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Christian Stocker: „Man darf nicht immer nur jammern“

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19 min

©Bild: Matt Observe

Hundert Tage ist Christian Stocker nun als Bundeskanzler im Amt und sein Anspruch an sich selbst ist hoch: „Ich will, dass dieses Land nach meiner Amtszeit in den Daten, die messbar sind, besser dasteht“, sagt er im Interview. Die Stimmung in der Bevölkerung müsste bald besser werden, meint er, denn „man darf nicht immer nur alles furchtbar finden. Man darf sich aber auch nichts vormachen“.

Sie sind gut 100 Tage Bundeskanzler. Was haben Sie in dieser Zeit über sich selbst gelernt?

Es waren sehr intensive drei Monate. Ich habe gelernt, dass Herausforderungen, auch wenn sie auf den ersten Blick sehr schwierig erscheinen, bewältigbar sind. Und die Möglichkeit, dieses Land gestalten zu können und etwas beizutragen, machen die Aufgaben für mich viel leichter, als sie sonst wären.

Was haben Sie über die Österreicher und Österreicherinnen gelernt?

Ich bin ja nicht neu in der Politik. Ich war 35 Jahre in der Kommunalpolitik, war Abgeordneter im Parlament und Generalsekretär – ich habe schon so viele Begegnungen gehabt, sodass mir die Österreicher gut bekannt sind.

Hat Sie etwas überrascht?

Natürlich gibt es viele Situationen, die unerwartet sind. Alles andere wäre ja geradezu unnatürlich.

Was war denn das Schwierigste?

Das Schwierigste war die erste Woche mit ihrem sehr straffen Zeitplan. Nach der Angelobung am Montag war gleich am Donnerstag der Europäische Rat. Diese Tage waren sehr intensiv.

Der deutsche Kanzler Friedrich Merz hat bei seinem Antritt gesagt, im Sommer würden die Menschen spüren, „hier verändert sich langsam etwas zum Besseren, hier geht es jetzt voran“. Nachdem Sie zwei Monate länger im Amt sind, müssten wir schon etwas spüren. Was denn?

Die Wochen, die diese Regierung im Amt ist, waren keine schlechten für Österreich. Wir haben schon vieles aus dem Regierungsprogramm auf den Weg gebracht: Gefährderüberwachung, Aussetzung des Familiennachzugs, Handyverbot an den Schulen, Mietpreisbremse, ein Paket für den unternehmerischen Mittelstand. Zudem haben wir dem Parlament ein Zwei-Jahres-Budget, ein Doppelbudget, vorgelegt, das im Haushalt rund 15 Milliarden Euro einsparen soll. Ohne Streit – das ist etwas, das Zuversicht geben kann.

Wir sehen jetzt einen schmalen Streifen am Horizont – schmal und noch weit weg, aber immerhin sichtbar

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 © Bild: Matt Observe

Bei Politikern ist es offenbar in, von uns Zuversicht einzufordern. Aber was tut denn die Politik dafür?

Wir haben uns vorgenommen, in einem ersten Schritt das Budget zu konsolidieren. Stabile Verhältnisse in unserem Haushalt sind die Voraussetzung dafür, dass wir in eine gute Zukunft blicken können. Als zweiten Schritt wollen wir dieses Land schlanker, effizienter, fitter machen. Und letztendlich wollen wir wieder Wachstum generieren. Ich tue alles dafür, dass die Regierung tatsächlich liefern wird, was sie versprochen hat. Im Regierungsprogramm sind viele Punkte festgeschrieben, die dieses Land zum Besseren verändern werden, damit wir alle wieder mit ein bisschen mehr Optimismus in die Zukunft schauen.Wenn ich mir die Wirtschaftsdaten ansehe, ist die Situation, in der wir begonnen haben, keine erfreuliche. Aber wir sehen jetzt einen schmalen Streifen am Horizont – schmal und noch weit weg, aber immerhin sichtbar.

Und diese Prognose soll halten?

Das sind Echtzeitdaten. Es gibt eine zarte Pflanze des Optimismus in der Wirtschaft und eine entsprechende Entwicklung. Es ist noch zu wenig, das ist mir klar. Es muss mehr werden. Daher haben wir uns eine Reformagenda für die Bereiche Energie, Bildung und Gesundheit vorgenommen. Darüberhinaus wollen wir mit der Industriestrategie Impulse setzen, damit der Streifen am Horizont breiter wird. Dann wird auch in der Bevölkerung die Zuversicht und das Vertrauen in die Politik wachsen.

