Felix Baumgartner - Sein freier Fall ist ihre Folter

Und unten in der Mission Control, in einer gläsernen Lounge, da sitzt sie. Und die Welt fühlt mit ihr - mehr als zwei Millionen Mal wurde Felix Baumgartners 31-jährige Freundin Nicole Öttl am Tag nach seinem Rekordsprung gegoogelt.

Weil wir alle gesehen haben, wie sie den Kopf in den Armen vergrub, als er, nur ein kleiner, flimmernder Strich im All, plötzlich für ein, zwei Sekunden vom Radar verschwand. Wie sie geschockt auf den Monitor starrte und die Hände zu Fäusten verkrampfte, als die Verbindung kurz unterbrochen war und sein Atem verstummte. Weil wir alle gesehen haben, wie sie ihn am Ende umarmte. So, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Obwohl sie weiß, dass sie ihn nicht halten kann.

„Als Partnerin sollte man nicht versuchen, dem Mann, den man liebt, seine Träume auszureden“, bekannte die zierliche Frau mit dem gerippten Tank-Top und der dunklen Red-Bull-Kappe im NEWS-Talk. Und, wohl wissend, was sie da im Brachland New Mexicos erwarten würde: „Der Tag vor dem Sprung wird der schlimmste meines Lebens.“

Je tiefer er fällt, desto größer wird ihre Folter. Und je höher er aufsteigt, desto schwieriger wird sein Absprung in ihren Alltag. Von der Gründung einer Familie war da im Vorfeld des großen Jumps zu lesen, von einem Baby, vom Rückzug ins Privatleben. Und auch wenn Baumgartners Odyssee in den Orbit dramaturgisch bis ins letzte Detail ausgefeilt ist; und auch wenn das Drehbuch jetzt eigentlich die Domestizierung des tollkühnen Helden vorsehen würde - daran, dass der neue Weltstar nur noch den windelwechselnden Papi gibt, daran glaubt in seinem engsten Kreis keiner.

„Ich glaube nicht, dass er jemals aufhören kann“, sagt Tracy Lee Walker, sein Freund und erster Basejump-Trainer. "Ich glaube nicht, dass diese großen Projekte aufhören werden, nach ihm zu rufen.“

„Nein, als Familienvater kann ich mir den Felix beim besten Willen nicht vorstellen“, sagt seine alte Freundin Marina Kücher, dreifache Weltmeisterin im Fallschirmspringen, die in den Achtzigerjahren Seite an Seite mit Baumgartner den Gleitflug erlernte.

Und was sagt der 43-jährige Alien from Austria selbst? „Du wirst vom eigenen Erfolg verwöhnt. Es ist wie eine Droge, nach der du süchtig wirst.“

Denn sprunghafter als Baumgartner selbst sind nur noch seine Endorphine. „Menschen, die solch einen Hype erlebt haben, können mit dem, was wir Normalität nennen, schwer umgehen“, erklärt Sportpsychologe und Psychotherapeut Thomas Wörz. „Sie sehnen sich immer wieder nach dem nächsten Hype, sie suchen immer etwas noch Verrückteres, weil sie sonst innerlich auf Entzug sind.“

Droge? Entzug? Wenn Felix Baumgartner mit seinem Fettanteil von 13 Prozent der vitalste Junkie der Welt ist, dann will die Oberösterreicherin Nicole Öttl sein Methadon sein. „Natürlich macht ihn sein Heldentum attraktiv“, schwärmt sie. „Wichtig ist nur, dass er zuhause nicht den Helden markiert.“

Früher war sie selbst Leistungssportlerin, 15-fache Landesmeisterin im Kunstturnen, 1998 EM-Teilnehmerin. Doch jetzt ist sie weg vom Egotrip an die Spitze, als Pädagogin bei der Sportunion Linz kümmert sie sich uneigennützig um den Turner-Nachwuchs.

Freunde und Bekannte beschreiben sie als burschikos, geerdet und unkompliziert. 2006 bewarb sie sich erstmals für einen Beauty-Contest und wurde in ihrem Nachbarbundesland auf Anhieb zur „Miss Niederösterreich“ gekürt. Früher stand sie selbst im Rampenlicht, doch als sie vor drei Jahren als Mitorganisatorin eines „Weißen Festes“ in Linz den Extremisten aus Salzburg einlud, da wurde aus der „Nici“ rasch die Frau neben Baumgartner. Und als solche die Nachfolgerin von …

„Früher, da hatte der Felix nie lange Beziehungen, eher Eroberungen und kurze Affären“, sagt eine seiner ehemaligen Liebschaften, blond, attraktiv, erfolgreich. Namentlich möchte sie nicht genannt werden, da sie nicht im öffentlichen Leben steht.

