Sepp Schellhorn: "Ich werde narrisch, wenn sich nichts rührt"

Vor einem Jahr verabschiedete sich der Hotelier Sepp Schellhorn aus der Politik. Doch die Politik lässt den ehemaligen Nationalratsabgeordneten der Neos nicht los. Er kritisiert die Untätigkeit der Regierung, warnt vor einer Protestwelle im Herbst und schließt eine Rückkehr in die Politik nicht mehr aus.

von Sepp Schellhorn © Bild: Ricardo Herrgott/News

Vor einem Jahr haben Sie sich aus der Politik verabschiedet. Seither hat sich viel verändert. Gibt es außer neuen Köpfen in der Regierung einen neuen Stil?
Personell hat sich einiges verändert. Aber der Gestaltungswille hat sich eher nach unten als nach oben entwickelt. Als Touristiker hätte ich mir gewünscht, dass sie aus den Fehlern der Coronazeit lernen. Aber es hat sich nichts geändert, außer dass es weniger Pressekonferenzen gibt und der jetzige Bundeskanzler mit anderen Dingen beschäftigt ist. Er redet anders. Aber der Inhalt ist noch schlimmer geworden.

Schlimmer weil?
Gerade jetzt brauchen wir etwas, das uns nach vorne bringt. Einen Plan, wie wir die Zukunft gestalten. Vor 25 Jahren hat es bei einer Familie gereicht, wenn der Mann arbeiten ging. Sie konnte sich ein Eigenheim schaffen. 2018 habe ich im Nationalrat gesagt, es müssen beide arbeiten, damit sie das Niveau halten. Jetzt müssen beide arbeiten und haben trotzdem weniger im Börsel. Darum wünsche ich mir eine mutigere Politik. Die Grünen und die Türkisen - die sind noch immer türkis, da sind noch immer die gleichen Schulsprecher drin, die noch nie gearbeitet haben - wissen nicht, was draußen los ist. Meine große Angst ist, wenn sie den Menschen nicht Hoffnung geben, haben wir bald noch mehr Leute auf der Straße. Dann werden die MfGler die Unzufriedenen abholen.

Was wäre notwendig?
Wenn ich in meinen Betrieben Vorstellungsgespräche führe, ist das niedrigste Gehalt für eine Fünf-Tage-Woche 2.800 Euro brutto. Dann höre ich oft: "Ich krieg so und so viel Arbeitslose, darf geringfügig dazuverdienen und wenn ich einmal in der Woche pfuschen gehe, habe ich auch 1.900 Euro." Das ist das, was netto übrig bleibt. Wir müssen erreichen, dass dem Mitarbeiter 2.200 Euro übrig bleiben.

Bei der Entlastung des Faktors wird oft eingewendet, mit den Abgaben würde der Sozialstaat finanziert.
Es kommt das Totschlagargument: "Ihr höhlt das Sozialsystem aus." Die Entlastung des Faktors Arbeit ist das größte Konjunkturprogramm. Es wird nie darüber nachgedacht, wo wir in Österreich effizienter werden könnten. Das macht mich wahnsinnig. Ich will ein vernünftiges Konzept. Auch in Sachen Transparenz. In den sieben Jahren, in denen ich im Parlament war, lag das Thema Transparenzdatenbank auf dem Tisch, wo manche gesagt haben, das schaffen wir technisch nicht. Die Chinesen landen auf der Rückseite des Mondes, und wir schaffen es technisch nicht, eine Transparenzdatenbank zu füllen. Das ist ein Armutszeugnis für Österreich. Schauen wir uns die Fördermodelle an: 2018 gab es für die E-Mobilität 33 Fördermodelle, in Deutschland nur drei. Da gibt es Doppelgleisigkeiten, die viel Geld kosten.

Sepp Schellhorn
© Ricardo Herrgott/News Sepp Schellhorn
»Frühstücksabgeordnete, die nur die Hand heben, sind mir total zuwider«

Müssten die Arbeitgeber lauter werden, damit Mitarbeiter mehr bekommen?
Man hört wenig aus der Wiedner Hauptstraße (Sitz der Wirtschaftskammer, Anm.). Ich vermisse das auch. Da drinnen muss wer sitzen, der von der Praxis etwas versteht. Frühstücksabgeordnete, die nur die Hand heben, sind mir total zuwider. Ich wünsche mir, dass es da drinnen eine laute Stimme gibt, die sagt: So funktioniert das nicht. Ein Beispiel: Im ländlichen Raum gibt es keine Kinderbetreuung. Als ich einen Betriebskindergarten wollte, hätte die Alleinerzieherin einen Sachbezug bezahlen müssen, weil ich einen geldwerten Vorteil schaffe. Diese Absurditäten gehören aufgeräumt. Wir sollten den U-Ausschuss im Parlament überdenken. Der gelernte Österreicher sagt sowieso: "Das war schon immer so. Alles wird parteipolitisch besetzt und sich die Jobs zugeschanzt, haben sie auch schon immer." Machen wir einen ständigen Ausschuss mit Experten, wie wir die Zukunft gestalten. Es geht um Geld, um das Klima und die Frage, wie wir miteinander leben wollen.