Woher kommt dieser plötzliche Optimismus in der Wirtschaft? Faktisch ist ja noch nicht viel passiert und ob das Budget die Einsparungen bringt, wird erst der Vollzug zeigen.

Wir wissen, dass in der Wirtschaft auch Erwartungshaltungen wichtig sind. Wir zeigen, dass wir das, was wir uns vorgenommen haben – 15 Milliarden im Budget und auch in der Verwaltung einzusparen – auch umsetzen. Und wir haben schon kleine Impulse gesetzt: Die Belegpflicht erst ab 35 Euro ist ein Schritt Richtung Bürokratieabbau und Erleichterung für Unternehmen, ebenso der Ausbau der Pauschalierungen. Dazu kommen die Mietpreisbremse, das verpflichtende Integrationsprogramm, das Verbot für die Ehe unter 18. Der Familiennachzug wurde ausgesetzt. Man kann sagen, da ist noch nicht viel geschehen, aber das Signal bewirkt schon, dass die Zahlen zurückgehen. Die Bevölkerung soll sich gewiss sein können, dass wir das, was wir versprechen, auch umsetzen.

Politik und Psychologie also.

Auch Wirtschaft und Psychologie gehen Hand in Hand. Warum haben wir so eine hohe Sparquote? Weil viele Menschen verunsichert sind und was sie an verfübarem Einkommen dazubekommen, aufs Sparkonto legen. Sie befürchten, dass die Zeiten schlechter werden und wollen vorsorgen. Wir wollen den Konsum ankurbeln. Da ist es notwendig, dass Bereitschaft besteht, mehr Geld auszugeben, sich etwas zu gönnen, weil man positiver in die Zukunft blickt.

Auch Jugendliche pendeln. Wir tun also etwas für sie, wenn sie auf das Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen

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Österreich ist in der EU am letzten Platz bei der Wirtschaftsleistung. Da kann es ja nur noch aufwärtsgehen?

Ich gehe davon aus, dass es besser wird. Dass wir bei der Wirtschaftsleistung am hinteren Ende sind, ist nichts, womit wir zufrieden sein können. Wir werden vieles tun, um die Wirtschaftsleistung anzukurbeln, werden das aber nicht mit Geldzuwendungen machen können, weil wir in der Vergangenheit schon sehr viel Geld für die Wirtschaft in die Hand genommen haben. Jetzt müssen wir Investitionsanreize und Impulse auslösen, ohne dass damit unmittelbare Geldzahlungen verbunden sind: durch Verfahrensvereinfachungen, längere Abschreibedauer für Investitionen, weg von Förderungen hin zu Haftungen und Garantien für Unternehmen, damit sie sich günstiger finanzieren können.

Wolfgang Schüssel sagt im News-Interview: Es gebe keine Wirtschaftskrise, sondern nur Stagnation.

Die Wirtschaftsleistung könnte besser sein. Wir reden oft von Krisen, vergessen aber, dass es in der Vergangenheit Situationen gegeben hat, die der heutigen gleichen. Wir hatten 2004 und 2009 ein gesamtstaatliches Defizit in ähnlicher Größenordnung. Auch bei der Schuldenquote haben wir früher ähnliche Zahlen gesehen. Aber wir haben uns jedes Mal konsolidieren und sanieren können. Das werden wir auch diesmal tun. Wolfgang Schüssel hat recht: Man darf nicht immer nur jammern und alles furchtbar finden. Man darf aber auch nicht wegschauen und sich etwas vormachen.

Die Regierung tut etwas für Pendler und Pensionisten. Welche Rolle spielt die junge Generation in Ihren Visionen für das Land?

Eine große Rolle, denn wir wollen dieses Land ja für die Jugend gestalten. Die jungen Leute sollen die Chance haben, ihr Leben so zu leben, wie sie es wollen. Wenn wir sagen, Leistung muss sich lohnen, meinen wir damit, dass jeder, der sich einen Lebenstraum erfüllen will, das auch können soll. Vorzugsweise durch Leistung. Was wir der Jugend anbieten, ist, Chancen und Möglichkeiten zu eröffnen. Wenn Sie sagen, wir tun etwas für die Pendler: Auch Jugendliche pendeln. Wir tun also etwas für sie, wenn sie auf das Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen.

