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Wiener Festwochen: „Kitty“ und die fleischliche Lust

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6 min

©Toshiaki Nakatani

Weltbekannt ist die Katzenfigur „Kitty“ – jedoch nicht in der Form, wie sie bei den Wiener Festwochen auf der Bühne steht. Im Wiener Museumsquartier lässt die japanische Theatermacherin Satoko Ichihara das niedliche Kätzchen auf Kritik an Fleischkonsum, Pornografie und Konsumismus treffen: alles andere als niedlich – dafür skurril, unvorhersehbar und hemmungslos. Ein Gastspiel voller Schieflagen, mit Garantie für Unbehagen und einen Ohrwurm.

Ein zierliches Mädchen mit Katzenohren betritt die Bühne. Seine Bewegungen sind nicht ganz flüssig, wirken unnatürlich. Es stellt sich als Skorpion-Mädchen vor, die kindlich hohe Stimme dazu kommt aus dem Off. Das Mädchen lebt zusammen mit seinem geliebten Kätzchen Charmy und den Eltern. Letztere tragen verzerrte XXL-Katzenkopf-Kostüme von Shie Minamino, die nur entfernt an die beliebte Figur Kitty erinnern.

Fleischkonsum: niedlich?

Die Familie versammelt sich zum Essen um einen Metalltisch. In rotes Licht getaucht, erinnert die Szene bereits entfernt an die Atmosphäre eines Nachtclubs, der allerdings erst später ins Spiel kommt. Zunächst wird gegessen. Mama hat ein Fleischgericht gekocht, dabei isst sie selbst gar kein Fleisch. Doch der Hausherr lehnt vegetarische Küche aus Prinzip ab, so sehr, dass er der Mama im Anschluss an eine vegetarische Mahlzeit gleich hier und jetzt am Küchentisch demonstrieren muss, „was Fleisch bedeutet“. Die Vergewaltigungsszene wird von Masamitsu Arakis Synthie-Popsong, bestehend aus Miau-Lauten, untermalt.

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Als Wiedergutmachung für das Sojavergehen schenken Mama und Kind dem Papa ein besonderes Gericht: Ein „Fleisch-Mensch“, bestehend aus toten Tieren, springt aus der Tiefkühltruhe, tanzt über die Bühne – äußerst skurril. Leider bringt der Fleisch-Mensch den Papa um und seine Leiche wird sogleich zur Mahlzeit für das Kätzchen Charmy. Und wieder erklingt der Miau-Gesang. Eine höchst unpassende Kombination und zugleich eine beispielhafte Darstellung von verharmlosender Verniedlichung, wie sie in allzu vielen Lebensbereichen stattfindet.

Niedlichkeit wird in Japan mit dem Begriff „kawaii“, assoziiert: Er prägt Popkultur und Lebensstil, bedeutet übersetzt „süß“, „liebenswert“ und wird in Ichiharas „Kitty“ regelmäßig entzückt ausgerufen – auch, wenn das zur Schau gestellte mitnichten kawaii ist. Die Figur Kitty selbst ist schließlich eine Strategin, die ihre Niedlichkeit einsetzt, um den Verkauf von Ware anzukurbeln und in einer kapitalistischen Welt erfolgreich zu sein. Und wie niedlich ist das wirklich?

Wiederholungen

Ihren kritischen Standpunkt vermittelt die aus Ōsaka stammende Theatermacherin während des knapp zweistündigen Abends mithilfe eines Voiceovers. In drei Sprachen – Japanisch, Koreanisch und Kantonesisch – reflektiert das Skorpion-Mädchen mit kindlicher Neugier, weshalb tote Tiere „Fleisch“ heißen, wieso Hausarbeit von Frauen gemacht und nicht bezahlt wird, warum Pornografie allgegenwärtig ist und wie man ihr entkommt. Die deutschen und englischen Übertitel sind in ihren Bedeutungen nicht immer ident. Es lohnt sich, beides zu lesen. Da viele Passagen wiederholt werden, ist das sogar möglich.

Wiederholt wird auch der Miau-Song. Immer und immer wieder, bis er im wahrsten Sinne des Wortes in Fleisch und Blut übergegangen ist. Das miezende Kätzchen Charmy ist wohl das verbindende Element in diesem wirren Theaterstück, das schließlich sogar ins Weltall entgleitet.

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Ohne Fleisch geht es nicht

Vor der Auswanderung auf einen fremden Planeten, den Apfel-Stern, gibt es jedoch noch einen Zwischenhalt in Pornoindustrie und Host-Clubs, in die das Skorpion-Mädchen unabsichtlich hineingerät. Ihr Mantra: Bei Problemen oder unerwarteten Situationen stets ruhig bleiben und lächeln.

Was die Kritik an Pornografie mit dem zuvor behandelten Vegetarismus verbindet? Rotes Licht sah die Regisseurin bei ihrer Recherche in Seoul eingesetzt, um Fleisch in den Vitrinen schmackhafter aussehen zu lassen. Und mit rotem Licht werden auch andernorts Schaufenster ausgeleuchtet: dort, wo Frauen für Männer ihre Körper anbieten. Fleisch eben.

Dass es ganz ohne Fleisch nicht geht, stellen die Ausgewanderten schließlich am Apfel-Stern fest. Ihre Lösung ist der regulierte Kannibalismus, der sie über die Jahre immer mehr zu ein- und derselben Kreatur verschmelzen lässt. Vergleichbar mit dem irdischen Konsumismus, der uns immer größere Mengen ununterscheidbarer Ware anhäufen und zu Kopien voneinander werden lässt.

Apropos Ware: Ichiharas Theaterstück verabschiedet das Publikum nicht nur mit einem Ohrwurm des Miau-Songs. Es gibt auch Schlüsselanhänger als Andenken. Muss man natürlich kaufen. Zugegebenermaßen ein gelungener Einfall und ein Sprung auf die Metaebene. Am Ende des Stücks wird die Ware von den Skorpion-Mädchen beworben, wie man es aus asiatischen Werbungen kennt – niedlich lächelnd und mit hoher Stimme. Nur dreißig Euro! Da zahlt sich ein Kauf doch aus! Man muss eben ausblenden, dass die Theaterkarte selbst nicht mehr gekostet hat.

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