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Hartmann und Föttinger: „Jakobinerhafte Wokeness erstickt das Theater"

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Herbert Föttinger und Matthias Hartmann

©Bild: NEWS/Ricardo Herrgott

Die Proben zum vielleicht spektakulärsten Theaterereignis der Saison haben begonnen: Matthias Hartmann inszeniert und Herbert Föttinger spielt Thomas Bernhards „Theatermacher". Für Föttinger ist es der Abschied, für Hartmann nach einer von ihm unverschuldeten Finanzaffäre an der Burg die Heimkehr nach Wien.

Sie die weitaus erfolgreichsten Wiener Theaterdirektoren der vergangenen beiden Jahrzehnte zu nennen, ist zumindest eine diskutierbare These: Matthias Hartmann, 62, leitete zwischen 2009 und 2014 das Burgtheater, ehe er, mittlerweile komplett rehabilitiert, einem Malversationsskandal zum Opfer fiel. Das Haus blühte unter seiner Direktion, was dem Nachnachfolger Martin Kusej nicht einmal Sympathisanten nachsagen. Den Wiederaufbau leitet erst seit einem Jahr der Schweizer Stefan Bachmann.

Herbert Föttinger, 64, übernahm 2006 die Josefstadt und brachte sie auch als führendes Uraufführungstheater auf denkwürdige Höhen des Zuspruchs. Er übergibt mit Saisonende an Marie Rötzer, die einen Ensembleaustausch ankündigt. Im Vorjahr wurde Föttinger noch substanzlos und folgenlos despotisches Gebaren nachkampagnisiert.

Gemeinsam erarbeiten sie nun Bernhards „Theatermacher“: Föttinger als Protagonist, Hartmann als Regisseur, der gegen alle Vernunft endlos lang von den Bühnen ferngehalten wurde. Die Proben haben soeben begonnen.

Warum das Stück? Warum jetzt? Und warum in dieser Besetzung?

Föttinger: Das ist aus einem Telefonat entstanden, an dessen Ende ich dachte: Vielleicht schließt sich der Kreis. Der Schenk hat in meiner ersten Spielzeit den Theatermacher gespielt, und er war ja mein Lehrer. Und was den Matthias betrifft, dachte ich schon, dass er ein brillanter Regisseur ist. Jetzt weiß ich es. Er verbindet eine visionäre Fantasie mit ganz großem Handwerk. Er kann dir sagen: Das ist nicht gut, was du machst. Er hat aber immer Alternativen anzubieten. Die meisten Regisseure heutzutage sagen ja „mach mal“. Das kann jeder.

Hartmann: Es ist eine Arbeit auf vollem Risiko. Als wir die Fassung gemacht haben, war die Frage: Wie gehen wir mit den anstößigen, üblen, übergriffigen Passagen in unserer Zeit um? Das hat uns älter werdende weiße Männer vor einige Herausforderungen gestellt.

Zum Beispiel?

Hartmann: Über Frauen: „Jahrzehntelang müssen sie trainiert werden, um das Einfachste zu begreifen. Mit Frauen Theater zu machen, ist eine Katastrophe.“ Diese Texte klingen heute noch unerträglicher. Auch im Sinne eines Spiegels, den wir uns selbst aufstellen, als Abgesang auf eine ganze Generation von Theaterleuten, Kortner, Peymann, Stein, Zadek, die Monster, deren Verhalten vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklung heute machtmissbräuchlich gewesen wäre. Dem müssen wir uns stellen. Das führt uns wieder dazu, dass unser Beruf in Zukunft vielleicht gar nicht mehr so funktionieren wird wie bisher, dass Theater nur noch in gemeinsamen Prozessen von Kollektiven entwickelt wird.

Wann haben Sie selbst denn zuletzt inszeniert?

Hartmann: Vor wenigen Wochen in Riga, eine „Parzival“-Fassung am Theater von Alvis Hermanis.

Der ja wegen angeblicher Migrantenfeindlichkeit isoliert ist, nicht?

