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Spitzentöne: Internet-Kampagnen, gegen die man sich wehren kann

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Gertraud Klemm

©Bild: imago/Sven Simon

Ein Verlag setzt sich von einer hervorragenden Autorin ab, weil „User“ Bedenken äußern. Die Sozialen Medien haben sich ihren derzeit verheerenden Ruf beharrlich und erfolgreich erarbeitet. Es kommt allerdings darauf an, ob man sich einschüchtern lässt.

Mich in innerfeministische Differenzen einzumischen, fällt mir mangels Sachkompetenz nicht ein. Ich finde es nur allgemein schade, wenn sich weltverändernde, mitunter weltrettende Bewegungen durch Zersplitterung selbst aufreiben. Wir sehen es gerade an der Klimabewegung, die nicht nur an der zur Hamas-Truppenbetreuung entgleisten Greta Thunberg Schaden genommen hat. Und wie die Welt wohl aussähe, wenn seinerzeit Trotzki den Konkurrenten Stalin in Schach gehalten hätte? Wenn 1968 Alexander Dubcek, noch ­Jahre später mein Vorbild, den Prager Frühling als Reformmodell hätte eta­blieren können? Oder ein paar Jahre später Enrico Berlinguer den Eurokommunismus als sanftes Gerechtigkeitsmodell gegen das selbstmumifizierende Monstrum Breschnjew?

Über all das kann ich als Außenstehender nur mutmaßen. Aber von Literatur verstehe ich etwas. Deshalb kann ich Ihnen Giovanni Guareschis warmherzige „Don Camillo“-Reihe mitsamt den kongenialen Verfilmungen empfehlen: Er hat am Beispiel einer Dorfgeschichte den „historischen Kompromiss“, der dem Eurokommunismus zugrunde liegt, 20 Jahre im Voraus konzipiert.

Lesen Sie Gertraud Klemm!

Und noch etwas kann ich: Ich kann Ihnen die Feministin und Linksdenkerin Gertraud Klemm als hervorragende Schriftstellerin ans Herz legen. Ihre Romane „Herzmilch“ und „Aberland“ rechne ich zum Besten dessen, was bisher Frauen­literatur genannt wurde. Jetzt wurde sie „gecancelt“ (um mich zumindest durch die Anführungszeichen vom Anti-Wort zu distanzieren).

Die Anthologie „Das Pen!smuseum“, herausgegeben von Mareike Fallwickl und Eva Reisinger, führte den Namen Klemm sogar auf der Titelseite, ehe er nun mitsamt dem Beitrag verschwunden ist. Wie das? Sie hat sich vor drei Jahren in einem Standard-Kommentar ironisch zu semantischen Meinungsverschiedenheiten in Diversitätsfragen geäußert: „Wer ,Frau‘ sagt, um die ganz normale, nicht auszurottende Geschlechterungerechtigkeit zu verbalisieren, ist transfeindlich und am Binären festhaltend.“ Das haben nun „Userinnen“ ausgegraben und sich beim Leykam-Verlag beschwert. Der hat ihnen vielmals gedankt und Gertraud Klemm aus dem Projekt eliminiert.

Nun will ich mich weder in soziolinguistische Interna einmengen, noch den Herausgeberinnen Vorwürfe machen. Selbst für die gut beschäftigte Fallwickl ist der Ausfall eines Buchprojekts keine Bagatelle. Aber die Verlagsleitung soll sich genieren. Internetkampagnen sind nämlich nur so stark, wie Entscheidungsträger und Eigentümer schwach sind. Der Mähdrescher wütet mittlerweile in Literaturbelangen gegen Ungeahnt: von Karl May bis Astrid Lindgren, von Monika Gruber bis Gertraud Klemm. Dem Monstrum Zucker in den Tank zu schütten, z. B. durch Spott und Boykott, kann nicht falsch sein.

Internetkampagnen sind nur so stark, wie Eigentümer und Entscheidungsträger schwach sind

Auf wen es ankommt

„So stark, wie Entscheidungsträger und Eigentümer schwach sind“: Da würde ich gern fortfahren. Seit Jahren bedrängt uns eine Kampagne mit immer derselben Visage, so viele Gesichter sie auch hat: Erfolglose, meist im Unfrieden Abgegangene, melden sich aus der Anonymität gegen solche, denen kraft ihrer Fähigkeiten das Leben besser mitgespielt hat.

Wir haben das zuletzt an Maria Happel beobachtet, die das Reinhardt-Seminar 2020 über Nacht in einer Krisensituation übernommen hat. In den drei Jahren ihrer Amtszeit und schon zuvor als Lehrerin hat sie eine Viertelgeneration junger Schauspieler in teils spektakuläre Karrieren entlassen. Noch heute nützt sie ihren Einfluss als Intendantin der Festspiele von Reichenau, um ihre vormaligen Abgänger mit Glanz der Fachwelt zu präsentieren.

Das Seminar hat sie nach einer Kampagne verlassen, in deren Verlauf ihr anonym u. a. vorgeworfen wurde, ihre Assistentin habe zart besaitete Zöglinge zum Weinen gebracht. Der Stumpfsinn hat sich erwartungsgemäß durch die Entlüftung empfohlen. Aber dass die Aufsichtsverpflichteten, auch aus der Politik, dem Sudel im entscheidenden Moment nicht entgegengetreten sind, zumindest bis zum Vorliegen irgendwelcher Untersuchungsergebnisse: Das unterscheidet den Fall von anderen, die glücklicher verlaufen sind.

Klare Verhältnisse

Als zwölf Anonyme, unter ihnen mehrere Ausgeschiedene, den seit 19 Jahren erfolgreichen Josefstadt-Direktor Föttinger stereotyp der Erzeugung einer „Atmosphäre der Angst“ beschuldigten, gab es viel Lärm. Aber Aufsichtsrat und Ensemble des Privattheaters stellten sich hinter den Direktor, Peter Turrini schrieb einen offenen Brief, Bürgermeister Ludwig besuchte demonstrativ die nächste Pre­miere, und Ruhe war.

Auch der Sudel gegen den Intendanten der Salzburger Festspiele scheiterte: Markus Hinterhäuser trifft seine Entscheidungen aus den Innensichten des Künstlers und des Intellektuellen. Misslingt etwas, wie jedem Theater der Welt, stellt Hinterhäuser dafür Konstellationen her, die anderen auch nach Excel-basierter Auswertung ganzer Feuilletonjahrgänge nicht einfielen. Hinterhäuser wurde maßgeblich aus dem Bunkervolk der „Blogger“ angegriffen. Aber Landeshauptmann Haslauer hat das Aufsichtsgremium auf eine klare Sicht der Verhältnisse verpflichtet: Hinterhäuser bleibt bis 2031, während der eine oder andere, der ihm Böses wollte, Spenden erbittet.

PS.: Sollten Sie sich wie ich für Waffen in Privathand nicht begeistern können: Der Forderung auf www.aufstehn.at haben sich bei Redaktionsschluss schon 85.000 angeschlossen.

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