Starke Frauen, die 2023 prägen

Die News-Redaktion stellt Persönlichkeiten vor, von denen noch viel zu hören sein wird: Politikerinnen, Wissenschafterinnen und Managerinnen, die versuchen, die Welt zum Besseren zu verändern.

von Sanna Marin © Bild: Getty/Gallup

Ein herkömmlicher Ausblick ins kaum begonnene Jahr gibt wenig Grund zu Hoffnung. Der Krieg in der Ukraine: grausam und unversöhnlich. Der Stand der Klimadebatte: zunehmend dümmlich und unversöhnlich. Die Lebenskosten weiterhin hoch. Die globale Stimmung einer Umfrage des Gallup-Instituts zufolge auf dem tiefsten Stand seit dem Jahr 2008.

Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Weltweit bewegen sich auch viele Dinge zum Guten. Und oft stehen kompetente, selbstbewusste und ungewöhnliche Frauen hinter diesen Entwicklungen. Die News-Redaktion stellt 13 Persönlichkeiten in kurzen Porträts vor und erklärt, warum sie das Jahr 2023 entscheidend -und positiv -prägen werden.

Kaja Kallas zum Beispiel, Estlands Premierministerin, deren kompromisslose und hellsichtige Putin-Kritik noch wichtig sein wird. Oder die brasilianische Umweltministerin Marina Silva, die sich der Rettung der brasilianischen Regenwälder verschrieben hat. Oder die Krebsforscherin Özlem Türeci, die schon 2023 erste Patienten mit einer neuen mRNA-Krebstherapie behandeln will.

Warum nur Frauen? könnten sie fragen. Warum nicht, könnte die Antwort lauten. Weil viele Frauen derzeit in der Welt viel zu sagen haben. Und weil sie möglicherweise neue Zugänge einbringen, die es auch einmal verdient haben, ausprobiert zu werden.

KAJA KALLAS: Die Frau, die Putin furchtlos die Stirn bietet

Überzeugungen zahlen sich aus. Wenn man fest an sie glaubt, und unbeirrt dahintersteht. Estlands Premierministerin Kaja Kallas verdankt dieser Weisheit einen beachtlichen Karriere-Boost. Lange schon standen die baltischen Staaten der aggressiven Politik Putins skeptisch gegenüber. Nicht immer zur Freude Rest-Europas, das sich mit Russland - und seinen riesigen Gasvorkommen -gut stellen wollte. Seit Kriegsbeginn hat sich die Stimmung gedreht. Die Expertise der kritischen Russlandkenner aus dem Baltikum steht auf einmal hoch im Kurs, und vor allem der estnischen Ministerpräsidentin ist es gelungen, sich international als eloquente, kompromisslose Kritikerin der Putin'schen Machenschaften zu etablieren. Das britische Politmagazin New Statesman brachte Kallas im vergangenen Mai auf dem Titelblatt, scharf im Profil fotografiert, dazu die Zeile: "Estonia's Iron Lady". Ob ihr dieser Spitzname gefalle, wurde sie kürzlich in einem Interview mit dem estnischen Fernsehen gefragt. Es sei ein gutes Gefühl, endlich ernstgenommen zu werden, gab Kallas zurück. "Nach 30 Jahren haben wir endlich den Punkt erreicht, an dem unser Wort genau so viel zählt wie das von Frankreich oder Deutschland."

Kein Wunder, dass die 45-Jährige, deren Mutter einst von den Sowjets nach Sibirien deportiert wurde, mittlerweile für höhere Weihen gehandelt wird. Sie könnte dem im September abtretenden NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nachfolgen, spekuliert die New York Times. Kallas Berufung wäre eine klare Botschaft an Putin. Genau wie die einer anderen Frau, die ebenfalls gute Chancen auf den Top-Job haben dürfte: Chrystia Freeland, die Vize-Premierministerin und Finanzministerin von Kanada, hat ukrainische Wurzeln.

SANNA MARIN: Eine junge Politikerin macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt

Alphamänner donnern aufmerksamkeitheischend durch den globalen Porzellanladen und glauben, dass sie Raketen ins All schießen (oder einen gut funktionierenden Mini-Blog-Dienst zerstören) müssen, um einen Unterschied zu machen. Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin beweist, dass das auch geht, indem man einfach ist, wie man ist.