Die Doppelgleisigkeiten bei den Förderungen: Keiner will sein Füllhorn hergeben.
Die Hoffnung, dass Landesfürsten etwas hergeben, habe ich aufgegeben. Wären sie sich ihrer Verantwortung bewusst und würden nicht in Landesfürstenmanier Geld verteilen, müssten sie sich klarer fokussieren: damit die Kaufkraft gehalten wird, Arbeitsplätze geschaffen werden, es eine regionale Rot-Weiß-Rot-Karte gibt, nicht nur für Mangelberufe, sondern weil wir Zuwanderung wegen des Absinkens der demografischen Kurve brauchen. Es hat sich wie ein Schimmelpilz durch die Politik gefressen: Seit Corona machen die Länder, was sie wollen. Sie denken sich: Kurz ist weg, jetzt haben wir wieder mehr Einfluss. Das merkt man beim Bildungsminister aus der Steiermark, bei den ÖVP-Bünden. Der neue Landwirtschaftsminister sagt, er ist klarer Lobbyist für die Bauern und vergisst auf das Ganze, die ländliche Entwicklung. Ich höre aber niemanden aus der Wirtschaft. Es gibt auch niemanden. Das macht mich wütend.

Es gibt einen neuen Wirtschaftsminister: Martin Kocher.
Ja, ein "Super-Minister". Er hat die Fachkompetenz. Andererseits: Warum wir jetzt, bei einem Fachkräftemangel, neuerlich über Kurzarbeit reden - ich weiß nicht, ob er damit tatsächlich so eine große Freude hat, oder ob er da gefangen ist.

Wo glauben Sie werden wir in zwei, drei Jahren stehen?
Ich bin im Moment gar nicht so optimistisch. Es ist ein giftiges Bonbon, das wir jetzt lutschen. Wir leben zum Teil noch von den Hilfen und Unterstützungen und geraten gerade in die nächste Krise. Diesen Sommer fährt noch jeder auf Urlaub und denkt sich: "Nächsten Sommer können wir es uns vielleicht eh nicht mehr leisten." Solange wir dieses System mit Föderalismus, Förderalismus und hoher Belastung - eine der höchsten Belastungen auf den Faktor Arbeit in Europa - haben, sehe ich nicht schwarz, aber grau.

Generell oder im Tourismus?
Dienstleister haben generell einen schweren Stand. Man kann hier nicht rationalisieren. Die Ansprüche werden immer größer. Da braucht es andere Systeme. Irgendwann müssen auch die Arbeitnehmervertretungen aufwachen und sagen: "Es ist nicht so schlecht, am Samstag und Sonntag zu arbeiten." Die Freizeitgesellschaft will immer mehr und die Dienstleistungsgesellschaft wird immer weniger. Da muss man gegensteuern.

SPÖ und Gewerkschaft fordern die Vier-Tage-Woche.
Das sind Leute, die noch nie in einem Betrieb waren. Ich würde mir Vorschläge erwarten, nicht immer nur reinhauen. Was darf ich für mein Schnitzel verlangen? Die Arbeiterkammer macht ja immer Preisvergleiche. Was wäre, wenn die gesamte Tourismusbranche, die Freizeitbranche am Samstag und Sonntag zu hätten? Was würden die Arbeitnehmervertreter da sagen? Die Sonntagsarbeit ist unsere Neutralitätsdebatte. Dabei arbeiten ohnehin schon 30 Prozent am Wochenende. Was regt man sich da noch auf? In meiner Branche wird sich vieles tun. Die Wertschöpfung wird sich dramatisch senken. Wir haben einen großen Verdrängungswettbewerb. Die Preisschlacht für den Sommer setzt schon ein. Alle fahren - verständlicherweise -noch einmal ans Meer, weil wir es uns dann nicht mehr leisten können.

