kinder, die da sind, in die Schule bringen, sie Deutsch lernen und in den Arbeitsmarkt kommen

Soll man mit dem Talibanregime in Afghanistan verhandeln?
Faktum ist, dass es vor einigen Monaten auf Beamtenebene Gespräche gegeben hat. Ich halte das auch für notwendig.
Um den Familiennachzug zu stoppen, wurde die Notstandskarte gezückt. Es gibt aber keinen Notstand, wenn man den Gesamtstaat betrachtet.
Das sehe ich auch so und ich behaupte es auch nicht. Dieser Begriff hat sich irgendwie verselbstständigt. Es geht um öffentliche Ordnung und innere Sicherheit. Öffentliche Ordnung betrifft vor allem die Wiener Schulen. Allein im Mai letzten Jahres sind 1.270 Menschen über den Familiennachzug gekommen, vor allem Jugendliche und Kinder, der Großteil nach Wien. Und öffentliche Sicherheit: Ich greife ungern Nationalitäten heraus. Aber es ist ein Faktum, dass wir gerade bei syrischen Kindern den größten Zuwachs in der Jugendkriminalität hatten. Vor fünf Jahren waren 150 Tatverdächtige unter 14-jährige Syrer, letztes Jahr über 1.000. Warum? Weil unsere Systeme massiv überlastet sind. Und bei jungen Burschen, denen fad ist und die aus einer besonderen Situation kommen, besteht die Gefahr, dass sie auf die schiefe Bahn geraten. Daher stoppen wir den Nachzug. Damit wir die Kinder, die da sind, in die Schule bringen, sie Deutsch lernen und in den Arbeitsmarkt kommen.
Ist es nicht auch ein Systemversagen, dass alle in Wien landen und nicht im Land aufgeteilt wurden?
Wie hätte das in der Praxis funktionieren sollen? Die größte Community ist eben in Wien. In den Jahren 2015/16 und 2021/22 war es eben nicht so, dass man die bessere Verteilung aus dem Ärmel schütteln hätte können. Das funktioniert nur, wenn es geregelt abläuft. Und regeln kann man es, indem man stoppt und eine Kontingentierung, mit einer Quote, wer wohin kommen und arbeiten darf, festlegt.
Deutschland hat angekündigt, die Grenzen dicht zu machen. Das wurde von einem Gericht als rechtswidrig erachtet. Es hat sich gezeigt, Tausende Polizisten haben ein paar Dutzend Menschen aufgegriffen. Stimmen da die Relationen noch?
Ich muss da den neuen deutschen Innenminister in Schutz nehmen. Er hat nicht gesagt, er wird die Grenze schließen, sondern er wird den Grenzschutz verstärken. Ich hatte mit ihm ein gutes Arbeitsgespräch. Wir sind uns einig, dass es neben diesen Binnengrenzkontrollen, entscheidend ist, dass die EU in den Außengrenzschutz investiert und in das Thema gemeinsames europäisches Asylsystem mit Verfahren an diesen Außengrenzen. Dafür kämpfen wir.
Ist Österreich de facto Außengrenze, weil Ungarn sein eigenes Spiel spielt?
Nein, denn man sieht, dass wir die illegale Migration massiv zurückgedrängt haben. Wir haben vor drei Jahren pro Woche über 3.000 Illegale an der burgenländisch-ungarischen Grenze aufgegriffen, letzte Woche waren es 50. Man sieht, wenn man ordentlich zusammenarbeitet, gelingt auch etwas.
Warum sollte der Schutz der Außengrenzen jetzt funktionieren, wenn es Jahrzehnte nicht geklappt hat?
Im Asyl- und Migrationspaket, das letztes Jahr verabschiedet wurde, gibt es einige Punkte, die das gewährleisten sollen: Screening und Schnellverfahren an den Außengrenzen, Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Wir sehen, dass die Zahlen massiv zurückgehen. Wir hatten zuletzt 118 frische Asylanträge.
