Zu viel ORF, zu wenig Zeitung

Die zwangsläufige Dauerbeschäftigung mit dem ORF verstellt den Blick auf seine Konkurrenten um tagesaktuelle Information. Das sind neben den Privatsendern mehr denn je die Zeitungen. Sie erleben die stärkste Veränderung ihrer Geschichte.

von Medien & Menschen - Zu viel ORF, zu wenig Zeitung © Bild: Gleissfoto

Personalia sind publikumswirksamer als sachliche Erörterungen. Aber Martina Salomon hätte sich ihren Übergang zur Herausgeberin des „Kurier“ wohl ebenso anders gewünscht wie ihr Nachfolger Martin Gebhart seinen Einstand als Chefredakteur. Der operative Führungswechsel steht im Schatten eines enormen kollegialen Aderlasses: Bis zu 40 der 175 Redaktionsmitarbeiter sind beim AMS zur Kündigung angemeldet. „In dieses Sparpaket bin ich nicht mehr eingebunden, und es ist tatsächlich schrecklich schmerzhaft“, beantwortete Salomon eine entsprechende Nachfrage auf Facebook. Sogar im oft pietätbefreiten X überwiegt zumindest bei Sachkundigen das Mitgefühl gegenüber einem Lieblingsreibebaum der linksliberalen Meinungsführer. Denn der „Kurier“ gehört bloß zum Sockel eines Eisbergs, von dem kaum noch Spitzen herausragen.

Doch an den Spitzen des von einer existenzgefährdenden Krise bedrohten Geschäftsmodells Zeitung dreht sich das Personalkarussell immer schneller. Ab 1. April ist Gerold Riedmann Chefredakteur des „Standard“, den Martin Kotynek 2023 in dieser Rolle verlassen hat. Erst im Vorjahr folgte in der „Presse“ Florian Asamer auf Rainer Nowak, der als Super-Ressortleiter der „Krone“ am Comeback feilt. Bei „Heute“ wird unterdessen die Zusammenlegung von Print und Online mit der Einsetzung von Digital-Macher Clemens Oistric statt Christian Nusser als Auch-Papier-Bestimmer verbunden, während bei den „Vorarlberger Nachrichten“ Isabel Russ dem Wien-Abgänger Riedmann nachfolgt. In Kombination mit den neuen Chefredaktionen von ORF und APA setzt die halbe Branche auf neue redaktionelle Führungsriegen, während in ihr wirtschaftlich kein Stein auf dem anderen bleibt. Auch „Standard“ und „Kleine Zeitung“ haben gerade erst schwere Sparpakete gestemmt. Beim Reichweiten-Primus „Krone“ gilt das nur noch als Frage der Zeit – nach dem Verkauf der Anteile von Signa/Benko.

Ebenso im Umbruch wie das journalistische Personal sind auch die Medienmarktforschungen. Da sie weniger der Wissenschaft als dem Marketing dienen, wird die Krise dadurch aber nicht besser greifbar. Sämtliche renommierten Untersuchungen liefern heuer ihre Werte auf Basis reformierter Methoden: Teletest, Radiotest, Webanalyse, Media-Analyse. Dazu kommt eine Erweiterung der Auflagenkontrolle um die Abrufzahl von Newslettern und Podcasts. Diese ÖAK gilt seit jeher als härteste Währung, weil sie nicht auf Befragungen, sondern auf Datenbeständen der Verlage beruht. Nach dem Ende von „Wiener Zeitung“ und dem „Oberösterreichischen Volksblatt“ auf Papier liefern nun endlich alle verbliebenen Tageszeitungen. Es sind nur noch zwölf. Wer ihre verbreiteten Auflagen mit jenen vor zehn Jahren vergleicht, vermag daraus aber noch keine allgemeine Krise abzuleiten. Außer bei „Krone“ und „Kurier“ wirken die Einbrüche nicht besonders massiv – vor allem nicht im Vergleich zur gewachsenen Digitalnutzung. Doch die Tücke liegt bei den in Klammern dahintergesetzten Werten. Sie bezeichnen die Zahl der E- Papers, die in der Gesamtverbereitung enthalten sind. Beim „Standard“ sind es 41 und bei der „Presse“ 38 Prozent.

Die „SN“ folgen mit rund einem Viertel ihrer Auflage. Das lässt sich als Erfolg verkaufen. Doch er bildet sich nicht ausreichend ab im Geschäft. So wie die digitalen Angebote, vor denen mittlerweile die meisten seriösen privaten Anbieter Bezahlschranken errichtet haben, bringen die Onlineauftritte nicht annähernd so viel Geld wie Papierzeitungen. Das aber ist notwendig, um die Redaktionsstärken aufrecht zu erhalten, die jene journalistische Qualität und Kritikfähigkeit sichern, mit denen sich herkömmliche Nachrichtenmedien von Propaganda- und Fake-News-Plattformen wie von Partei- und Unternehmensauftritten unterscheiden müssen.

Ob sich solcher Journalismus auf Dauer rein betriebswirtschaftlich finanzieren lässt, ist noch nicht beantwortet. Denn die einst wichtigste Einnahmequelle der Zeitungen, die heute durchwegs weniger Papierprodukte als Multimediatitel sind, ist von den globalen Digitalgiganten gekapert worden. Sie bekommen auch in Österreich schon mehr Geld aus Werbebuchungen als die gesamte heimische Medienbranche. Die öffentliche Hand steuert zunehmend dazu bei, während sie eine gedeihliche nationale triale Medienlandschaft mit öffentlich-rechtlichen, privatwirtschaftlichen und nichtkommerziellen Angeboten zu wenig fördert. Sie fixiert sich zu stark auf den ORF. So wie wir und die gesamte Medienberichterstattung. Das ist ein Fehler. Denn die Demokratie benötigt eine Vielfalt an Vermittlern von verlässlicher Information.