Was heißt das für das Tourismusland Österreich?
Vor Corona hatten wir 150 Millionen Nächtigungen. Von denen müssen wir uns verabschieden. Mir fehlen die Vorgaben und Konzepte der Politik. Wir müssen den Markt von Überkapazitäten befreien. Es gibt 40.000 Gästebetten zu viel. In den nächsten Jahren stehen 5.000 Betriebe im Tourismus zur Übergabe an. Gernot Blümel hat das verstanden und daran gearbeitet, dass wir den Betrieben das Zusperren ermöglichen. Er konnte es nicht mehr umsetzen.

Wenn Sie auf die Skandale blicken, die in der Politik - vor allem um die ÖVP -aufpoppen. Gerät da die ganze Berufsgruppe in Verruf?
Mit Bedauern stelle ich fest, dass ich nicht mehr in der Politik bin. Die Causa Thomas Schmid - 2017 hat mir kein Journalist geglaubt, aber es macht mich stolz, dass ich aufgezeigt habe, dass er sich für die ÖBAG die Ausschreibung, das Gesetz, den Aufsichtsrat alles selber macht. Ich glaube, es gibt schon einen Zusammenhang zwischen der Fülle meiner Finanz-und Betriebsprüfungen und Herrn Schmid.

Sepp Schellhorn
© Ricardo Herrgott/News

Die Prüfer wurden gezielt zu Ihnen geschickt?
Bei der letzten Prüfung wurde mir gesagt, man wüsste auch nicht warum. Aber, wenn ich nicht an die Presse gehe, ist man kulant. Ich hab darauf gesagt: Kulant muss man nur sein, wenn ich eine Gesetzesübertretung begangen hätte.

Seither gab es keine Prüfung?
Nein. Aber ich freu mich jetzt auf jede Prüfung, weil ich so durchgecheckt bin. Aber zum Bild des Politikers: Unfair ist, ich kann da als Unternehmer nur dabei sein, weil ich aus dem Tourismus komme. Die Politik macht an Wochenenden und in den Ferien Pause, da konnte ich in meinen Betrieben sein. Bei einem Installateur ginge das nicht. Die anderen sitzen drinnen, sind karenziert und haben ihren sicheren Job. Ich hab in der Coronazeit schlecht geschlafen, weil ich nicht gewusst hab, wie es weitergeht. Per se kann man nicht auf das Politikerbild schimpfen.

Aber es wird immer schwieriger, "normale" Menschen zu finden, ...
..., die den Glauben daran haben.

Sie haben ja selbst gesagt: "Es geht nicht mehr."
Ich war fertig. Wenn man es ernst nimmt, ist es eine Welthack'n. Auch bei der Regierung - es heißt immer, die verdienen zu viel. In der Wirtschaft verdient man viel mehr. Die arbeiten sieben Tage die Wo che, es ist eine hohe Belastung. Es kommt halt darauf an, was man aus der Ministerrolle macht. Ob es danach für mich einen Weg gibt, sich weiterzuentwickeln -nicht nur bei Gazprom oder sonstigem. Ich bin stolz darauf, dass ich mir in der Politik jede Rechnung selbst bezahlt hab. Ich habe mich nirgends einladen müssen.

Es klingt so, als täte es Ihnen leid, aufgehört zu haben.
Am Anfang war ich wahnsinnig froh, dass der Druck weg war. Ich habe auch diesen Hass und dieses Gift in der Politik nicht mehr ertragen. Dann ist der Herbst gekommen und die Chats wurden bekannt, dann beginnt man wieder zu überlegen. Politik ist wie eine Droge. Sie erfasst dich wieder, sobald du daran ziehst. Seither tu ich wieder ein bissl twittern und beschäftige mich damit. Ich würde schon, aber ich kann nicht, weil ich mich um meine Betriebe kümmern muss.

Aber die wollen Sie ja in mittlerer Zukunft übergeben.
2023. Im November.

Dann wären Sie wieder frei.
Mal schauen. Ich bin ein politischer Mensch. Ich werde narrisch, wenn sich nichts rührt und wenn ich diesen Stillstand anschaue. Von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr wird es schlimmer.

