Wunsch nach Veränderung und Ausländerthema entscheidend

Plasser/Sommer-Studie - Auch taktische Erwägungen wichtig

Der Wunsch nach Veränderung bzw. Überwindung des Stillstandes und das Ausländerthema waren gemeinsam mit koalitionstaktischen Überlegungen die entscheidenden Faktoren für die Nationalratswahl vom Sonntag. Das geht aus einer Untersuchung der Sozialwissenschafter Fritz Plasser und Franz Sommer hervor, für die von 11. bis 14. Oktober 2.000 deklarierte Wähler online befragt wurden.

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Nationalratswahl - Wunsch nach Veränderung und Ausländerthema entscheidend

Mehr als ein Drittel der Wähler haben sich am Sonntag für eine andere Partei entschieden als noch vor vier Jahren, erläuterte Plasser am Dienstag die Ergebnisse in einer Pressekonferenz. Das ist der bisher höchste Wechselwähleranteil. Nur ein Drittel der Wähler stehen einer bestimmten Partei auch gefühlsmäßig noch nahe. Mit zwei Drittel war der Anteil der parteiungebundenen Wähler damit ebenso der bisher größte.

Auch der Anteil der Spätentschlossenen (last minute deciders) war bei dieser Wahl so groß wie nie zuvor. Etwa jeder Fünfte hat sich erst in den letzten Tagen vor der Wahl definitiv für eine Partei entschieden. Insgesamt hat sich jeder dritte Wähler erst in den letzten zwei Wochen vor dem Wahltag definitiv festgelegt. Von den Wechselwählern hat sich jeder Zweite erst knapp vor dem Wahltag entschieden, diesmal eine andere Partei zu wählen.

Plasser nannte drei wahlentscheidende Faktoren: Zum einen den Wunsch nach Erneuerung und Überwindung des politischen Stillstandes. Diese Stimmungslage habe vor allem ÖVP-Obmann Sebastian Kurz repräsentiert und das war auch ein zentrales Motiv seiner Wähler. Das Megathema der Wahl war Migration und Integration. Kein anderes Thema habe so wie dieses mobilisiert und emotionalisiert. Und drittens haben auch koalitionstaktische Überlegungen eine so große Rolle gespielt wie bei noch keiner anderen Wahl zuvor.

Probleme mit Flüchtlingen, Asylwerbern und Zuwanderern

Die politische Großwetterlage hat sich im Vergleich zu früheren Wahl stark verändert. Plasser verwies darauf, dass 2013 noch 53 Prozent der Meinung waren, dass sich das Land in die richtige Richtung entwickle, nun glauben 69 Prozent, dass es in die falsche Richtung gehe. Während vor vier Jahren nur vier Prozent die politischen Fehlentwicklungen vor allem auf das Ausländerthema zurückführten, waren es jetzt schon 44 Prozent.

Jedem zweiten Wähler bereiteten die Probleme mit Flüchtlingen, Asylwerbern und Zuwanderern persönlich ernste Sorgen. Unter diesen Wählern erhielt die FPÖ die meisten Stimmen (41 Prozent). Auch die ÖVP konnte hier punkten. Von jenem Viertel der Wähler, die schon negative Erfahrungen mit Ausländern gemacht haben, wählten 48 Prozent die FPÖ und 32 Prozent die ÖVP. Die SPÖ-Wähler erachteten vor allem konkrete soziale Alltagsprobleme als wichtig, diese spielten aber bei dieser Wahl eine untergeordnete Rolle.

Die Entspannung beim Zuzug von Flüchtlingen hat sich bisher noch nicht niedergeschlagen - im Gegenteil. Während im Spätherbst 2015 noch 45 Prozent glaubten, dass Österreich noch weitere Flüchtlinge aufnehmen könne, sahen jetzt nur mehr 17 Prozent noch Aufnahmekapazitäten.

Die Person Sebastian Kurz

Bei den ÖVP-Wählern standen die Persönlichkeit von Sebastian Kurz und die Hoffnung auf Veränderung und Überwindung des Stillstandes im Mittelpunkt der Wahlmotive. Bei der SPÖ und auch bei den Grünen war die Verhinderung von Schwarz-Blau wichtig. Die FPÖ wählte jeder dritte Wähler wegen ihrer Ausländerpolitik. Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache war nur für drei Prozent das ausschlaggebende Motiv. Bei der Liste Pilz hat am meisten das Kontroll- und Aufdecker-Argument gezogen. Von jenen, die schon 2013 die NEOS gewählt haben, entschieden sich 46 Prozent diesmal wieder für die Partei wegen Spitzenkandidat Matthias Strolz.

Bei der unmittelbar vor der Wahl durchgeführten Umfrage traten nur noch 15 Prozent für eine weitere Koalition aus SPÖ und ÖVP ein, in den 90er-Jahren waren es noch 60 bis 70 Prozent. 38 Prozent wollten hingegen eine Zusammenarbeit von ÖVP und FPÖ. Unter den ÖVP-Wählern waren 50 Prozent für Schwarz-Blau, unter den FPÖ-Wählern 53 Prozent für Blau-Schwarz und weitere 26 Prozent für Schwarz-Blau. Rot-Blau wünschten sich vor der Wahl nur 21 Prozent der SPÖ- und neun Prozent der FPÖ-Wähler.