Sind Sie eher froh oder enttäuscht, dass Friedrich Merz mit seiner Ankündigung niemand ohne gültige Papiere nach Deutschland zu lassen, erst mal vor Gericht gescheitert ist?
Ich kommentiere das nicht. Wir haben uns aber sehr genau die Zahlen für jene Bundesländer angesehen, die eine Grenze zu Deutschland haben. Wir haben dort weniger Asylanträge als vor einem Jahr. Ich habe Alexander Dobrindt, auch gesagt, ich finde es gut, dass Deutschland jetzt auch einen robusteren Kurs fährt, aber er wird nicht allzu viele Möglichkeiten haben, Asylwerber zurückzuweisen, weil durch unsere konsequenten Maßnahmen kaum welche unterwegs sind.
Merz will trotz Gerichtsentscheid weitermachen.
Zurückweisungen an Grenzen hat es immer gegeben. Merz hat gesagt, man halte sich selbstverständlich an das europäische Recht. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Es gibt auch kein Indiz dafür, berichten unsere Beamten, dass irgendjemand illegal von den deutschen Behörden zurückgewiesen worden wäre.
Wenn man der Polizei von vornherein Missbrauch unterstellt, müsste man auch Polizisten die Glock wegnehmen

Sind Sie eigentlich auch dafür, dass die Europäische Menschenrechtskonvention neu verhandelt wird?
Es gibt namhafte Experten, die sagen, es ist sinnvoll, die EMRK, die aus den 1950er-Jahren stammt und mehrfach überarbeitet wurde, weiterzuentwickeln. Es gibt auch die Initiative mehrerer Staaten, darunter auch Österreich, zu diskutieren, ob sie wirklich noch zeitgemäß ist und den Intentionen entspricht. Eben weil es ein Thema ist, dass Straftäter, nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können, weil europäische Gerichtshöfe den Riegel vorschieben.
Es gibt die Sorge, dass dadurch das Folterverbot ausgehöhlt wird.
Das ist alles auf dem Boden des Rechtsstaates und der Menschenrechte abzuwickeln, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wir haben derzeit nicht die Möglichkeit, nach Syrien oder Afghanistan abzuschieben. Manche wollen den Menschen vorgaukeln, man schmeißt die Leute dort einfach aus dem Flieger raus. Das ist scheinheilig. Man muss auf dem Boden der Menschenrechte diskutieren, dass das Recht auf Familie aus dem Artikel 8 der EMRK wohl wichtig ist, aber ob es wirklich verhindern soll, dass ein Straftäter abgeschoben wird.
Ein Vorhaben, für das Sie nicht gelobt werden, ist die Gefährderüberwachung. Koalitionspartner NEOS zögert. Ziehen Sie das trotzdem durch?
Da geht es nicht um Lob und Tadel, sondern um eine absolute Notwendigkeit, wie Verfassungsschützer und Terrorabwehrkämpfer bestätigen werden. Da erwarte ich einfach von allen, dass sie aus dem ideologischen Eck herauskommen und den Menschen zuhören, die sagen, wir brauchen das, um auf zeitgemäße Art im Kampf gegen den Terror zu ermitteln. Andere Staaten tun das auch. Wir sind hier europäisches Schlusslicht. Der Gesetzesvorschlag wurde von vielen für gut befunden, etwa von der Generalprokuratur oder der Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes. Eine Diskussion in der Begutachtung ist wichtig, auch wenn manche ein bisschen lauter sind und das aus ideologischer Sicht aushebeln wollen.
Auch die Richtervereinigung äußert Zweifel, der man wohl keine ideologische Sicht nachsagen kann. Es sei nicht möglich, nur einzelne Bereiche eines z. B. Mobiltelefons auszulesen.