Hartmann: Kennen Sie die ganze Geschichte? Als 2014 die Flüchtlinge kamen, hat Joachim Lux im Hamburger Thalia-Theater ein Welcome Center installiert. Und Hermanis, der dort inszenieren sollte, hat ihm einen privaten Brief geschrieben, dass er kleine Kinder hat und sich um sie sorgt, wenn sie unter diesen Umständen mit ihm im Theater sind. Lux hat den Privatbrief an die Medien gegeben, riesiger Artikel im Spiegel und Hermanis wurde gnadenlos gecancelt. An seinem Theater hängen heute sieben Regeln. Zum Beispiel, dass man alles sagen darf, dass alle mit allen flirten dürfen und dass sich jeder über jeden lustig machen darf.

Herr Föttinger, wenn Sie so etwas aufhängen …

Föttinger: Dann würde alles wieder hochkochen, dass ich Missbrauchshandlungen dulde und die Demokratie am Theater nicht achte.

Kampagnenjournalismus wird immer den Boulevardmedien vorgeworfen. Heute finden wir den bei der sogenannten Qualitätspresse

Herbert Föttinger

Das waren aber doch substanzlose Beschuldigungen von wenigen, teils anonymen Leuten. Wurden Sie und das Theater dadurch beschädigt?

Föttinger: Das Theater nicht. Dazu ist das, was wir machen, für die Leute zu interessant. Ich bis zu einem gewissen Grad schon.

Inwiefern?

Föttinger: Na ja, weil du mit einem Wikipedia-Eintrag leben musst. Der bleibt dir. Medien sind aufgesprungen, bestimmte „Qualitätszeitungen“, die so eine Situation nutzen, um viele Klicks zu bekommen. Es werden Skandale erzeugt, damit irgendwas interessant ist, was in der Zeitung steht. Interessanterweise wird dem Boulevard immer Kampagnenjournalismus vorgeworfen. Heute finden wir den bei der sogenannten Qualitätspresse.

Und wenn die Saison um ist? Wandern Sie wirklich für ein Jahr nach Ägypten aus?

Föttinger: Ganz sicher bin ich am 1. September am Roten Meer.

© Moritz Schell

Steckbrief

Herbert Föttinger

Geboren am 25. Juli 1961 in Wien, gründete Herbert Föttinger mit 16 die erste Theatergruppe und nahm privaten Schauspielunterricht. Über Graz kam er an Emmy Werners Volkstheater und dann unter Otto Schenk an die Josefstadt. Dort übernahm er 2006 von Helmuth Lohner als inszenierender Schauspieler die Direktion. Das glänzend besuchte Haus wurde zum führenden Uraufführungstheater (Turrini, Kehlmann, Mitterer, Lisa Wentz, Thomas Arzt).

Föttinger verlässt mit Saisonende das Haus. Er ist mit der Schauspielerin Sandra Cervik verheiratet, sie haben einen Sohn.

Und inszenieren wollen Sie nichts?

Föttinger: Im Moment nicht. Ich muss meine Batterie aufladen, um wieder Lust zu kriegen.

Und Sie, Herr Hartmann?

Hartmann: Ich habe große Lust an dieser Aufgabe, und ich muss auch anmerken, dass die gesellschaftliche Entwicklung nicht falsch war. Ich würde mich heute am Theater anders verhalten.

Aber an der Finanzaffäre waren Sie doch nachgewiesen schuldlos?

Stimmt, da würde ich heute nur schneller zur Polizei gehen. Aber ich rede davon, dass mich drei Jahre später, als ich juristisch rehabilitiert war, Leute aus dem Burgtheater mit einem offenen Brief über meinen Führungsstil angeschwärzt haben. Ich fand das zwar unfair, aber trotzdem: Wir kommen aus einer anderen Kinderstube, unsere Theaterväter waren Monster, die uns stundenlang angebrüllt haben. Sie wollten die autoritären Fesseln der Gesellschaft lösen und haben gleichzeitig die Theater drangsaliert. So wollten wir zwar nie werden, nun hat sich aber alles in Richtung einer jakobinerhaften Wokeness gedreht, die alle Prozesse am Theater erstickt. Das hat sich noch nicht wieder ausgependelt.

