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Das US-Außenministerium hatte die Namen der Betroffenen nicht sofort mitgeteilt. Die Rede war zunächst bloß von "radikalen Aktivisten" und "instrumentalisierten" Nichtregierungsorganisationen, die Zensurmaßnahmen durch ausländische Staaten vorangetrieben hätten. Sie sollen versucht haben, US-Plattformen zu zwingen, "amerikanische Standpunkte" zu unterdrücken, die sie ablehnten. Mittlerweile ist aber klar, dass auch Imran Ahmed, der britische Chef des in den USA ansässigen Center for Countering Digital Hate, sowie Clare Melford, Mitbegründerin des Global Disinformation Index (GDI) mit einem Einreiseverbot belegt wurden. Ein GDI-Sprecher Organisation kritisierte das Vorgehen der USA als unmoralisch, ungesetzlich und unamerikanisch.
Breton gilt als Architekt des EU-Gesetzes für digitale Dienstleistungen, den Digital Services Act (DSA). Das Gesetz schreibt allen Plattformen vor, "illegale Inhalte" zu löschen, und zwar "unverzüglich". Bei Verstößen drohen den Unternehmen Strafen in Milliardenhöhe. "Unsere digitalen Regeln sorgen für einen sicheren und fairen Wettbewerb für alle Unternehmen und werden ohne Diskriminierung angewendet", so die EU-Kommission. Die Meinungsfreiheit gehöre zu den grundlegenden Rechten in Europa und sei ein Wert, den man mit den USA und anderen Demokratien teile. Wie sie genau auf die Einreiseverbote reagieren könnte, erläuterte die EU-Kommission zunächst nicht. Denkbar wäre etwa, dass sie vorschlägt, die Zusammenarbeit mit den USA in bestimmten Bereichen einzuschränken. Bei einer weiteren Eskalation des Streits sind wirtschaftliche Gegenmaßnahmen nicht ausgeschlossen.
Auch der EU-Ratspräsident António Costa hat das Ganze als nicht hinnehmbar bezeichnet. "Solche Maßnahmen sind zwischen Verbündeten, Partnern und Freunden inakzeptabel", schrieb der frühere portugiesische Regierungschef in sozialen Netzwerken. Die EU werde die Meinungsfreiheit und ihre fairen Digitalregeln ebenso verteidigen wie das Recht, eigene Regeln zu setzen. Die EU verurteile die Reisebeschränkungen der USA gegenüber europäischen Bürgern und Amtsträgern.
Die deutsche Justizministerin Stefanie Hubig wies am Mittwoch die Vorwürfe der US-Regierung als inakzeptabel zurück. "HateAid unterstützt Betroffene von rechtswidriger digitaler Hassrede", sagte die SPD-Politikerin in Berlin. Die Organisation leiste einen wichtigen Beitrag dazu, dass Persönlichkeitsrechte auch im digitalen Raum geschützt werden. Im Oktober wurde von Mitgründerin Anna-Lena Hodenberg für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Damals hieß es, sie habe 2018 Pionierarbeit geleistet und die erste bundesweite Beratungsstelle geschaffen, an die sich Menschen bei Fällen von Gewalt im Netz wenden können. Wer die Arbeit von ihr und Josephine Ballon als Zensur bezeichne, "stellt unser rechtsstaatliches System falsch dar", führte Hubig aus. Sie erklärte, dass HateAid Betroffene unterstützt, aber keine Meinungsäußerungen verbietet.
"Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden", so die Politikerin weiter. Die Maßnahmen der Regierung von US-Präsident Donald Trump "zeigen, dass das zivilgesellschaftliche Engagement mächtigen Plattformen unbequem ist". Die Geschäftsführerinnen hätten ihre "Unterstützung und Solidarität", stellte sie klar. Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in Deutschland fördert nach eigenen Angaben seit 2020 eine bedarfsgerechte Beratung durch HateAid für Betroffene von digitaler Gewalt. Die Entscheidung, ob und in welcher Höhe Organisationen gefördert werden, treffe final der Haushaltsgesetzgeber - also: der Bundestag. Das Ministerium habe auf die Geschäftsführung von HateAid keinen Einfluss.
