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Reznor hat mit seinem 1988 gestarteten Projekt die Welt erobert. Die schroffen Industrialsounds des treffend betitelten Debüts "Pretty Hate Machine" bildeten die Grundlage für eine Karriere, die zwar Höhen und Tiefen kannte, aber Reznor nichtsdestotrotz zu einer der prägenden Figuren der Alternative-Szene machte. Spätestens mit dem übermächtigen "The Downward Spiral" (1994) hatte er seine mit selbstzerstörerischen Zügen versehene Kunst zum Höhepunkt geführt. Zuletzt wurde Reznor zwar etwas zahmer, aber nicht weniger erfolgreich, wie zig Soundtrackarbeiten und zwei Oscars bezeugen.
Nun aber wieder zurück zum Schmerz: Dass die aktuelle NIN-Tour "Peel It Back" betitelt ist, passt wie die Faust aufs Auge. Schon immer hat sich Reznor seelisch entblößt vor seinem Publikum, ist mit seinen Songs dorthin gegangen, wo es wirklich wehtut. Zudem spielen transparente Stoffe, die die Hauptbühne verhüllen und als Projektionsfläche dienen, eine zentrale Rolle bei der gemeinsam mit Kreativdirektor Todd Tourso und Lichtdesigner Paul "Arlo" Guthrie konzipierten Performance. Aber der Reihe nach.
Zuerst ging es nämlich mitten rein in die Menge. Nachdem der deutsche DJ Boys Noize die Stimmung als Voract angeheizt hatte (er sollte für einen mit Techno-Härte ausgestatteten Abschnitt des Nine Inch Nails-Konzerts später noch mal auftreten), erschien zunächst nur Reznor auf einer kleinen, zentral positionierten Bühne, um beim von Pianoklängen getragenen "Right Where It Belongs" seine fragile Seite zu offenbaren. Ein ungemein intimer Moment, der sich so gar nicht nach einer riesigen Halle, sondern eher einem dunkel schimmernden Theaterraum anfühlte.
Doch sukzessive wurde die Schlagzahl erhöht. Nach den ersten drei Stücken auf dieser B-Stage ging es für Reznor und seine Kollegen - Dauerpartner Atticus Ross an diversen Gerätschaften, Gitarrist Robin Finck, Bassist Alessandro Cortini sowie Drummer Ilan Rubin - hinter den Vorhang auf die große Bühne, wo zu einer massiven Soundwand eine immersive Lichtshow abgezogen wurde, die ihresgleichen sucht. Egal ob beim Stampfer "March of the Pigs" oder dem frühen Glanzlicht "Reptile", stets gab es neue Nuancen in der Darstellung, wurden Livevideos mit Verfremdungen gemischt und pulsierten Frequenzen aller Art.
Für das bereits angesprochene Technoset - etwa "Vessel" oder das besonders gelungene "Came Back Haunted" erfuhren eine solche Bearbeitung - wechselte ein Teil der Mannschaft zwischenzeitlich wieder auf die kleinere Insel und wurde von einer sich stetig wandelnden Balken-Licht-Konstruktion umspielt, bevor der vierte Abschnitt des Abends endgültig zum Triumphzug wurde. Es gebe Tage, da übermanne ihn Beklemmung und Depression, öffnete sich Reznor in seiner einzigen Bühnenansage. Auch heute sei es so gewesen. "Doch diese Verbindung zu euch macht das alles wieder wett." Und ganz ehrlich: Die Lust und Freude am Spiel, an diesem Moment war ihm anzumerken.
Also wurde der Vorhang zurückgezogen, die letzte "Schutzschicht" abgeschält und bereits bei "1.000.000" alles offengelegt. Zum Finale ließ sich Reznor, der auf der aktuellen Tour die Setlist ein ums andere Mal umschmeißt und schon mal ein paar Fanfavoriten im Köcher lässt, um stattdessen obskurere Sachen darzubieten, dann nicht lumpen: Der monolithische Hit "Closer", die David-Bowie-Kollaboration "I'm Afraid of Americans", das eingängige "The Perfect Drug" sowie die Abrissbirne "Head Like A Hole" ließen keine Wünsche offen (und keine Verschnaufpause zu). Als dann die melancholische Offenbarung "Hurt" angestimmt wurde, war endgültig klar: Hier sind alle eins. So schön hat die Stadthalle selten gesungen und geklungen. Wer das verpasst hat, ist selbst schuld.
(Von Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E - www.nin.com)
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