"Ich brauche keinen
Bundeskanzler mehr"

Wir werden immer älter. Dieser demografische Wandel beeinflusst zunehmend demokratische Entscheidungen der westlichen Gesellschaft. Senioren stellen auch bei der bevorstehenden Nationalratswahl in Österreich eine wichtige Wählergruppe. Dabei denken sie hauptsächlich an die jüngere Generation.

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Die Melange kommt standesgemäß mit Schlagobers. Kuchen und Strudel locken nicht nur Touristen, sondern vor allem Senioren in die Konditorei Aida in der Singerstraße. Direkt neben dem Stephansdom treffen sich hier hauptsächlich ältere Damen und Herren zum Plausch. Sie sitzen oft alleine an einem der runden Marmortische im oberen Stock und lesen Zeitung. Manchmal trifft man geschminkte und frisierte Damen zu zweit, oder zu dritt an. Rosa Mayr und Anna Kucera treffen sich hier immer dienstags. Anna Kucera wünscht sich einen jungen Bundeskanzler, der ihre Söhne besser versteht, „ich bin ja in ein paar Jahren tot, für mich brauche ich keinen Bundeskanzler mehr.“ Auch Rosa Mayr denkt mit ihrer politischen Entscheidung an ihre Kinder und Enkelkinder. Dennoch ist sie ihr Leben lang einer Partei treu geblieben – eine Eigenschaft, die in der Wählergruppe 60 plus häufig anzutreffen ist.

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Florian Oberhuber vom Sozialforschungsinstitut SORA beobachtet, dass ältere im Vergleich zu jüngeren Wählern ein traditionelleres Politikverständnis haben. „Dieses Verständnis ist stark auf Wahlen, Volksbefragungen und Ähnliches ausgerichtet. Die Beteiligung in anderen Formen wie Petitionen, Engagement in Nicht-Regierungs-Organisationen oder etwa der Besuch von Demonstrationen ist allerdings weniger ausgeprägt“, erklärt Oberhuber. Grundsätzlich sei das Interesse an der Politik in dieser Altersgruppe jedenfalls deutlich erhöht. Ein direkter Schluss auf eine höhere Wahlbeteiligung lasse sich dadurch aber nicht allgemein ableiten, so Oberhuber. Immerhin macht die Wählergruppe „60 plus“ 31 Prozent der rund 6,4 Millionen Wahlberechtigten aus.

„Wie Hund und Katz“

Maria Löschl, Pensionistin und Leih-oma, genießt ein Wiener Frühstück in der rosarot tapezierten Konditorei am Stephansplatz. Sie hat sich ihr Leben lang politisch engagiert und ist stolz darauf. „Trotzdem finde ich die Politik jetzt nicht mehr schön“, so Löschl. Früher habe man freundschaftlich zusammengearbeitet, heute gehe es zu wie zwischen „Hund und Katz“. Sie weiß, dass sogar ihre Freunde in Australien darüber lachen und findet dies für Österreich unwürdig. Nicht nur Maria Löschl, sondern alle anderen befragten Damen und Herren beklagen den feindlichen Umgang: „Generell interessiere ich mich sehr für Politik, aber im Moment weiß ich nicht, was ich davon halten soll“, meint Maria Walka, Pensionistin aus Wien. Ihr Mann, Karl Walka fordert von den Politikern, „dass sie endlich einmal was arbeiten und sich nicht gegenseitig bekämpfen.“

Jugend vor Alter

1,6 Millionen Menschen sind laut Statistik Austria 65 Jahre oder älter. 2030 sollen es bereits über 2 Millionen sein. Pensionsreformen und Pflegeregress werden in Anbetracht dieser Zahlen nicht nur während des Wahlkampfes heiß diskutiert. Die Gunst der davon betroffenen Wähler hat schon Abstimmungen, wie beispielsweise den EU-Austritt Großbritanniens entschieden: 61 Prozent der plus 65-jährigen haben für den Brexit gestimmt. Bei einer Wahlbeteiligung von 83 Prozent, eine mächtige Entscheidung. Auch im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf haben 53 Prozent der Wähler ab 65 für Donald Trump gestimmt. Auch bei der vergangenen Bundestagswahl in Deutschland war die Wahlbeteiligung der über 60-jährigen mit 36,6 Prozent höher, als je zuvor.

In der österreichischen Nationalratswahl 2013 haben 33 Prozent der über 60-jährigen ihre Stimme der SPÖ, 30 Prozent der ÖVP gegeben. Bei den unter 29-jährigen waren hingegen FPÖ mit 22 und ÖVP mit 21 Prozent beliebt. Besonders die Grünen verzeichneten bei den Jungen viermal mehr Stimmen, als bei den Alten.

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Trotz der Unterschiede behaupten die befragten Senioren, ihre Wahlentscheidung würde hauptsächlich im Hinblick auf die jüngere Generation fallen. Man müsse mehr für die Jugend tun, die Wirtschaft stärken und sich für Schulwesen und Bildung stark machen, so der Tenor. Von Pensionen oder Gesundheitspolitik ist kaum die Rede. „Ich bin schon so weit, dass es für mich nicht mehr relevant ist “, meint auch Maria Löschl, aber für die Jugend müsse eindeutig mehr getan werden. In dieser Hinsicht sind sich junge und alte Wähler wohl einig.