Thomas Stipsits sitzt vor seinem Häuschen auf der griechischen Insel Karpathos und schaut aufs Meer. Es ist an einem der letzten Tage des mehrwöchigen Urlaubs, den er dem eigenen Seelenheil und dem der Familie einmal im Jahr gönnt. Die Zeit gehört dann Ehefrau Katharina Straßer und Sohn Emil, drei, und, ja, auch sich. Sich selbst Zeit zu schenken -ohne schlechtes Gewissen oder dabei zu denken, dass das Geschirr noch weggeräumt gehört -hat der Kabarettist, Schauspieler und Autor gelernt. Rückblickend wird es zu Hause einer der Momente sein, die er als Glück bezeichnet, das weiß er.
Das Nein-Sagen fällt ihm noch schwerer. Eine Stunde seiner Urlaubszeit schenkt er deshalb einem Gespräch anlässlich seiner ersten Kinohauptrolle. In Harald Sicheritz' Filmsatire "Baumschlager" spielt der 34-jährige Steirer den gleichnamigen österreichischen UNO-Offizier, der aufgrund seiner Naivität zum Spielball zahlreicher Interessen wird. Erstmals Protagonist, da geht es um was, da spürt er schon Druck. "Natürlich möchte ich, dass die Leute den Film mögen. Es ist ja meine erste Hauptrolle im Kino", sagt Stipsits. Die eigene Leistung wird da auch stets selbstkritisch hinterfragt. Daran ändern auch sechs Auszeichnungen für seine kabarettistischen Leistungen (darunter der Österreichische Kabarettpreis), Publikumserfolge solo ("Bauernschach") und mit Manuel Rubey ("Triest") oder Erfolge als Schauspieler ("Bad Fucking") nichts.
Wenn das Hauptrollendebüt dann in seinem humoristischen Kern hinterfragt wird, macht man sich natürlich Gedanken. Denn "Baumschlager", die erste Koproduktion eines bilateralen Filmabkommens zwischen Israel und Österreich, nutzt den Nahost-Konflikt als Spielfläche für Humor und lässt kein Klischee über Region, Religion und Leute aus.
Den Krieg veralbern?
Da ist die israelische Offizierin, die von sexuellen Kampfspielchen träumt, der Beduine mit seinen vier Frauen, der libanesische General mit üppigem Toupet, der die Tochter mit einem reichen Wahnsinnigen verheiraten will, oder der General, der sich endlich wieder Krieg wünscht, damit er nicht zur Ehetherapie muss. Darf man denn über Krieg Witze machen und lachen? "Ich finde, ja, weil geweint hat man schon genug darüber", sagt Stipsits. "Diesen Konflikt im Film ein bisserl ins Lächerliche zu drehen, halte ich für legitim, weil die Frage herausgearbeitet wird: Warum streitet ihr eigentlich? Und die Antwort kommt ganz klar: Weil man mit Krieg Geld verdient."
Überdies sei ihm bei den Dreharbeiten in Jaffa, in einer Siedlung, in der Araber, Russen und Israelis miteinander leben, klargeworden, wie wenig die Menschen dort mit dem Konflikt noch am Hut haben. "Redet man mit ihnen, bekommt man das Gefühl, den Konflikt gibt es gar nicht, weil alle so friedlich miteinander leben." Auch bei Dreharbeiten in arabischen Orten habe er sich immer sicher und wohl gefühlt. "Vor allem die jungen Menschen auf beiden Seiten scheinen sich selbst zu fragen, warum hier eigentlich noch immer gestritten wird", sagt Stipsits.
Dazu sollte man wissen, dass die Idee zu "Baumschlager" aus der Region stammt. Der verstorbene israelische Filmemacher Micha Shagrir, der 1938 mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten aus Österreich flüchten musste, schuf den Stoff. "Shagrir ist in seiner Heimat für revolutionäres Kino und Tabubrüche bekannt", erzählt Stipsits. "Vermutlich ist es trotzdem ein bisschen mutig, diesen Konflikt im Film so zu thematisieren."
Mindestens ebenso mutig findet Stipsits - und muss dabei herzhaft lachen -, dass ausgerechnet er in der Hauptrolle des von drei Frauen gejagten Sexobjekts besetzt wurde. "Es erfüllt mich mit großer Freude, aber umgehen kann ich mit der Rolle des Sexobjekts noch immer nicht." Da ist ihm die Konfliktscheuheit und Harmoniesucht, die Baumschlager zum Verhängnis wird, schon näher. Dieses Nicht-neinsagen-Können, dieses Es-allen-recht-machen-Wollen, das kenne er aus der eigenen Biografie, sagt der Schauspieler.