Inzwischen melden sich in ÖVP und SPÖ wieder Fans der ehemals Großen Koalition zu Wort. Dann wäre es nichts mit der Ampel aus SPÖ, Neos und Grünen.
Mein erster Gedanke dazu ist: Stillstand. Mein zweiter: Ich habe im Nationalrat mitverfolgt, dass es so einen tiefen Hass der ÖVP auf die SPÖ gibt - da müsste man die ganze ÖVP-Riege austauschen oder ihren Genpool verändern. Neos haben sich ja gegründet, weil wir diesen Stillstand nicht mehr wollten. Unsere Kernthemen: Unternehmertum, Generationengerechtigkeit -man wird wohl nicht glauben, dass SPÖ und ÖVP wirklich an einer Pensionsreform interessiert sind -und Bildung. Heute sehe ich so viele Baustellen auf den Straßen wie noch nie, aber keinen einzigen Schulneubau. Man regt sich immer über die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie auf, aber in den Lehrerzimmern ist es noch viel schlimmer. Ich glaube nicht, dass so eine Koalition ein Interesse hätte, das zu ändern.

Für die SPÖ wäre es vielleicht bequemer, als sich mit zwei kleinen Parteien zu einigen.
Beim regulären Wahltermin 2024 werden wir fast vier Jahre Krise hinter uns haben. Dann muss man darüber nachdenken, wie man eine Verfassungsmehrheit für die großen Reformen schafft, die es geben muss. Es wird dann weniger Unternehmer geben, auch weil viele wegen des Fachkräftemangels aufhören werden. Inzwischen verteidigt die Wirtschaftskammer immer noch eine falsch aufgesetzte Lehrlingsausbildung. In Wahrheit muss man sagen: Die SPÖ lebt in den Arbeitswelten des 20. Jahrhunderts und ist nur für eine kleine Klientel da, die Gewerkschaftsvertreter im Parlament. Die ÖVP ist für die Bauern da und für die Beamten. Aber für die Wirtschaft ist keiner da. Es gibt für die Klein- und Mittelbetriebe Worthülsen aber keine Entlastung. Ich unterstelle, die ÖVP hat die Chuzpe und denkt, in der Wahlzelle wählen die Unternehmer immer noch das geringste Übel.

Die laut Selbstdefinition "Wirtschaftspartei" ÖVP?
Genau. Ich bin am Land groß geworden. Ich war für den Wirtschaftsbund in der Gemeinde. Aber im Moment habe ich eine tiefe Abneigung, weil ich merke, das einzige, was der ÖVP wichtig ist, sind Vereine. Es gab ja sogar ein Ministerium für Vereine, gefördert wurde von der Landjugend bis um Ehrenamt. Das ist die Stimmenbasis für die ÖVP am Land.

Würden Sie den Neos von einer Koalition mit ÖVP-Beteiligung abraten?
Ich würde dazu erst eine Antwort geben, wenn ich wieder kandidieren würde. Wenn mich Beate Meinl-Reisinger oder Niki Scherak, wer immer an der Spitze ist, mich fragen, ob ich wieder mittun würde. Jetzt spreche ich als Unternehmer. Wirtschaftskompetenz haben weder SPÖ noch Grüne. So gesehen wäre meine Präferenz die ÖVP - wiewohl, ich sagen muss, sie braucht einen reinigenden Prozess.

Sepp Schellhorn
© Ricardo Herrgott/News

Besonders ermutigend ist das Bild, das Sie von der Zukunft zeichnen, nicht.
Ich bin Realist. Und ich habe Einblick in die Politik. Ich habe erlebt, wie frustrierend es für einen Oppositionspolitiker ist, wenn Veränderungsvorschläge mittlerweile ohne Debatte vertragt werden. Da weiß man, diese politische Kaste hat kein Interesse an einer Verbesserung. Ich bin ja vor allem Steuerzahler, mit Herzblut Österreicher, und werde einfach wütend, wenn nichts passiert. Ich wünsche mir Zukunftskonzepte. Wo wollen wir stehen, was müssen wir tun, um diese Ziele zu erreichen? Haben Sie dazu etwas gehört in letzter Zeit? Nein. Ich verstehe ja, dass das derzeit eine außergewöhnliche Situation ist. Aber ich verstehe nicht, dass wir nicht einmal darüber reden. Dass die Regierung nur reagiert und nicht agiert. Wenn ich meinen Mitarbeitern Hoffnung geben will, muss ich sagen, was wir erreichen wollen. Ich muss auch klar und deutlich sagen, wenn es manchmal mies läuft. Österreich ist zwar kein Unternehmen, aber die Menschen lechzen, nicht nach einem Führer, sondern nach Hoffnung und Visionen.

Die Wählerinnen und Wähler hätten es ja in der Hand. Warum passiert nichts?
Die Nichtwählerschaft wächst. Da wollte man keine Neuwahlen wegen den MfGlern, die absurde Dinge von sich geben und kein Konzept haben, und gleichzeitig treibt man ihnen die Frustrierten in die Arme.