Die Regierung bremst bei Klimaförderungen. Den Klimawandel werden die Jungen länger spüren als wir hier.

Es ist nicht richtig, dass wir in diesem Bereich nicht ausreichend Initiativen setzen.Wir haben in Östererich nach wie vor das Klimaziel, 2040 dort zu sein, wo die EU 2050 sein will. Wir haben einen anderen Ansatz als unser früherer Koalitionspartner. Wir glauben nicht, dass Gebote und Verbote der Schlüssel zum Erfolg sind. Wir glauben an Innovation und Technik, wie etwa Verfahren, um CO2 aus der Luft zu entnehmen. Diese Regierung ist beim Klimaschutz nicht schlechter unterwegs. Wir werden es an den Ergebnissen sehen. Was Förderungen betrifft: Es ist sehr viel gefördert worden, auch im Hinblick darauf, dass wir durch die Pandemie und weitere Krisen eine Delle in der Wirtschaft hatten und das auffangen mussten. Jetzt bewegen wir uns auf ein durchschnittliches europäisches Niveau zurück. Der Heizkesseltausch wird weiter gefördert werden, aber nicht mehr zu 75 Prozent. Es leuchtet ein, dass das als Überförderung gesehen werden konnte.

Studien sagen, die Jugend habe das Vertrauen in die Politik verloren.

Diese Geschichte kenne ich, seit ich in der Politik bin. Das ist ein Stück weit ein Klischee.

Nach Corona sind die Vetrauenswerte aber deutlich hinuntergegangen.

Corona hat vieles verändert. Jeder war von Lockdowns und Einschränkungen betroffen. Aber ich glaube nicht, dass das dazu geführt hat, dass die Jugend das Vertrauen in die Politik verliert. Vertrauen gewinnt man, wenn Kontakt besteht. Ich bemühe mich, den Kontakt zur Jugend und zur Bevölkerung im Allgemeinen nicht zu verlieren. Ich bin sehr viel unterwegs, viel bei den Menschen, wie es so schön heißt. Ich habe schon als Generalsekretär und Abgeordneter mitbekommen, dass die Themen, mit denen wir uns in Wien beschäftigen und die wir lösen müssen, bei den Menschen oft gar nicht den großen Stellenwert haben. Die Menschen, die ich am Wochenende im Kaffeehaus oder im Gasthaus treffe, haben oft ganz andere Probleme. Wenn man beides im Auge hat, wächst auch das Vertrauen wieder.

Ich will, dass dieses Land nach meiner Amtszeit in den Daten, die messbar sind, besser dasteht. Das ist mein Anspruch

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 © Matt Observe/News

Es kommt immer wieder der Vorschlag eines Kinderwahlrechts, einer Zusatzstimme, die Eltern für ihre Kinder haben. Was halten Sie davon?

Es ist gut, so wie es ist: Dass jeder eine Stimme hat, der wahlberechtigt ist. Ich glaube nicht, dass es junge Menschen stärker an die Politik anbindet, wenn Eltern für Kinder wählen.

Für die Pensionisten ist die Politik sehr aktiv. Wirtschaftsexperten sagen, das Defizit sei auch deswegen so groß, weil Pensionen über der Inflationsrate erhöht wurden.

Es ist nicht fair, wenn man das Budgetdefizit den Pensionisten zuschiebt. Das Defizit resultiert aus der Wirtschaftsleistung, die schwächer ist als prognostiziert. Da breche ich auch gleich eine Lanze für den Finanzminister der Vorgängerregierung: Der Budgetvollzug 2024 ist um 1,7 Milliarden Euro besser als im Voranschlag vorgesehen. Wir haben also weniger ausgegeben. Aber die Prognosen sind von 1,2 Prozent Wirtschaftswachstung ausgegangen, in Wahrheit gab es 1,2 Prozent Schrumpfung. Das hat sich im Budget niedergeschlagen. Ich halte nichts davon, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Ich halte hingegen viel davon, dass die Wirtschaftsleistung steigt. Dafür braucht es Anreize, damit Arbeit als sinnstiftend gesehen wird. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, werden wir nicht weniger arbeiten können. Zumindest weiß ich nicht, wie sich die Rechnung sonst ausgehen soll.