Frei sein im Kopf
Öffentlich seine Meinung zu äußern, fällt ihm nicht schwer. Auch wenn es zwischendurch hässlich wird. Die Erfahrung musste er einsammeln, als er gemeinsam mit Manuel Rubey im Van-der-Bellen-Komitee war. "Plötzlich bekam ich Nachrichten wie: ,Ich gehe nie wieder in dein Programm, du linker Schlumpf!' Das finde ich absurd, dass es jemand als persönlichen Angriff versteht, wenn ich meine Meinung äußere. Denn das heißt ja nicht, dass ich andere Meinungen automatisch schlecht finde." Es bereitet ihm Sorgen, dass alles nur noch in Schwarz-Weiß gesehen wird, alles sofort bewertet wird. "Ich habe das Gefühl, dass uns die Diskussionskultur abhandenkommt. Menschen, die nicht einer Meinung sind, reden nicht mehr miteinander, weil sie einander von vornherein ablehnen."
Dabei ist Stipsits der beste Beweis, wie falsch man mit Schubladendenken liegen kann. "Ich wollte immer Religionslehrer werden, weil mir Jesus und Franz von Assisi so getaugt haben. Ich bin vermutlich der einzige österreichische Kabarettist, der noch nicht aus der Kirche ausgetreten ist. Wenn ich das sage, werde ich sofort ins konservative Eck geordnet. Aber ich bin trotzdem für die Ehe für alle. Das eine schließt das andere nicht aus!"
Diese Freiheit im Denken dem Sohn mitzugeben, ist Stipsits wichtig. Die Frage, wie man ein Kind in den Mediendschungel entlässt, hat zwar noch Zeit -Emil ist erst drei Jahre alt -, stellt sich aber trotzdem. "Sich in dieser Dauerbeschallung durch Social Media eine Meinung zu bilden, wird immer schwerer. Es geht nur noch um Schlagzeilen statt Inhalte, alles wird gleich hysterisch hochgekocht. Und gerade dann müsste man sich hinsetzen und sagen: ,Was glaube ich denn jetzt und warum und weiß ich überhaupt genug, um eine Meinung haben zu können?'" Dem Sohn dieses Hinterfragen mitzugeben, erachtet Stipsits als eine der wichtigsten Aufgaben als Vater.
Als Kabarettist möchte er nicht politisch werden. Wollte er auf der Bühne politische Lösungen vorbringen, wäre er ja nicht Kabarettist, sondern Landeshauptmann, zitiert er Qualtinger. Lieber erfreut er sich daran, wenn Menschen aller politischen Lager einen guten Abend haben. "Das finde ich schön, wenn quasi verfeindete Lager es zwei Stunden gut bei mir hatten. Das ist schon fast ein Dialog."
Mit dem Erfolg versöhnt
Stipsits' Karriere führte den damals 17-Jährigen vom Jugendzentrum im burgenländischen Stinatz und dem Leobner Jugendclub rasch zum ersten Kabarettpreis und im gleichen Tempo weiter nach oben. "Baumschlager" reiht sich nun mit über 10.000 Besuchern am ersten Kinowochenende erfreulich in die Erfolgskette ein. Seinen Erfolg zu verarbeiten, hat er inzwischen gelernt. Auf die harte Tour. Als Stipsits 25 Jahre alt war, saßen plötzlich 700 Leute in einem steirischen Saal, und er konnte nicht mehr. "Ich hatte Angstzustände, Panikattacken, Depressionen. Ich habe mich gefragt: Warum kommen die alle zu mir? Hatte wahnsinnige Minderwertigkeitskomplexe", erzählt er. Eine halbjährige Pause half, Dinge zurechtzurücken und die eigenen Grenzen kennenzulernen. "Ich sehe meine Karriere jetzt wie eine Everest-Besteigung. Auf dem Gipfel ist die Todeszone, da hält es keiner lange aus, du musst wieder hinunter. Ich sehe mich im zweiten Basislager und fühle mich dort gut aufgehoben", sagt Stipsits. Ein voller Stadtsaal ist großartig, findet er. Eine ausverkaufte Stadthalle wäre fast eine Belastung. Dabei findet er es gut, zu merken, dass eben nicht alles geht. "Das ist für einen Künstler in seiner Entwicklung wichtig. Früher habe ich gedacht, meine Karriere ist aus, wenn mir ein Programm nicht gelingt. Heute weiß ich, dass sich die Welt weiterdreht, egal ob ich auf einer Bühne stehe oder nicht."
Die Dinge sind im Lot. So weit, dass Stipsits sogar ein Buch über Glück geschrieben hat. Für ihn war Glück etwa der Moment, als er bei der Geburt seines Sohnes dachte, die Welt stehe still. Oder die kleinen Momente, wenn man in Griechenland auf der Terrasse seines Häuschens einen Kaffee trinkt und sich eine Stunde schenken kann.
Neues Buch
In "Das Glück hat einen Vogel" unterhält Thomas Stipsits gekonnt humorvoll mit 26 Kurzgeschichten über das große und kleine Glück
Der Film: "Baumschlager"
Als UNO-Offizier auf den Golanhöhen soll der Österreicher Baumschlager (Stipsits) helfen, den Frieden zu bewahren. Zu Hause sitzt Ehefrau Martha (Gerti Drassl), vor Ort kann er zur israelischen Soldatin ebenso wenig Nein sagen wie zur Tochter eines libanesischen Generals. Seine Affären machen ihn erpressbar durch jene, die rasch lieber wieder Krieg hätten