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Spitzentöne: Menetekel zur Matura – Glückwunsch an die 32, die Griechisch gewählt haben. Sie sind die Zukunft

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Mein jährlicher Appell zur Maturazeit ist leider wieder fällig: 32 Bewundernswerte haben dem Diktat der Bildungsfernen getrotzt und in Griechisch maturiert. Die Hoffnung, dem von der Zentralmatura verursachten Rückbau des Geistes zu begegnen, schwindet. Aber nicht ganz.

M enschen, die Mitmenschen öffentlich etwas zurufen, sei es im Befehlston, tadelnd oder ermunternd, sind mir prinzipiell verdächtig. Aber heute hätte ich selbst jemandem etwas hinüberzurufen. Den 32 nämlich, die gerade gegen Häme und Gemecker einer ganzen bildungsfernen Welt über der Griechisch-Matura sitzen, während ich die Tastatur zu Verkündigungszwecken bemühe. Sie werden bei Erscheinen dieser Ausgabe schon alles hinter sich haben, und dass mein Ruf sie post festum erreicht, ist zugegeben unwahrscheinlich. Aber sei’s drum: Kompliment, ihr habt alles richtig gemacht! Die Blödsinnsmaschine der unsäglichen Zentralmatura, die eigens für euch 32 angeworfen werden musste, soll froh sein, dass sie einmal etwas Gescheites zwischen die Zähne bekam. Ihr seid die Zukunft (sofern uns eine solche noch zugedacht ist)!

Ich gebe nämlich die Hoffnung nicht auf, dass sich die Zerstörer der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer endlich in Selbstentsorgung befinden.

Als wir (ich schätze: acht von 17, die anderen maturierten in Latein) anno 1972 im Wasagymnasium den Zitterrochen aus Platons „Menon“ tranchiert haben, waren wir schon eine Minderheit. Aber noch eine wahrnehmbare, obwohl die Geistlosigkeit schon zu greifen begann.

Wegprogrammiert

Damals begann die Monopolisierung der mathematisch-naturwissenschaft­lichen Fächer. Prototyp eines erfolgreichen Lebens war der akademisch graduierte Automechaniker. Jahrzehnte später, in der Frühdämmerung der digitalen Schöpfungsgeschichte, war es dann der akademisch graduierte Computerprogrammierer. Aber der Automechaniker erfährt gerade unter dem Druck der Klimabewegung und der Trump’schen Zollrestriktionen sein Waterloo. Und der Computermensch hat sich, mit der finalen Konsequenz der Künstlichen Intelligenz, schon fast wegprogrammiert.

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hat das vor gut einem Jahrzehnt prognostiziert, als das Verhängnis erst Umrisse annahm. Alles, so sagte er, werde der Blechtrottel dem Menschen mehr weg- als abnehmen. Aber eine Tragödie von Shakespeare werde er bis ans Ende aller Tage nicht zusammenbringen.

Jetzt werden Sie einwenden, dass das Verfassen weltliterarischer Tragödien kein mehrheitsfähiger Erwerbszweig ist. Und dass die Studienfächer, für deren Belegung das Graecum verlangt wird – z. B. Klassische Philologie, Theologie, Philosophie, Antike Numismatik –, den Betrieb eines ganzen gymnasialen Zweigs nicht rechtfertigen.

Was, so werden Sie vielleicht weiterfragen, kann man mit solch einer Ausbildung werden? Da wüsste ich schon Beispiele. Vielleicht Physiknobelpreisträger wie Anton Zeilinger? Theaterintendant und Regisseur von Weltrang wie Milo Rau? Hollywoodstar wie Felix Kammerer? Bundespräsident wie Heinz Fischer? Sie alle sind in einer von mir verfassten Reportage als Zeugen für die humanistische Ausbildung aufgetreten.

Was kann man mit Altgriechisch werden? Vielleicht Hollywoodstar oder Physiknobelpreisträger

Vom freien Denken

Das antike Griechisch haben sie auf ihrem Weg nicht gebraucht, so wenig wie die meisten anderen, die diesen Bildungsweg genommen haben. Aber es hat ihnen den Blick über Jahrtausende freien, nicht so leicht manipulierbaren Denkens geweitet. Aus ihnen wurden Zeilinger, Rau, Kammerer, Fischer und viele andere kopfhelle Zeitgenossen.

Aus Claudia Schmied und Gabriele Heinisch-Hosek hingegen, die als verantwortliche Ministerinnen mit der Einschleppung der Zentralmatura den geistigen Tiefstand des Landes offensiv befördert haben, wurden bloß Schmied und Heinisch-Hosek. Aber mit welchen Konsequenzen!

Sie haben schon recht: Ich wiederhole mich, wenn ich im Speziellen den Wiederaufbau des Literaturunterrichts nach den Verwüstungen der Zentralmatura fordere. Sie wollen den praktizierten Wahnsinn nicht mehr hören: das Verbot, für die Matura Leselisten zu erstellen oder ganze literarische Texte abzuprüfen; die Quasi-Abschaffung Goethes, Kleists, Brechts und Handkes zum Besten von Leserbriefen, Leitartikeln und Stänkerpolemiken, alles unter Androhung empfindlicher Punkteabzüge streng im Umfang reglementiert.

Auf Drängen der Autorenverbände blieb schließlich eine einzige Literaturfrage im Portfolio, meist ein unverstandenes Partikel aus einem größeren Text betreffend, das nach bürokratischen Vorgaben zu exekutieren ist (den entmündigten Lehrern wird auch noch eine dumpfe „Beurteilungshilfe“ aufgedrängt, sollte sich ein Proband autonomer Gedankengänge erdreisten).

Der schlimmste Irrweg

Wie oft ich darüber schon gezürnt habe, weiß ich gar nicht mehr. Vom auch anderweitig Hoffnung gebenden Minister Faßmann war der bedeutende Bildungspolitiker Kurt Scholz schon beauftragt, Wege der Realphabetisierung zu erkunden. Aber als sich Scholz auf den Weg machen wollte, wurde Faßmann zum Besten des Quotensteiermärkers Polaschek an die Spitze der Akademie der Wissenschaften befördert.

Jetzt haben wir Wiederkehr, und die Zeit ist nicht stehengeblieben. Wenn Volksschuleinsteiger schon an der Entschlüsselung des Begriffs „Baum“ scheitern, werden Universitätsabgänger im besten Alter doch noch fassungslos vor „Faust“ und „Das Leben des Galilei“ stehen dürfen. Aber ich werde auch Einspruch erheben dürfen, wenn Autome­cha­niker und Programmierer noch die glimpflichen Irrwegsvarianten sind: Vor der brandaktuellen Karriereverheißung Feldwebel m/w/d mögen uns Plato, Shake­speare, Goethe, Brecht und alle anderen Heiligen beschützen.

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