An der Josefstadt gab es das aber nicht. Schenk war eher still böse.

Föttinger: Oh, der konnte schon auch laut werden.

Hartmann: Bei mir an der Burg hat er sich die Hose runtergezogen, ist auf der Bühne herumgetanzt und hat geschrien: Ich will diesen furchtbaren Piefke nicht, Gott segne mir die heilige Josefstadt.

Die wird ab September unter der neuen Direktion fast ein Drittel ihres Ensembles verlieren …

Föttinger: Das ist halt eine Entwicklung, die am deutschsprachigen Theater begonnen hat. Immer wurde radikal das Ensemble ausgetauscht. Bei uns in Österreich wurde das erst zu Beginn dieses Jahrtausends eingeschleppt. Und meine Nachfolgerin wurde eben in Deutschland sozialisiert …

… bei Joachim Lux, dem Hermanis-Killer …

… und jetzt ist es bei uns eben auch so. Hier wurde das Ensemble immer mit übernommen, natürlich auch von mir nach Helmuth Lohner. Solche Einschnitte waren wir nicht gewohnt in der langen Geschichte der Josefstadt.

Hartmann: Ich habe dazu eine andere Haltung. Wir Theaterleute sind fahrendes Volk und müssen damit umgehen, dass ein anderer Theaterstil gewünscht ist als der, der sich hier über viele Jahre etabliert hat. Ich habe in Wien fast alle behalten. Ob das eine gute Idee war, das weiß die Geschichte, als ich Solidarität gebraucht hätte. Ich finde schon, dass sich eine neue ästhetische Sprache etablieren können muss und dass man nicht immer wieder da anfangen kann, wo die anderen geendet haben. Man darf allerdings den sozialen Aspekt nicht vergessen. Es gibt Menschen, die haben Kinder und jahrelang gute Arbeit geleistet …

Ist es wirklich nur der soziale? Die Philharmoniker verstärken sich ja auch nicht aus Ulan Bator, damit sie endlich anders klingen.

Föttinger: Max Reinhardt hat gesagt, das Theater gehört dem Schauspieler. Und Wien ist eine besondere Schauspielerstadt. Das Publikum ist mit seinen Schauspielern groß geworden, man hat einander gegenseitig beim Wachsen zugeschaut. Jetzt ist das gefährdet. Du musst froh sein, wenn am Volkstheater Johanna Wokalek spielt, weil du die anderen nicht kennst, und wenn du sie in fünf Jahren kennst, sind sie weg, und mit dem nächsten Direktor kommen wieder neue, die du nicht kennst. Dabei ist doch nicht gesagt, dass ein langjähriges Ensemblemitglied nicht auf eine neue Herausforderung neugierig ist.

Herr Hartmann, wie ist es Ihnen denn gegangen, als man Sie abgesäbelt hat?

Hartmann: Schlecht, was denken Sie denn?

Eine Stadt braucht so viele Theater, wie es Menschen gibt, die hineingehen. Gewinner ist, wer Lust auf das Publikum hat

Matthias Hartmann

Und wie lang hat es gedauert, bis Sie sich gefangen hatten?

Hartmann: Das ist ein Prozess, der hört in deinem ganzen Leben nicht mehr auf. Und ich habe zusätzlich den Fehler gemacht, dass ich mich aus beleidigtem Stolz aus allem herausgenommen habe. Ich war froh, dass ich in Italien Opern inszenieren und auf diesem Weg zwischen mich und die frühere Welt ein ganzes Land setzen konnte. Und jetzt komme ich heim und stelle fest, wie gut das tut.

Wie geht es dem Theater denn insgesamt?

Hartmann: Das ist ganz verschieden. Die Schaubühne in Berlin ist ein Beispiel, dass es gehen kann und die Volksbühne ist am Ende. In allen Städten sieht man, was geht und was nicht, aber Gewinner ist, wer Lust auf das Publikum hat.