»Wir orientieren uns nicht an den Besten, sondern geben uns mit dem Mittelmaß zufrieden«

Was macht es mit einem Land wie Österreich, dessen Selbstverständnis lautet: "Die Berge sind hoch, die Luft sauber, die Seen die schönsten und tendenziell sind wir sowieso besser als die Deutschen"?
Wir sinken immer mehr ab. Das merkt man ja auch. Zu Zeiten der Monarchie hat man gesagt: "Ungarn hat die Agrarflächen, Tschechien die Techniker und wir haben die Bürokratie." Das ist so geblieben. Wir sind sehr genügsam und denken uns immer: "Das passt schon. Das geht schon irgendwie. Irgendwer zahlt schon die Rechnung." Aber niemand macht sich über die Folgekosten Gedanken. Wir haben nicht den Ansporn, bei der Digitalisierung so gut wie Estland zu sein, beim Sozialen so gut wie Schweden, die dabei auch noch ein höheres Pensionsantrittsalter haben. Wir orientieren uns nicht an den Besten, sondern geben uns mit dem Mittelmaß zufrieden. So wie Antonio Salieri nicht Mozart werden konnte. Das war der Schutzpatron der Mittelmäßigen. Wir müssen froh sein, wenn wir noch mittelmäßig sind. Das ist eine Mentalitätsfrage.

Und deswegen gibt es auch keine Proteste gegen die herrschenden Zustände?
Die Unternehmer haben ja gar keine Zeit, weil sie mit der täglichen Bürokratie, dem Fachkräftemangel, den hohen Belastungen für den Faktor Arbeit und mit dem Rohstoffmangel beschäftigt sind. Die wollen nur noch überleben. Darum frage ich mich, was macht eigentlich die Wirtschaftskammer? Die größte Aktion war, dass sie Uber abgedreht haben. Sonst ist mir nichts eingefallen. Die Kammer zur gewerblichen Verhinderung. Die schauen einfach auf ihre Innungsmeister, da kommt ein bissl Geld rein, das können sie dann ein bissl verteilen. Ein bissl Vorfeldorganisation sein. Das macht sie wichtig. Aber das ist nicht zum Wohle der Unternehmer.

Als Sozialpartner meldet sie sich aber lautstark zu Wort.
Darum fürchte ich mich vor einer großen Koalition. Ich bin in einem liberal-konservativen Haus erzogen worden. Ich war aktiv in der Hoteliervereinigung, einer freien Vertretung. Da habe ich gesehen, wie ein kleines Lotsenboot den Tanker in die richtige Richtung zieht. Ich würde mir wünschen, dass man, bevor die Katastrophe passiert und der Protest auf der Straße ist, reagiert. Die Politik tut das jetzt nicht. Es kann nicht das Argument der Grünen sein: "Seid's froh, dass wir da sind, weil sonst wäre die FPÖ in der Regierung." Die werden wohl noch eine andere Verantwortung haben.

Rechnen Sie mit großen Streits und Demos?
Die Große Koalition hat sich immer damit gerühmt, dass der soziale Friede gewahrt wurde. Aber ich merke, mit den Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern kommt ein enormes Potenzial, wenn man, etwa bei der Teuerung, nicht reagiert.

Es gärt?
Es wird viele Menschen geben, die sich einfach zurückgelassen fühlen. Das beste Rezept jetzt wäre, wenn die Menschen mehr netto von ihrem Gehalt bekommen. Dann muss ich schauen, welches Potenzial haben wir, wie kann ich das gegenfinanzieren, gehe zu den Ländern und regle das über den Finanzausgleich. Der frühere Finanzminister Schelling hat gesagt: "Wir leben in einem Land, wo jeder für etwas zuständig ist, aber keiner für etwas verantwortlich." Diese Verantwortlichen muss man jetzt einbeziehen.

Sehen die das Problem nicht, wollen sie es nicht sehen?
Sie sehen es. Aber, man hat es ja in der Coronapolitik gesehen, wie die Länder agiert haben. Diesen Föderalismus weiter an der Herz-Lungen-Maschine zu halten, ist einer der größten Fehler. Er behindert die großen Reformen. Man muss sich über Schattenregierungen wie die Landeshauptleutekonferenz Gedanken machen. Wozu brauchen wir einen Bundesrat, wenn die Länder nicht die Besten reinschicken?

Reicht eh, reicht nicht mehr.
Genau. Das ist bis jetzt gegangen. Spätestens im Herbst geht das nicht mehr.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 24/2022 erschienen.