Die 37-Jährige auf Partyfotos oder unkonventionelle Outfits zu reduzieren, greift dabei zu kurz: Marin hat ihr Land erfolgreich durch die Corona-Krise manövriert, und ist dabei, es in die NATO zu führen. Ein historischer Schritt für ein Land, das jahrzehntelang in ängstlicher Abhängigkeit vom mächtigen Nachbarland, der Sowjetunion, lebte. Aber es hat auch seine Berechtigung, über Partys und Outfits zu sprechen: Marin zeigt immer wieder, dass eine junge, lebenslustige Frau sich nicht verstellen muss, nur weil sie als Spitzenpolitikerin arbeitet. Und definiert damit umgekehrt das Berufsbild neu. Jahrhundertelang galten Männerregeln in der Politik. So implizit, dass das Bewusstsein dafür fehlte, dass es sich um Männerregeln handelt. Sanna Marin steht an der Spitze einer Generation von jungen Politikerinnen, die sich diesen alten Rollenbildern verweigert. Das irritiert, wie die Berichterstattung über ihre angeblichen Fauxpas zeigt. Und zerstört dabei langsam die Klischees in den Köpfen.

Wie fest die sitzen, zeigte sich Ende November bei einem Staatsbesuch in Neuseeland. Ob die neuseeländische Regierungschefin Jacinda Ardern sich nur deswegen mit Marin treffe, weil sie beide Frauen und ungefähr gleich alt seien, wollte ein (männlicher) Journalist wissen. "Wir treffen uns, weil wir Ministerpräsidentinnen sind", antwortete Marin schlagfertig. Die Episode zeigt: Es müssen noch viele Politikerinnen in Lederjacken zu Rockfestivals gehen, bis die alten Regeln vergessen sind.

MARINA SILVA: Ein grüner Lichtblick für Brasiliens Regenwälder

Kaum eine verkörpert den brasilianischen Bruch mit der Ära Bolsonaro, wie sie es tut. Marina Silva, die Kämpferin des entrechteten Urwalds, steht im krassen Gegensatz zur frauen-und ökofeindlichen Politik des als ultrarechts eingestellten Ex-Präsidenten. Wenige Tage vor seinem Amtsantritt an Neujahr nominiert der neue brasilianische Präsident Luiz Ignácio Lula da Silva die prominente Naturschützerin als Umweltministerin. Diesen Posten hatte die heute 64-Jährige bereits von 2003 bis 2008 inne. Nach Streitigkeiten wegen Mega-Infrastrukturprojekten im Amazonasgebiet tritt sie schließlich zurück. Stattdessen lässt sie sich bei den folgenden drei Wahlgängen selbst als Präsidentschaftskandidatin aufstellen und wird zweimal starke Dritte.

Jetzt holt Lula seine alte Weggefährtin wieder ins Boot. Unter seinem Amtsvorgänger Jair Bolsonaro hat die Abholzung des Amazonasgebiets stark zugenommen -statt Umweltschutz standen wirtschaftliche Interessen im Zentrum. Weil der Regenwald aber große Mengen an CO2 speichern kann, ist er für das Weltklima extrem bedeutsam. Die Umweltministerin des größten Staates Südamerikas verspricht deshalb, eine Schlüsselfigur im Kampf gegen die Klimaerwärmung zu werden.

Ihre außergewöhnliche Biografie macht Marina Silva zum Mythos. Das "Mädchen aus dem Dschungel" wuchs in einer Kautschuksammler-Siedlung auf und wurde erst mit 16 alphabetisiert. Mit 26 promovierte Silva in Geschichte. Mit dem 1988 ermordeten Regenwaldschützer Chico Mendes gründet sie den regionalen Zweig des linken Gewerkschaftsdachverbands. Fest steht, dass es in Lulas zweiter Runde mit Marina Silva keine Kompromisse mehr gibt. Mit ihr stehen Umweltschutz und Menschenrechte stets vor wirtschaftlichen Interessen.