Föttinger: Stimmt! Du musst Lust haben, für dein Publikum Theater zu machen. Nicht dich in einer Blase mit ein paar Kritikern einrichten, mit dem Ziel des Berliner Theatertreffens. Man arbeitet mit den Besuchern zusammen, man muss auf sie weder herabschauen noch sie belehren. Man macht gemeinsam Theater, weil man zusammenpasst und zusammengehört. Ich finde Trump dumm, aber andere finden das nicht, und ich muss ihnen auch keine gesellschaftsmoralischen Standpauken halten und damit zeigen, was für ein toller Mensch ich bin.

Hartmann: Die Zeit ändert sich schneller, als wir es gedacht haben. Künstliche Intelligenz kann nie Theater spielen. Wir müssen eine Sehnsucht in den Menschen entzünden, dass wir da sind, wo andere nicht sind. Wir werden wahrscheinlich das Wichtigste überhaupt werden. Wir sind das, was die Leute brauchen. Sie werden zu uns gehen wie in den Zoo, um zu erleben, dass da plötzlich noch das Leben ist. Aber Corona hat uns natürlich zurückgeworfen, weil jeder zu Hause drei verschiedene Streamer hatte. Die Leute ins Theater zurückzuholen, war nicht leicht. Viele haben es nicht geschafft.

© Bild: Ricardo Herrgott

Steckbrief

Matthias Hartmann

Geboren am 27. Juni 1963 in Osnabrück, wandte er sich rasch dem Theater zu. Über kleinere deutsche Bühnen kam er in Leitungspositionen nach Hannover, Bochum und Zürich, ehe er 2009 das Burgtheater übernahm. Auch als Regisseur brachte er das Haus auf beeindruckende Höhe und beste Auslastung. 2014 fiel er einem internen Malversationsskandal zum Opfer, den nicht einmal die Wirtschaftsprüfer durchschaut hatten. Heute ist er Creative Director des Red Bull Media House und inszeniert frei.

Er ist mit der Regisseurin Alexandra Liedtke verheiratet, die beiden haben drei Kinder und leben in Salzburg.

Wird es in Wien denn weniger Theater geben?

Hartmann: Eine Stadt braucht so viele Theater, wie es Menschen gibt, die hineingehen wollen. Die Maßstäbe sind nicht Entertainment, sondern gute Ensemblestücke. „Das weite Land“, „Peer Gynt“, ein Shakespeare, da passiert auf der Bühne das volle Leben.

Würden Sie beide wieder ein Theater leiten wollen?

Föttinger: Nein, ich komme mit der Zeit nicht mehr mit. Alles wird bürokratischer, sechsunddreißigstündige Wochenruhe, überall Regeln und Verbote. Nichts gegen den Arbeitnehmer:innenschutz, aber ein auf die Eigentümlichkeiten des Theaterbetriebs zugeschnittenes System ist noch nicht gefunden. Die jetzige Struktur hemmt mich in meiner Obsession und Leidenschaft.

Und schreien darf man auch nicht.

Föttinger: Das ist schon ein schwieriges Wort. Ich hebe meine Stimme, um etwas zu erklären, um jemandem vielleicht etwas von der Kraft, die ich gerade habe, einzuimpfen. Nicht, um jemanden zu demütigen.

Und Sie, Herr Hartmann? Würden Sie wieder ein Theater übernehmen?

Hartmann: Am liebsten würde ich eins auf der grünen Wiese gründen, mit so gut wie nichts an den Grundlagen unseres Berufes forschen. Das ist es, was mich unendlich reizt. Nicht in dem Maß wie früher, wo ich mich vollkommen überfordert habe und meine Kinder nicht mehr kannte. Aber ich schaue aus der Distanz mit Liebe, Hochachtung und Sehnsucht aufs Theater. Während der Herbert mitten aus der Fabrik kommt und froh ist, wenn er einfach mal rauskommen kann. Und ich muss ihm vollkommen recht geben: Nirgendwo werden die Menschen so am Arbeiten gehindert wie im Theater. Schauspielern werden Ruhezeiten verordnet, die sie gar nicht haben wollen. Wenn du ihre Emphase nutzen wolltest, müsstest du dich heimlich mit ihnen treffen. Oder keinen Cent Subvention nehmen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2025 erschienen.

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