Wie viel Sex ist eigentlich normal?

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Dr. Christian Gutschi ist Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe. Einer seiner beruflichen Schwerpunkte liegt auf der Paar- und der Sexualtherapie. Darüber hinaus arbeitet er mit Kindern und Jugendlichen und ist als Lektor an der FH Kärntnen für Gesundheitsmanagement tätig. Hier geht es zu seiner Homepage.
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Der Sex ist immer wieder Streitpunkt zwischen uns. Während ich oft nur kuscheln will, kriegt er nicht genug. Das verunsichert mich. Wie viel Sex ist eigentlich normal? (Christiane P., 31)

"Hier gibt es keine Norm", stellt Gutschi klar. Natürlich werde diese Frage in unserer übersexualisierten Gesellschaft immer wieder gestellt. Es wird getuschelt, verglichen, gewertet. Jedoch sei das etwas, das jeder Mensch individuell beantworten, jedes Paar für sich definieren müsse. Der Experte sieht Sexualität zwar als wichtigen Aspekt einer Partnerschaft, es gehe aber auch ohne. "Es gibt gute Partnerschaften, in denen ganz wenig oder gar kein Sex gelebt wird", weiß er aus seiner beruflichen Erfahrung. Manche Menschen haben von Haus aus ein sehr geringes Bedürfnis nach Sexualität, bei anderen verändert es sich im Laufe der Jahre. All das ist normal. Und dennoch glauben sich viele an einer vermeintlichen Norm orientieren zu müssen.

Der Aspekt der Verweigerung

Die typischen Rollenklischees tun ihr Übriges: "Die Frau wird vom immer lustbetonten Mann abgeholt." Ein Bild, das wir nur allzu gut aus den Medien kennen. Hat frau dann einmal keine Lust, kommt schnell die Frage auf: Was stimmt nicht mit ihr? Möglicherweise ist der Hormonhaushalt in Schieflage geraten. In seltenen Fällen kann auch eine Sexualfunktionsstörung der Grund sein. Meist liegt die Ursache aber ganz woanders, nicht selten in der Beziehung selbst. Gutschi spricht vom Aspekt der Verweigerung. Hier wird ein Konflikt, der auf einer anderen Ebene der Beziehung stattfindet, stellvertretend auf der sexuellen ausgetragen. Nach dem Motto "Ich krieg von dir nicht, was ich, also gebe ich dir auch nicht, was du willst" entzieht sich die Frau - oder der Mann - sexuell.

Beziehungskonflikt als Ursache

"Da geht es weniger um Unlust als um einen tieferliegenden Beziehungskonflikt", betont der Therapeut. Vielleicht sind aber auch einfach nur die Bedürfnisse der beiden Partner unterschiedlich gelagert. Während er eine größeres Bedürfnis nach Sex hat, ist ihres nach Kuscheln stärker ausgeprägt. "Oder umgekehrt. Das gibt es ja auch." Da gehe es dann um die Frage: Was bedeutet es für den Einzelnen, Intimität zu leben? Was bedeutet es in der Partnerschaft? Wie gehen wir miteinander mit den unterschiedlichen Bedürfnissen um? Welche Alternativen stehen uns offen? "Da gibt es eine riesige Bandbreite an Möglichkeiten abseits des Geschlechtsverkehrs", sagt Gutschi. "Körperliche Nähe, Berührung, Zärtlichkeit ist ja nicht gleich Sex. Sehr oft wird das aber vermischt."

Die Suche nach einer Lösung

Insofern sei es ratsam zu eruieren, welche Bedürfnisse möglicherweise hinter dem nach Sex stecken. "Was will da ausgelebt werden? Was kann in der Beziehung gut gelebt werden? Und wie lässt es sich auf eine andere Ebene bringen?", stellt der Therapeut in den Raum. Kommen die Partner in puncto Sex trotz aller Bemühungen auf keinen grünen Zweig, muss nach anderen Wegen und Mitteln gesucht werden. Der Möglichkeiten gebe es viele, angefangen bei Selbstbefriedigung über Partnerspiele bis hin zu der Option, sich außerhalb der Beziehung zu holen, was man innerhalb vermisst. "Auch das ist eine Möglichkeit. Da braucht es dann aber auf jeden Fall psychologische Begleitung", betont der Therapeut. Sonst besteht die Gefahr, dass die Beziehung daran zerbricht.

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