Ballon und von Hodenberg selbst sagten der DPA: "Wir sind nicht überrascht. Es ist ein Akt der Repression einer Regierung, die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht, ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen." Die US-Regierung versuche mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich US-Konzerne in Europa an geltendes Recht halten müssten, und stelle damit "die europäische Souveränität infrage". Damit sei eine neue Eskalationsstufe erreicht.
Auch Deutschlands Außenminister Johann Wadephul nannte die Einreiseverbote nicht akzeptable. Auf der Plattform X schrieb er, dass der DSA, sicher stelle, "dass alles, was offline illegal ist, auch online illegal ist". Das Gesetz sei von der EU für die EU demokratisch beschlossen worden, er wirke nicht extraterritorial, so der CDU-Politiker. "Andere Auffassungen wollen wir mit den USA grundsätzlich im transatlantischen Dialog klären, um unsere Partnerschaft zu stärken", fügte er hinzu.
Die US-Regierung fordert seit längerem Änderungen an den strengen EU-Digitalgesetzen, die zum Beispiel die Verbreitung von Falschinformationen über Plattformen wie X verhindern sollen und auch Unternehmen wie Amazon, Apple und Meta (Facebook), Alphabet (Google) und Microsoft betreffen. Die EU-Kommission betont immer wieder, dass diese nur einen fairen Wettbewerb und den Schutz von Kindern und demokratischen Wahlen garantieren sollen. Vorwürfe, dass etwa das Gesetz über digitale Dienste (DSA) der EU ein Zensurinstrument sei, hätten keinerlei Grundlage. Konkret verpflichtet es Plattformen beispielsweise dazu, einfache Verfahren zum Melden illegaler Inhalte, Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Zudem müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Minderjährige vor Glücksspielen oder Pornografie zu schützen.
US-Außenminister Marco Rubio hatte zuvor auf X geschrieben: "Viel zu lange haben Ideologen in Europa organisierte Bemühungen angeführt, um amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte zu bestrafen, die ihnen nicht passen." Unter Präsident Donald Trump werde die US-Regierung "exterritoriale Zensur" nicht länger tolerieren und Einreiseverbote gegen "führende Persönlichkeiten des globalen Zensur-Industrie-Komplexes" einführen. Man sei bereit, die Liste zu erweitern, wenn es keine Kurskorrektur gebe.
Rubio und andere US-Regierungsvertreter hatten in der Vergangenheit schon mehrfach angebliche Internetzensur in Europa kritisiert. Hintergrund war eine Entscheidung der EU-Kommission, wonach die Plattform X des Milliardärs Elon Musk wegen Transparenzmängeln eine Strafe von 120 Mio. Euro zahlen muss. Die Entscheidung löste in den Vereinigten Staaten heftige Reaktionen aus. Rubio sprach auf X von einer "Attacke auf alle amerikanischen Tech-Plattformen und das amerikanische Volk durch ausländische Regierungen". Die Tage der Online-Zensur für Amerikaner seien vorbei.
Breton verglich die vom US-Außenministerium verkündeten Sanktionen gegen ihn und vier weitere Personen mit der "Hexenjagd" auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der McCarthy-Ära in den USA. Auf der Plattform X schrieb er: "An unsere amerikanischen Freunde: Die Zensur findet nicht dort statt, wo ihr sie wähnt." Breton und die französische Regierung erinnerten daran, dass der Digital Services Act der Europäischen Union vom EU-Parlament und allen Mitgliedstaaten mit großer demokratischer Mehrheit beschlossen worden sei, damit im Netz kein rechtsfreier Raum entstehe.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte, die US-Maßnahmen zielten darauf ab, die europäische digitale Souveränität zu untergraben. Man werde gemeinsam mit der EU-Kommission und den europäischen Partnern weiterhin die digitale Souveränität und die regulatorische Autonomie verteidigen, fügte er hinzu. Die EU habe von den USA eine Begründung für die Einreise-Verbote verlangt, erklärte ein Sprecher der EU-Kommission. "Falls nötig, werden wir rasch und entschlossen reagieren, um unsere Vorschriften gegen ungerechtfertigte Maßnahmen zu verteidigen." Der EU-Binnenmarktkommissar, Stéphane Séjourné, kündigte an: "Keine Sanktion wird die Souveränität der europäischen Völker zum Schweigen bringen."