Also mit dieser Diskussion kommen wir nicht weiter. Da bin ich sensibel. Wenn man der Polizei, dem Staat, den Behörden von vornherein Missbrauch unterstellt, müsste man drastisch gedacht, auch Polizistinnen und Polizisten auf der Straße die Glock wegnehmen, weil das eine Waffe ist, und man mit einer Waffe auch Verbotenes tun kann. Auf diese Idee käme niemand, weil die Polizei gut ausgebildet ist und höchstes Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Genau das gleiche gilt für die Beamten im Verfassungsschutz. Auch die Kritik, man müsste noch bevor es den rechtlichen Rahmen gibt, schon wissen, welche Software man für die Messenger-Überwachung verwenden wird – stellen Sie sich vor, wir hätten es umgekehrt gemacht: zuerst eine Software festgelegt. Man hätte gesagt, die sind von allen guten Geistern verlassen, es gibt ja nicht einmal rechtliche Rahmenbedingungen. Wer so argumentiert, will nicht und traut der Polizei einfach nicht. Am lautesten ist da die FPÖ.
Gibt es Vorbilder in Europa, wie es funktionieren soll, an denen Sie sich bei diesem Vorhaben orientieren?
Da gibt es viele. Faktum ist aber auch, dass im Nachrichtendienst die Zusammenarbeit enorm wichtig ist, aber kaum darüber gesprochen wird.
Ist in der Sicherheitspolitik beim Match gegen Rechtspopulisten überhaupt etwas zu gewinnen? Ein Staat ohne Straftaten oder ohne illegale Zuwanderung ist eine Utopie. Die FPÖ wird immer sagen, die Regierung habe versagt.
Unsere Aufgabe ist, für Sicherheit zu sorgen und nicht ein Match zu gewinnen. Es ist meine Verantwortung, ich werde gut dafür bezahlt, dass ich gemeinsam mit anderen Verantwortungsträgern möglichst hohe Sicherheitsstandards in diesem Land schaffe. Daher kämpfe ich so für die Gefährderüberwachung. Ich halte es für absolut miserabel, fast hinterhältig, dass die FPÖ und Herr Kickl aus Rache oder weil es ihnen in den Kram passt, plötzlich mit dem großen Polizistengegner Peter Pilz gemeinsame Sache macht. Das ist ein Offenbarungseid an sich, das hätte vor ein paar Jahren keiner geglaubt.
Ist die Messenger-Überwachung wirklich das Zaubermittel, wenn es gegen Extremisten geht?
Wir sind ja nicht bei Asterix und Obelix, wo man einen Zaubertrank nimmt. Aber sie gehört zu einem Paket an notwendigen Maßnahmen. Das zeigen zwei Fälle. Beim Messerattentäter von Villach hätte sie nicht geholfen, weil der sich binnen weniger Monate online radikalisiert hat. Um so etwas zu verhindern, muss man die Plattformen in die Pflicht nehmen. Im Fall der Taylor-Swift-Konzerte letzten Sommer wäre die Überwachung eine enorme Erleichterung gewesen. Die Verfassungsschützer haben durch das Fenster beobachtet, dass der Mann Nachrichten schreibt, sie konnten aber nicht mitlesen, ob er Verbündeten schreibt, was er ja getan hat. Auch hätte man durch Überwachung wissen können, ob er schon Sprengstoff hergestellt hat.
Wie sicher darf man sich in Österreich fühlen?*
Wie sicher fühlen sie sich?
An sich sicher.
Das tun auch die allermeisten, denn wir leben nach wie vor in einem der sichersten Länder der Welt, aber auf keiner Insel der Seligen. Es gibt islamistischen Extremismus, Rechtsextremismus, dort gibt es auch große Waffenarsenale in Europa. Es gibt Cyberattacken, Online-Radikalisierung, steigenden Antisemitismus. Gegen all das muss man etwas tun. Aber sonst kann man sich sicher fühlen.
*Das Interview wurde am Freitag, dem 6. Juni, also noch vor dem Amoklauf an einer Grazer Schule geführt
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 24/25 erschienen.