Felix und die Frauen vor Nici. Sie waren sein Aufputz, er war ihr Souvenir, das war der Deal. Langbeinige Begleiterinnen für den Red Carpet - ja, gerne. „Er liebt das, was er lebt“, sagt Lisa Fürst, 27 und bildhübsch, kryptisch. Sie war vor vier Jahren „Miss Salzburg“ und ist nun die persönliche Assistentin des 173-Zentimeter-Mannes. Sportpsychologe Wörz: „Helden sind sexy und anziehend. Es gilt der Mythos, dass sie wirklich in allen Bereichen des Lebens außergewöhnlich, fast übermenschlich sind.“

Horizontaler Extremsport gut und schön. Aber wirklich tiefschürfende Beziehungen - vor dem langfristig angelegten Adventure-Projekt Nicole war da nicht wirklich was. „Ich bin eben ein Muttersöhnchen“, bekannte unser amtierender Felix Austria einmal kokett.

Denn ähnlich platzgreifend wie beim Bullen von Tölz ist auch bei Didi Mateschitz’ amtierendem Einser-Stier die Dominanz der Mama: „Alle anderen sind mir egal, ich selbst bin unwichtig“, bekennt Baumgartner, auf die allgegenwärtige Möglichkeit eines tödlichen Absturzes angesprochen. Mit einer einzigen Ausnahme, mit einer einzigen Angst, die ihn permanent quält: „Eine Situation wie diese würde ich meiner Mutter niemals antun wollen.“

Alles für Mama Eva, kein Wort über Nicole, mit der er zu diesem Zeitpunkt schon fix zusammen war. Und die ihrerseits ganz unumwunden zugibt: „Natürlich habe ich Angst um ihn, aber ich versuche sie zu verdrängen.“

Felix Baumgartner und seine Nicole Öttl, eine Liebe voll Angst und Ungewissheit. Und eine Frau, die unmittelbar vor Nici den Sprung in Felix’ schmuckes Salzburger Eigenheim wagte. Und daher ganz genau weiß, wie sich das jetzt für die aktuelle Frau Baumgartner anfühlen muss - Ex-Playmate Gitta Saxx, knapp über 40, bürgerlich Ilona Sack, 47: „Als ich zusehen musste, wie Felix springt, habe ich mir vorgestellt, das sei jemand komplett anderer, sonst hätte ich das nicht ausgehalten.“

Um die Wellenlängen zumindest ansatzweise zu synchronisieren, flog Ilona (bei offenen Flügeltüren und trotz Höhenangst) brav mit Baumgartners Hubschrauber mit. Als es dann aber an die verbindliche Planung der Zukunft ging, baute unser 39-Kilometer-Aufsteiger reflexartig eine Schallmauer um sich herum. Ihr vorletzter Tipp an ihn: „Yoga würde dir extrem gut tun, einfach, um ein wenig zur Ruhe zu kommen.“ Ihr letzter Tipp an ihn: „Er braucht eine Partnerin, die ihr Leben auf ihn abstimmt.“

Und dann kam Nicole, die ehemalige Turnerin, die für schmerzvolle Verrenkungen von Haus aus Verständnis hatte. Und mit ihr die Fähigkeit, die Selbstsucht des Spitzensportlers zumindest im Ansatz mitzutragen. Und so wagte Baumgartner den ersten Versuch einer Verbürgerlichung. Eine Szene aus dem Alltag des jungen Paares, eine Juninacht, gut zwei Jahre vor dem großen Sprung, beschrieben in einem NEWS-Doppelinterview:

Nicole: „Ob Felix zu Extremen neigt? Umlängst hat er um zehn Uhr nachts die Bohrmaschine ausgepackt.“ - Felix: „Stimmt. Da bin ich vorm Fernseher gesessen, und plötzlich ist mir aufgefallen, dass der Kamin zu weit aus der Wand ragt. Da habe ich ihn einfach weggestemmt.“ - Nicole: „Und dann bis vier in der Früh geputzt.“

Ein bisserl gemütlich Fernsehen, ein bisserl Heimwerken und dann akkurat sauber machen - und das soll die Zukunft von Österreichs neuem Hero sein? „Sicher nicht, als seine Partnerin braucht man auch künftig eine gewisse Leidensfähigkeit“, ist Marina Kücher, die dreifache Fallschirmsprung-Weltmeisterin, überzeugt. Sie muss es wissen, denn sie kennt den Felix schon, seit er mit 17 Jahren beim Heeressportverband erstmals vom Himmel fiel. Und dabei die Angst verlor, irgendwann oben zu bleiben.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 42/2012 erschienen.