ÖZLEM TÜRECI: Auf der Suche nach dem Mittel gegen Krebs

In Zeiten, in denen eine schlechte Nachricht die andere jagt, sind Good News rar gesät. Aber Özlem Türecis Lebenwerk ist ein Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken. 2008 gründete die deutsche Forscherin mit türkischen Wurzeln gemeinsam mit ihrem Ehemann Uğur Şahin das Biotechnologie- Start-Up BionTech. 2020 erfuhr die ganze Welt von dem Unternehmen, als Türeci und Şahin in verblüffender Geschwindigkeit einen hochwirksamen Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickelten. Dabei war das berühmt-berüchtigte Vakzin mit dem Handelsnamen Comirnaty nur ein Nebenprodukt ihrer eigentlichen Forschung: Özlem Türeci und Uğur Şahin arbeiten seit Jahren an einem Wirkstoff gegen Krebs. Und der Durchbruch könnte kurz bevorstehen. Die beiden Forscher rechnen bis 2030 mit der Zulassung einer mRNA-Krebstherapie.

Schon heuer beginnt BionTech damit, in Großbritannien ein Forschungs-und Entwicklungszentrum zur Krebstherapie aufzubauen. Die ersten Patienten sollen in der zweiten Jahreshälfte 2023 in die Studie aufgenommen werden. Die Grundidee der Therapie: Das Immunsystem soll dazu in die Lage versetzt werden, den Tumor selbst zu erkennen und zu bekämpfen. Hoffnung auf eine Wunderpille, die jede Krebsform heilt, solle man sich nicht machen, sagte die 55-jährige Türeci jüngst in einem Interview mit dem Magazin Stern: "Krebs ist hochkomplex, da geht es um einen Topf von ganz unterschiedlichen Erkrankungen. Zudem hat Krebs ausgeklügelte Mechanismen, mit denen er unser Immunsystem austrickst." Aber: BionTech arbeite genau daran, diese Abwehrmechanismen zu unterwandern.

Özlem Türecis Forschung bedeutet vielleicht nicht, dass Krebs in wenigen Jahren komplett von der Erde verschwindet. Aber sie gibt schon jetzt vielen Menschen Mut und Hoffnung.

MELINDA GATES: Die Philantropin, die sich selbst neu erfindet

Skepsis ist angebracht, wenn reiche Menschen beschließen, mit ihrem vielen Geld die Welt retten wollen. Nach welchen Regeln findet diese Rettung statt? Was wird gerettet? Und wer schaut den Rettern auf die Finger? Die Bill &Melinda Gates-Foundation ist mit knapp 50 Milliarden Dollar eine der größten privaten Stiftungen der Welt. Zig Milliarden Dollar wurden bereits an tausende Wohltätigkeits-Projekte ausbezahlt.

Seit ihrer Scheidung 2021 hat sich Melinda Gates, 58, auch in philantropischer Hinsicht von ihrem Ex-Mann Bill emanzipiert. Ihre Stiftung Pivotal Ventures (etwa: entscheidende Unternehmungen) will den sozialen Fortschritt in den USA beschleunigen und fördert u. a. Women of Color, Frauen in Technologieberufen und Mental-Health-Programme für junge Menschen.

Und es scheint, als hätte sie sich dabei gewisse Kritikpunkte am philantropischen Gestus der Superreichen zu Herzen genommen. Bei Pivotal Ventures geht es nicht nur darum, lässig mit Geldscheinen zu fuchteln, sondern auch um Hilfe zur Selbsthilfe. Melinda French Gates -seit ihrer Scheidung trägt sie wieder ihren Mädchennamen -hält dabei selbst Kurse, in denen sie anderen vermittelt, wie man sich in der Gesellschaft nützlich machen kann. "Ich habe gelernt, dass es sehr wichtig ist, dass die Menschen, die von Problemen betroffen sind, auch selbst an deren Lösung mitarbeiten", sagte French Gates kürzlich. Und: "Philantropen sind generell nützlicher, wenn sie hinter einer bestehenden Bewegung stehen, als ihre eigene anzuführen." Das Forbes Magazine erklärte Melinda French Gates jüngst zur sechstwichtigsten Frau des Jahres 2022, hinter Polit- Größen wie Ursula von der Leyen und Kamala Harris. Vielleicht geht 2023 noch mehr.

