Menschen begeben sich mithin in Psychotherapie, um ihr Herz auszuschütten. Als Therapeutin bin ich dann oftmals auch in der "Containerfunktion" – wie ein großer Behälter nehme ich wohlwollend alles auf, was sich eruptiv über mich ergießt. Während ich dazu berufen bin und das durchaus sinnvoll ist, wenn jemand seiner inneren Zerrissenheit in einer Psychotherapie schonungslos freien Lauf lässt, haben Henriettes Freundinnen dieses Verhalten satt. Wie im Kinoschlager "Und ewig grüßt das Murmeltier" beschwert Henriette sich nahezu ununterbrochen über Peter. Sie findet ihn unmöglich und kündigt an, ihn zu verlassen. Um dann genau gar nichts in ihrem Liebesleben zu verändern. Und in den folgenden Tagen den schon genervten Freundinnen ihren Entschluss nochmals zu verkünden. Was für jene nach Stillstand klingt und zu offenen Wutausbrüchen führt, wenn Freundin Mira Henriette eine Ansprache hält, wie lächerlich sie sich damit mache, zu ihrem toxischen Narzissten, gemeint ist Ehemann Peter, zurückzukehren, ist für Henriette unerlässlich. Ähnlich bei Peter: Er berichtet seinem Kumpel, dass er sich von Henriette scheiden lasse, weil sie nicht kapiert habe, ihn nicht einsperren zu können. Auch habe seine Frau die unangenehme Gewohnheit, ihn zum Zwecke einer Aussprache durch die ganze Wohnung zu verfolgen, wenn er schlichtweg seine Ruhe wolle. Beide sind überzeugt, der Andere sei narzisstisch und habe die Liebe auf dem Gewissen. Die beiden täuschen sich: Denn weder ist Henriette die Böse noch ist ihr Mann allein schuld an allem, was jetzt nicht passt. In Wirklichkeit ist jeder in seiner Blase, im eigenen Film. Die Kommunikation funktioniert schlecht bis gar nicht – wie denn auch, wenn jeder gleichsam in einem Raumschiff in seiner eigenen Galaxie umherflirrt. Sich treiben lässt, als könne sich nichts an dem ewigen Irrflug ändern. Kann es aber doch!
Eine Psychotherapie kann folgende entlastenden Effekte haben:
1. Entlastung des sozialen Umfelds. Ansprechperson ist ab sofort in einer Paartherapie nicht mehr der zum Universalcontainer mutierte Freundeskreis, sondern die dafür geschulte und innerlich darauf vorbereitete Therapeutin. Sie bringt sich wertneutral und unvoreingenommen ein und moderiert den zuvor toxischen Diskurs. Dies wiederum führt
2. zu einer Wiederkehr der Dialogkultur und zu einem Comeback von Respekt, Würde und Wertschätzung. Damit können in einer Paartherapie Unsitten wie Aneinander-Vorbeireden, Ins-Wort-Fallen, Ausflippen und Überschreien eher eingestellt werden.
3. Alte Muster werden aufgedeckt. So zeigt sich bei Henriette eine massive Neigung zur Selbstsabotage, wenn sie Peter genau dann, wenn er nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommt, auf Konflikte anspricht, anstatt ihm Zeit zum Ankommen zu geben. Ihr Bedürfnis nach Aufmerksamkeit entfesselt sich dabei wie bei einem Säugling, dessen Brüllen immer lauter wird. Andererseits zeigt sich auch Peters "Ich-Schwäche", wenn er sich dann nicht abzugrenzen vermag. Jedes Mal Henriettes Einladung zur Aggression fast schon wie mit Handkuss annimmt und dann seinerseits nicht aufhören kann, zu sticheln, bis es emotional eskaliert. Meist rennt er dann aus der Wohnung und betrinkt sich. Und sie ruft verzweifelt ihre Freundinnen an, da sie verbale Gewaltausbrüche nach seiner Rückkehr nicht nur befürchtet, sondern geradezu zielsicher mit ihrem gewohnten Muster provoziert, ihn nicht fünf Minuten in Ruhe ankommen zu lassen.
4. Befreiung vom Wiederholungszwang. Im Grunde geht es darum, in der Partnerschaft nicht Beziehungsmuster der Ursprungsfamilie zu reaktivieren, die in starren Reiz-Reaktionsmustern scheinbar eingebrannt sind. Stattdessen erwachsen und konstruktiv neue Handlungs- und Denkstrategien zu entwickeln. Und das geht eher und besser achtsam und wertneutral in einer Psychotherapie als mit Freundinnen, die zurecht nicht schlucken können, was unverdaulich erscheint.
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