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Der titelgebende Diebstahl ist eine Beschuldigung, die das Leben eines von einer Familie in Daressalam als Haushaltshelfer aufgenommenen Buben aus dem Gleichgewicht bringt: Er soll beim Lebensmittelhändler Waren bestellt, abgeholt und verkauft haben - auf Rechnung der Familie, die diese Lebensmittel nie zu Gesicht bekommen hat. Der völlig unschuldige, fleißige und loyale Bub ist über die Vorwürfe schockiert und empört - und wird von seinen Arbeitgebern, die geneigt sind, eher ihm als dem vermutlich betrügerischen Händler zu glauben, dennoch fallengelassen. Das Netz an familiären und geschäftlichen Beziehungen, in dem sich das ereignet und in dem jede Bewegung vielfache Erschütterungen an ganz anderer Stelle auslöst, wird von Gurnah, der als 18-Jähriger die Insel Sansibar verlassen musste, fein gesponnen.
Das gilt auch für die Freundschaft, die sich zwischen Badar, dem beschuldigten Buben, der hübschen Fauzia und dem toughen Karim entwickelt. Die beiden Letzteren werden ein Paar, heiraten, bekommen ein Kind - und werden doch nicht dauerhaft glücklich. Badar jedoch muss ununterbrochen Schläge vom Leben einstecken und wird, als er im Paarkonflikt der Freunde zwischen die Fronten gerät, für seinen Gleichmut von Karim auf das Ärgste beschimpft. "Später dachte er: Ich habe gelernt, das Leben zu ertragen."
Dieses Leben ist zwar im Heute angesiedelt, fußt aber in vielem auf gesellschaftlichen Regeln, die sich seit Generationen kaum geändert haben. Die Menschen, die Abdulrazak Gurnah zeigt, gehen alle auf ihre Weise damit um - und der Autor scheint für sie alle Verständnis zu haben. Einen emanzipatorischen Anspruch habe er bei seinem Schreiben nicht, versicherte der Nobelpreisträger im Vorjahr im APA-Interview: Natürlich weite Literatur den Blick und mache mit Dingen und Lebensumständen bekannt, die den Lesern vielleicht nicht bewusst waren - "aber ich denke nicht, dass sie für irgendetwas in die Pflicht genommen werden sollte. Literatur hat keine Aufgabe zu erfüllen. Der Antrieb meines Schreibens kommt nur aus mir selbst."
Dass dieser Antrieb einen ruhigen Erzählfluss ohne spektakuläre Stromschnellen ergibt, bei dem die einfache Sprache und die unaufgeregte Erzählweise einen als Leser zwar mitnimmt, aber nicht eben fordert, kann man mögen oder nicht. Bisherige Kritiken entschieden sich mehrheitlich für die erste Variante. "Gurnahs Sätze fließen wie der Lauf eines alten Flusses, selbst wenn er komplizierte moderne Leben beschreibt", war in der "Washington Post" zu lesen. Und das " Wall Street Journal" lobte: "In diesem ruhigen, reifen Roman gibt es keine einfachen Wahrheiten, was ihn als Ganzes so wahrhaftig macht."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Abdulrazak Gurnah: "Diebstahl", Übersetzt von Eva Bonné, Penguin Literatur, 336 Seiten, 26,80 Euro)