TSAI ING-WEN: Die provokante Frau, die China herausfordert

Für Tsai Ing-Wen, die Präsidentin Taiwans, wird 2023 gewiss kein entspanntes Jahr. Die Befürchtung: Sie könnte gezwungenermaßen zur neuen Freiheitskampf-Figur à la Wlodymyr Selenskij werden, sofern China den kleinen Inselstaat annektieren sollte. Denn Peking betrachtet die seit 1949 abgespaltene Insel als abtrünniges Gebiet, das wieder mit dem chinesischen Festland vereinigt werden soll. Ein Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosy in Taipeh trieb die Spannungen im August letzten Jahres auf einen neuen Höhepunkt. Zur Einschüchterung hielt Peking groß angelegte Militärübungen rund um die demokratisch regierte Insel ab. Am Parteitag sprach der chinesische Staatschef Xi Jinping sogar eine offene Drohung aus: "Wir werden uns niemals verpflichten, den Einsatz von Gewalt aufzugeben."

Die 66-Jährige, die dem Gigantenstaat China mit aller Kraft trotzt, gilt als bisher provokanteste Amtsinhaberin. Auf Basis des "Ein-China-Prinzips" setzt Peking aber nach wie vor durch, dass kaum ein Staat der Welt Taiwan als unabhängig anerkennt. Trotzdem liebäugelt Tsai Ing-Wens Demokratische Fortschrittspartei (DPP) in den vergangenen Jahren immer deutlicher mit einer echten Unabhängigkeit. Seit ihrem Amtsamtritt 2016 verstärkt die taiwanesische Präsidentin den Kontakt zu den USA. Die US-Budgetpläne belegen, dass 2023 rund zehn Milliarden US-Dollar in Waffenlieferungen nach Taiwan fließen sollen - was China wiederum als Kampfansage deutet. Eine Ankündigung zum Jahreswechsel unterstreicht den Ernst der Lage: Ab 2024 müssen junge Männer wieder ein ganzes Jahr zum Militär, statt dem geplanten Ende der Wehrpflicht. "Solange Taiwan stark genug ist, wird es nicht zu einem Schlachtfeld werden", sagt Präsidentin Tsai Ing-Wen. Das bleibt zu hoffen.

KETANJI BROWN JACKSON: Die erste schwarze US-Höchstrichterin

Es ist kein Geheimnis: Minderheiten müssen für ihren Erfolg doppelt und dreifach härter arbeiten. Dieser Nachteil potenziert sich, wenn man gleich mehreren Randgruppen angehört: so wie Katanji Brown Jackson, die nicht nur schwarz, sondern auch eine Frau ist. Und doch bricht am 7. April 2022 Jubel im US-Senat aus. Es ist entschieden: Ketanji Brown Jackson wird die erste schwarze Richterin am US-Supreme Court. Ihr eisernes Durchhaltevermögen hat sich ausgezahlt.

Es ist ein historischer Moment. In der 233-jährigen Geschichte des Supreme Court wurden bisher 115 Richterinnen und Richter ernannt, beinahe nur Männer. Der Frauenanteil lässt stutzen: Lediglich fünf Frauen wurden bisher an das Höchstgericht berufen, vier Weiße und eine Latina. Jacksons Weg in den Olymp des amerikanischen Rechts ist auch abseits von Geschlecht und Hautfarbe ein untypischer. Im Gegensatz zum Gros der amerikanischen Elite-Studenten stammt die 52-Jährige aus einfachen Verhältnissen. Jackson besuchte eine öffentliche Schule, schaffte es nur dank eines Stipendiums nach Harvard. Typisch für ihren Werdegang "von unten" begann Jackson nach ihrem Abschluss als Pflichtverteidigerin, Ex-Präsident Barack Obama berief sie 2013 an das Bundesgericht District of Colombia, später wechselte sie an das Bundesberufungsgericht.

