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Fragen ist unsexy

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Dr. Monika Wogrolly

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In manchen regionalen Gebieten werden Fragen noch immer eindimensional als Grenzüberschreitungen im Zweifel gegen die Fragen stellende Person ausgelegt. Gegenüber Kindern heißt es oft harsch: "Frag nicht so viel." Oder man möge nicht so dumm fragen.

Als ich – kurz vor seinem 90. Geburtstag – Unterwasserfilmpionier Hans Hass vor der Albertina von Fotos erkannt hatte, fasste ich mir ein Herz und stellte ihm eine Frage – wohl wissend, dass Fragen so oder so aufgefasst werden können: "Darf ich eine dumme Frage stellen?" Der Angesprochene nickte gespannt und meinte, es gebe keine dummen Fragen, worauf ich beschämt, aber motiviert fragte, ob er Hans Hass sei. Darauf folgte ein interessanter Meinungsaustausch über meine Leidenschaft für die Weltmeere und die gemeinsame Leidenschaft für Haie. Aber ist jemand, der zu viel fragt, nicht beziehungstauglich?

Franz und Inge haben das Problem, dass Inge viel zu viele Fragen stellt. Franz fühlt sich bevormundet. Inge versucht aber bloß, den Kontakt zu halten, zumal sie beide geschäftlich getrennt voneinander unterwegs sind. Während Menschen wie Inge selbstredend und von sich aus preisgeben, was sie machen und wo sie mit wem gerade sind, stoßen Franz Inges Textnachrichten sauer auf. Ist er im Berufsstress, kann es sogar sein, dass er sie mit Ignoranz straft. Dieses Ghosting, wie vom Erdboden verschluckt zu sein, zeigt Inge an, dass sie wieder zu viel gefragt hat und er sich dadurch in die Enge gedrängt und kontrolliert fühlte. Die beiden kommen auf ihr Betreiben zu mir in Paartherapie. Ich versuche nach der groben ersten Darstellung des Sachverhalts, an einem Beispiel zu veranschaulichen, was es mit dem Streitthema "Fragen" auf sich hat. Hier das Beispiel:

Wenn Otto schlechte Erfahrungen mit dem Umstand, Fragen gestellt zu bekommen, gemacht hat, wird er die Fragen seiner Freundin, wo er am Wochenende gewesen und warum er nicht bei ihr gewesen sei, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit negativ auffassen als Peter, der Fragen seiner Freundin positiv deutet, da ihn früher wenn überhaupt nur seine Patentante etwas Persönliches gefragt hatte. Während Peter vor dem Hintergrund der angenehmen Erfahrungen mit der Patentante Fragen positiv deutet, reagiert Otto, der eine ihn mit Fragen löchernde Mutter hatte, die seine Grenzen nicht respektierte, aggressiv und verfällt in Rechtfertigungen, auch wenn seine Freundin "nur Interesse" zeigen wollte. Aus diesen Missverständnissen der unterschiedlichen Auslegung entstehen "Konflikte wie aus dem Nichts" heraus.

Und jetzt zu Inge und Franz. Ihre Kultur des Fragens kann nur aus ihrer jeweils persönlichen Geschichte heraus verstanden werden. Während Inge Fragen als Zeichen von Kontaktwünschen, Beziehungspflege, Interesse, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Anteilnahme versteht, sind sie für Franz wie Giftpfeile unter die zarte Haut ihrer Liebesbeziehung. Ja, manche Menschen erleben Fragen nicht als liebevolles Vorspiel, sondern als absolute Liebeskiller. Dabei kann Fragen durchaus sexy sein. Aber bitte nicht nach dem Beischlaf fragen, wie gut Sie waren. Oder ob Ihre Liebespartnerin oder Ihr Liebespartner zufrieden mit Ihnen waren. Die Liebe ist kein Leistungssport. Fragen Sie lieber beim Sex, ob sich etwas so anfühlt wie gerade jetzt bei Ihnen. Und teilen so Ihre Leidenschaft. Erlaubt ist grundsätzlich alles, was echt ist und nicht gekünstelt. So können Sie ruhig auch bei gewissen Stellungen oder Sexualpraktiken fragen, ob sich das so oder so anfühle und ob mehr davon gewünscht sei, Vorsicht aber, wenn Sie die andere Person wie bei einem journalistischen Interview zu tiefgehend fragen. Liebe und Sex bringen schon an sich genug Tiefgang wie die Tiefen der Meere, wo Hans Hass seinen geliebten Haien begegnete und sich einen Zettel schrieb, den er mitnahm, um nicht dem Tiefenrausch zu verfallen. Was darauf stand? Auftauchen. Und eben das müssen auch Paare wie Franz und Inge immer wieder tun: Auftauchen aus ihrem falschen Bild des Gegenübers, das nichts mit ihm oder ihr, sondern alles mit der Vergangenheit zu tun hat.

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