Soll es bei den Pensionen heuer eine sparsamere Erhöhung geben?

Das werden wir im Herbst verhandeln. Bei den Lohnabschlüssen ist seitens der Sozialpartner eine gewisse Zurückhaltung zu bemerken. Wo der Bund Vertragspartner ist, werden wir einen fairen Abschluss finden.

Warum fällt es der Politik zu schwer, über eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters zu diskutieren?

Wir können ja diskutieren, aber solange das faktische und das gesetzliche Pensionsalter um Jahre auseinanderklaffen, wissen wir, wo der Hebel ist. Jedes Monat, das wir später in Pension gehen, bringt dem Budget 200 Millionen Euro. Wir haben in der Pensionsreform einen Mechanismus eingezogen, der eine Reihe von Maßnahmen vorsieht, wenn die Heranführung an das gesetzliche Pensionsantrittsalter nicht gelingt.

70 Jahre wie bei den Dänen – no way?

Das ist im Moment kein Thema.

Österreich hofft, beim Wirtschaftswachstum vom deutschen Sonderbudget profitieren zu können. Ist das nicht sehr optimistisch?

Wenn man sieht, wie sehr Österreichs Wirtschaft mit der deutschen verflochten ist, ist für mich nicht logisch, warum es jetzt nicht so sein sollte.

Dann müsste es Ihnen Sorgen machen, dass die deutschen Wirtschaftsweisen für die deutsche Entwicklung schwarz sehen.

Experteneinschätzungen sollte man ernst nehmen, aber die Realität ist oft anders als die Schätzung. Ich hoffe, und das wäre nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa gut, dass sich die Wirtschaft gut entwickelt und Deutschland seine Rolle in Europa erfüllen kann.

Friedrich Merz und seine Regierung werden mit viel Skepsis gesehen. Was, wenn die Rechnung nicht aufgeht?

Ich bezweifle, dass es Sinn macht, eine Regierung, die nicht einmal einen Monat im Amt ist, schon mit so viel Skepsis zu beurteilen. Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, was alles nicht klappen könnte, wäre es angebracht, sich Gedanken zu machen, was alles werden könnte. Hier in meinem Büro hängen zwei Fotos vom Mai 1955. Eines, wo der Staatsvertrag gezeigt wird, eines, wo sich die Menschen darüber freuen. Wenn die die Einstellung gehabt hätten, dass alles furchtbar ist, würden wir heute nicht hier sitzen.

Mit welcher Einstellung sind Sie zur Angelobung geschritten? Nimmt man sich da Großes vor oder will man einfach politisch überleben?

Mein Gedanke war: Ich habe das Privileg, dieses Land gestalten zu können, und ich nehme es mit großer Freude und Optimismus wahr. Ich will, dass, wenn ich diese Funktion nicht mehr innehabe, das Land reformiert ist, dass wir resilienter in Krisen sind, besser aufgestellt in Sicherheitsfragen, uns im Migrationsbereich besser positionieren, dass die Wirtschaft wächst. Ich will, dass wir die Wartezeiten im Gesundheitsbereich verkürzt haben. Dass nach der Schulpflicht alle Lesen, Schreiben und Rechnen können. An das alles gehe ich mit einem Gestaltungsanspruch heran. Das ist doch etwas unglaublich Schönes. Ich denke doch nicht: Hoffentlich überlebe ich das oder wie lange überlebe ich das.

Wir stellen diese Frage öfter an Politiker. Viele tun sich mit einer Antwort schwer.

Ich tu mir da überhaupt nicht schwer. Ich will, dass dieses Land nach meiner Amtszeit in den Daten, die messbar sind, besser dasteht. Das ist mein Anspruch. Ob ich das erreichen werde, wird man sehen. Meine Ambition ist groß.

Sie strahlen ja richtig.

Mich wundert immer, wenn jemand fragt: „Wieso tut man sich das an? Soll ich kondolieren oder gratulieren?“ Ja, um Gottes willen: Gratulieren! Danke! Gerne!

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 23/25 erschienen.

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