Dauerkrise statt Sommerfrische. Zwischen Camouflage-Dirndl und Krisendauerfeuer stellt sich die Frage: Muss ich zu allem eine Meinung haben? Oder darf ich einfach mal nichts fühlen? Ein paar Gedanken über den Sommerurlaub, der diesmal anders war, und das große Gefühl der Überforderung.
Ich war kurz weg. Eine Auszeit in der vermeintlich schönsten Zeit des Jahres: Sonne, Sand, Familie. Darauf arbeitet man hin. Die Vorfreude beginnt früh – auf das Nichtstun, das Abschalten, das Schweigen der Welt. Einfach Ruhe. Doch diesmal blieb die Unbeschwertheit eines Sommerurlaubs, die sonst so schnell kommt, wenn der Koffer erst einmal ausgepackt ist, aus. Sie wollte sich jedenfalls nicht dauerhaft einstellen. Die Sorgen der Welt sind gerade zu groß.
Was passiert da? Was kommt? Kenne ich mich aus in dieser Daueraufregungsschleife? Muss ich mich auskennen? Die humanitäre Krise in Gaza, die Handelsstreitigkeiten zwischen der EU und den USA, die vom Scheitern alter Bündnisse und dem Rückzug in nationale Egoismen erzählen. Sind die ausgehandelten 15 Prozent Zölle für die EU viel oder wenig? Ist die Wirtschaft mit einem blauen Auge davongekommen? Kommentatoren mit Dauerabo im klimatisierten TV-Studio fällen ihr Urteil schnell: Die EU-Kommissionschefin hat schlecht verhandelt. Punkt. Aber wie sehen das wohl die Schweizer, die aus ihrer Verhandlung mit einer Einfuhr-Abgabe von 39 Prozent rausgegangen sind? Pech gehabt?
Dagegen oder dafür?
Was bedeutet die Ankündigung von Trump, zwei nuklearfähige U-Boote in Richtung Russland zu verlegen? Lohnt es sich, sich damit zu beschäftigen oder ist drei Tage später eh schon wieder alles anders? Muss ich zu all dem zwingend eine Haltung, besser noch eine dezidierte Meinung haben? Im Tagestakt? Im Minutentakt? Reicht ein kurzes „unglaublich“? Oder ein „Daumen runter“ in der Insta-Story? Dafür? Dagegen? Wo soll das alles hinführen? Erst recht in einer Zeit, wo ein „Du hast mich überzeugt!“ am Ende eines Gesprächs gern auch als Schwäche ausgelegt wird.
Ein kurzer Blick nach Österreich und in das perfekt inszenierte Sommerlochtheater beruhigt ein bisschen. Opulente Opern, prächtige Feste. Schöne Menschen. Reiche Menschen. Derbe Volksfeste im verregneten Juli. Ein gerade verurteilter Ex-Finanzminister sitzt nicht im Gefängnis, sondern ist auf Freigang mit seiner Gattin im Beachclub am Wörthersee. Erste Reihe fußfrei. Das Gesetz erlaubt es. Darf man sich wundern? Muss man? Oder ist das – schlimmer noch – einfach typisch Österreich? Die Verteidigungsministerin gibt im Camouflage-Dirndl am Villacher Kirchtag ein Interview. Über ihr „Tarn-Dirndl“. Pflegeleicht, atmungsaktiv und unglaublich angenehm sei das, berichtet die lokale Presse. Ist das peinlich? Oder einfach Teil jener typisch österreichischen Leichtigkeit, die selbst inmitten multipler Krisen noch weiß, wie man feiert und eine Nebensächlichkeit inszeniert?
Der Wirtschaftsminister füttert Pinguine. Tu felix austria. Nur fühlt es sich falsch an. Oder zumindest nicht passend
Feelgood-Republik
Vielleicht ist es genau das: Die Weigerung, sich die Freude nehmen zu lassen. Die Fähigkeit, sogar im weltpolitischen Ausnahmezustand das Normale zu genießen und zu zelebrieren. Nicht nur in diesem Sommer beschleicht einen ohnehin des Öfteren das Gefühl, dass links und rechts von Österreich nicht viel passiert. Alles gut. Alles super. Eine Inflation von 3,5 Prozent? Bitte weitergehen. Es gibt gerade nicht viel zu sehen. Jedenfalls nicht in den nahezu hollywoodreifen Storyschnipseln auf Instragram, die der dazugehörige Wirtschaftsminister nahezu täglich posten lässt. Mein Sommer-Highlight in dem Land, das im Wirtschaftsranking ganz unten zu finden ist: Der Wirtschaftsminister füttert Pinguine in Schönbrunn. „Kann man sich hinhocken oder ist das schon gefährlich?“, fragt er – auf Instagram, in der „8-Minuten-ID-Austria-Challenge“.
Tu felix Austria. Nur fühlt es sich falsch an. Oder zumindest: nicht passend. Ein Trugschluss. Eine Illusion. Wir leben in einer Zeit mit zahlreichen Krisen, die einander quasi ablösen. Die Ausnahmen sind längst zur Regel geworden: Pandemie, Krieg, Klimakrise, Inflation, soziale Spaltung, Abstiegsängste, Zukunftssorgen. Dazu die vergleichsweise kleinen, privaten Sorgen: die Kinder, das Geld, der Partner, der Job, die Gesundheit. Die Reihenfolge variiert. Das ist längst nicht mehr eine Art Zwischenzeit, die hoffentlich bald endet. Wir leben mitten in der Dauerkrise.
Erschöpft durch die Krise
Die Hoffnung: Wenn das einmal vorbei ist, wird alles wieder gut. Doch diese Hoffnung verkennt, wie sehr sich unser Leben verändert hat – und vor allem, welche Gefühle diese vielen Ereignisse bei uns hinterlassen. Ob wir wollen oder nicht: Ohnmacht und Überforderung. Frust und Hilflosigkeit. Erschöpfung, Müdigkeit und Unlust. Die Sorge, abgehängt zu werden – auf welchem Spielfeld auch immer. Es sind nicht die Krisen selbst, die uns mürbe machen. Es ist all das, was damit einhergeht. Und immer wieder die Frage: Muss ich mir Sorgen machen? Kann ich einfach am Strand liegen und alles verdrängen? Und wenn ich es nicht kann: Was bedeutet das? Was kann ich in meinem Umfeld tun, um eben nicht die Nerven wegzuschmeißen und sich zermürben lassen?
Vielleicht ist das die eigentliche Frage dieses Sommers. Und vielleicht sollten wir genau diese nicht wegschieben.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/25 erschienen.