Die ideologische Balance im 6 zu 3 von Konservativen dominierten Supreme Court bleibt gleich, da Jackson dem liberalen Richter Stephen Breyers nachfolgt. An der Zusammensetzung ändert sie sehr wohl etwas: Erstmals stellen nicht mehr weiße Männer die Mehrheit am US-Höchstgericht. Und als erste ehemalige Pflichtverteidigerin bringt Ketanji Brown Jackson eine Perspektive in das Richterkollegium ein, die bisher fehlte.

MALA GAONKAR: Auch Frauen können Hedgefonds managen

Für Theater-und Musikritiker ist klar: Vorurteile, sofern überhaupt vorhanden, haben zu verschwinden, sobald sich der Vorhang hebt. Was in der Kultur für die meisten selbstverständlich ist, müssen viele in der Wirtschaft offensichtlich erst lernen. Cashonline beruft sich auf eine Studie der deutschen IG Bank, derzufolge Investoren männlichen Hedgefonds-Managern größere Summen anvertrauen als weiblichen. Die amerikanische Internetzeitschrift bloomberg.com stimmt dem zu. Dass Vorurteile gegenüber Frauen in den Führungspositionen in der Finanzwelt in jeder Hinsicht unbegründet sind, hat indes cashonline recherchiert. Wer sich in dieser Welt bewegt, wendet dieselben Praktiken an. Unabhängig vom Geschlecht. Den Beweis führt nun Mala Gaonkar. Die 53-jährige Amerikanerin gründete in New York soeben ihr erstes Hedgefonds-Unternehmen SurgoCapital mit einem Kapital von einer Milliarde Dollar. Die Tochter einer indischen Arztfamilie wuchs in Bengaluru auf. Nach Abschluss ihres Studiums in Harvard war sie für mehrere Unternehmen in den USA als Treuhänderin tätig. Die Frau hat ihr Geschäft gelernt. 23 Jahre war sie für das Hedgefonds-Unternehmen Lone Pine Capital tätig, das sie auch mitbegründet hat. Der legendäre Hedgefond-Manager Stephen Mandel ernannte Gaonkar gar zur Portfoliomanagerin. Wer indes seine Vorurteile gegenüber Frauen in Wirtschaftsbelangen nicht ablegen will, kann sich bei Mala Gaonkar vom Gegenteil überzeugen. Bevor sie ihr Unternehmen Anfang Jänner dieses Jahres auf dem Markt einführte, rekrutierte sie von ihren ehemaligen Arbeitgebern Personal. Nur die Besten sollten bei ihr anfangen. Die ersten Namen, die bekannt wurden, waren indes keineswegs nur Frauen. Die Besten wissen: Geht es um Qualität, stehen Frauen Männern um nichts nach. Und umgekehrt.

ZUZANA ČAPUTOVÁ: Stimme der Vernunft

Müsste man das Gegenteil eines Politikertypus von der Art Donald Trumps suchen, würde man in der Slowakei fündig. Seit bald vier Jahren amtiert in Österreichs östlichem Nachbarstaat Zuzana Čaputová als Präsidentin. Die heute 49-jährige Juristin, eine ehemalige Umweltaktivistin, gilt seit ihrem Amtsantritt im Juni 2019 als "Hoffnungsträgerin". In Tschechien nennt man sie gar einen "weiblichen Václav Havel". Ein größeres Lob gibt es nicht. Im Vergleich zu ihren Kollegen in den anderen drei Visegrád-Staaten Ungarn, Polen und Tschechien ist sie für viele eine "politische Lichtgestalt","eine Stimme der Vernunft". Diese und ihr entschiedenes Auftreten gegen Missstände hat sie sich auch in den turbulenten Amtsjahren bewahrt. Das manifestiert sich auch bei ihren Äußerungen auf Social Media. Als im Oktober zwei junge Männer in einer LGBT-Bar in Bratislava ermordet wurden, nahm sie auch Politiker über Facebook in die Pflicht: "Ich sage seit drei Jahren, dass Worte auch Waffen sind. Dass wir Politiker für jedes einzelne Wort verantwortlich sind, das wir sagen. Und doch füllen so viele hier skrupellos den Raum mit Hass. Es macht mich wütend, dass selbst einige Staatsanwälte und Richter verbale Verbrechen nicht schätzen und gefährlich finden."

In diesem Jahr, dem 30. seit der Gründung der Slowakei 1993, stehen Čaputová noch turbulentere Zeiten bevor. Zunächst Neuwahlen, denn Eduard Hegers Minderheitsregierung aus drei Parteien fiel einem Misstrauensantrag zum Opfer. Heger galt als Unterstützer der Ukraine. Čaputovás Typus ist auch international gefragt: Die New York Times führt auch sie in der Liste jener an, die Jens Stoltenberg auf den Posten des NATO-Generalsekretärs folgen könnten.

MARIA KOLESNIKOVA: Eine von Tausenden

Als Maria Kolesnikova im September 2020 in Minsk hinter Gittern für ein Fotoshooting der internationalen Presse posierte, formte sie mit ihren Händen ein Herz. Die Lippen rot geschminkt, das Gesicht blass. Der Grund für ihre Festnahme war ihr Protest gegen Alexander Lukaschenkos Wahlbetrug in Belarus 2020. Ihre Gefährtinnen Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkala, mit denen sie gemeinsam für die Freiheit demonstrierte, flohen ins Ausland. Nur Kolesnikova blieb. Einer Zwangsdeportation widersetzte sie sich. Sie zerriss vor den Beamten ihren Pass. Der Staat vergalt ihr die Tat mit elf Jahren Straflager. Im Dezember wurde bekannt, dass sie auf der Intensivstation im Krankenhaus der Strafkolonie behandelt wurde. Über Kolesnikovas Zustand ist nichts bekannt. Angeblich ist sie wieder ins Lager zurückgekehrt.

Kolesnikowa, eine Musikerin, die in Minsk und Stuttgart studiert hatte und im Ausland arbeitete, bevor sie sich in der Protestbewegung in ihrem Heimatland engagierte, ist eine von 1300 politischen Gefangenen in Belarus. Ihr Schicksal erinnert nicht nur an die Zustände in dem immer noch totalitär regierten Staat an der Grenze zur EU, sondern auch an andere Frauen, die derzeit für mehr Freiheit und Selbstbestimmung kämpfen. Im Iran zu Beispiel nehmen die Proteste trotz scharfer Gegenmaßnahmen des Regimes nicht ab. Im Gegenteil. Experten weisen aber auch darauf hin, dass internationale Solidarität und mediale Aufmerksamkeit wichtig sind, um die Anliegen der Bewegung zu unterstützen. Die Kämpfe, die Maria Kolesnikowa, Mahsa Amini und wie sie alle heißen führen, brauchen Unterstützerinnen in der ganzen Welt, um erfolgreich sein können. Auch im Jahr 2023.

VALENTINA MELNIKOVA: Die russischen Soldatenmütter

Russische Mütter protestieren immer lauter. Sie wollen nicht mehr, dass ihre Söhne, Brüder und Ehemänner zu "Kanonenfutter" werden. Behörden und Militär geben oft keine Auskunft über deren Verbleib. Seit dem 24. Februar 2022 müssen sich die Frauen wieder selbst organisieren, um Vermisste zu finden. Eine von ihnen ist Valentina Melnikova. Die 76-Jährige leitet die "Union der Komittees der Soldatenmütter". In den 1990er-Jahren, während des ersten Tschetschenienkriegs, stapfte Valentina Melnikova noch selbst durch das kaukasische Gebirge, auf der Suche nach vermissten Soldaten. Aktuell erhält das Kommitee so viele Hilfsansuchen wie noch nie, sagt sie. Mehr als in beiden Tschetschenien-Kriegen zusammen. Erst recht seit der "Teilmobilisierung" Ende September, die wohl Tausende junge russische Leben forderte.

"Sie nehmen junge Männer und schicken sie in Särgen zurück. Die Jungs erfrieren an der Front, während ihre Familien in Armut leben", sagte Melnikova gegenüber The Daily Beast. "Es scheint, dass die Behörden an diesem Punkt kein Interesse mehr an Menschenleben haben."

NGOZI OKONJO-IWEALA: Im Kampf gegen Impfpatente

An die neue Generaldirektorin der Welthandelsorganisation WTO richteten sich hohe Erwartungen, als sie im Jahr 2021 das Amt übernahm. Sie trat in einer Zeit voll offener Streitfragen an: Die Covid-Pandemie hatte die Weltwirtschaft ins Bröckeln gebracht, die Rolle der WTO als westlicher Stützpfeiler der weltweiten Handelsregelungen war ins Wanken geraten. Mit Ngozi Okonjo-Iweala trat eine erfahrene Ökonomin auf das internationale Parkett: Die 68-Jährige arbeitete insgesamt 25 Jahren bei der Weltbank in Washington, wo sie als geschäftsführende Direktorin unter anderem die Nummer zwei der Organisation war. In ihrem Heimatland Nigeria absolvierte sie zwei Amtsperioden als Finanzministerin. Gleichzeitig schrieb sie in zweierlei Hinsicht Geschichte: Sie ist nicht nur die erste Frau an der Spitze der WTO, sondern auch die erste Afrikanerin in dieser Position.

"Bei der WTO geht es um Menschen", betonte Ngozi Okonjo- Iweala bei ihrer ersten Erklärung als WTO-Generaldirektorin. Einen entsprechenden Erfolg verzeichnete sie bei der Ministerkonferenz im Juni 2022: Die 164 WTO-Mitglieder stimmten für das Aussetzen der Patente auf Covid-Impfstoffe. Ein Meilenstein. Damit sollen auch ärmere Länder die Möglichkeit haben, Corona-Impfstoffe zu produzieren. Es ist ein Anliegen, für das sich Ngozi Okonjo-Iweala auch als Leiterin der internationalen Impfinitiative GAVI einsetzt, deren Vorsitz sie seit 2015 innehat. "Impfnationalismus zahlt sich nicht aus", warnt Ngozi Okonjo-Iweala in diversen Medienberichten. "Niemand ist sicher, bis alle sicher sind."

2023 wird für Okonjo-Iweala freilich ein auch in anderer Hinsicht herausforderndes Jahr. Der internationale Warenhandel werde heuer eine Vollbremsung hinlegen, warnte sie erst vor wenigen Wochen.

BELA BAJARIA: Kulturübergreifendes Lernen als TV-Strategie für die Zukunft

Als die indisch-amerikanische Medienmanagerin Bela Bajaria, 52, vor zwei Jahren ihre Vorgängerin bei Netflix ablöste, machte das antifeministische Narrativ zweier Frauen, die sich gegeneinander ausspielen hatten lassen, die Runde. Die neue Direktorin von Netflix Global TV blieb stoisch. Der Pragmatismus, mit dem Bajaria ausblendet, was nicht dienlich ist, ist eines ihrer Talente. Netflix entschied sich für sie, weil sie den neuen Weg in die Zukunft gestalten sollte.

Lange hatten der Ankauf und die Produktion möglichst massentauglicher Inhalte den Erfolg der Streamingplattform befeuert. Im härter werdenden Wettbewerb mit vielen potenten Konkurrenten brauchte es eine neue Wachstums-Strategie. Netflix' weltweite Verbreitung ist der größte Asset des Streamingdienstes, vor allem in Ländern, wo die Konkurrenz noch lineares Fernsehen heißt. Die Synergien all dieser Märkte zu nutzen und gleichzeitig deren landestypische Eigenheiten optimal auszuwerten, lautet die zukunftsweisende Aufgabe.

Bajaria entscheidet nicht, welche Sendungen produziert werden. Dieser Prozess erfolgt dezentral. Vielmehr verantwortet sie die Erfolgsoptimierung durch "kulturübergreifendes Lernen", wie ein Transformator, der erfolgreiche Formate an verschiedene Teile der Welt anpasst. Das braucht herausragende Kommunikationsfähigkeiten und ein Talent, das Ziel vor die persönliche Eitelkeit zu stellen. "Wenn sie vom Erfolg einer Idee überzeugt ist, stärkt sie dir den Rücken, auch wenn sie rein inhaltlich persönlich völlig anderer Meinung ist", bringt ein Mitarbeiter es auf den Punkt. Uneitelkeit ist die stärkste Waffe der Frau, die einst Miss India Universe war.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 03/2023.