Rhetorik-Analyse: Die Sprach-
Kniffe der 6 Spitzenkandidaten

Zumindest 34 Fernseh-Diskussionen stehen den Österreichern im aktuellen Wahlkampf bevor, bei denen die Spitzenkandidaten ihre Programme und Standpunkte vorstellen werden. Doch worauf kommt es dabei an? Sind Tonfall und Körpersprache wichtiger als die Wörter selbst? Ist die Form entscheidender als der Inhalt einer Rede?

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Nationalratswahl 2019 - Rhetorik-Analyse: Die Sprach-
Kniffe der 6 Spitzenkandidaten

Eine wissenschaftlich belegte Antwort gibt es darauf nicht. Fakt ist, dass alle Politiker mit kommunikativen Tricks arbeiten. Wie man seine Rede gut verpackt und wo häufig Fehler passieren, weiß Kommunikations- und Verhaltens-Profilerin Tatjana Lackner und Gründerin von "Die Schule des Sprechens". Sie hat die Rhetorik von Sebastian Kurz, Pamela Rendi-Wagner, Norbert Hofer, Beate Meinl-Reisinger, Werner Kogler und Maria Stern vorab analysiert

1. Sebastian Kurz - "Der unaufgeregte Ex-Kanzler"

Dem ÖVP-Spitzenkandidaten attestiert Lackner ein unaufgeregtes Sprachmuster aus dem höflichen Erwachsenen-Ich, das mit Storytelling und Frames arbeitet. Zu seinen Kernaussagen zähle, was die Bürger wollen. Dazu verwende er gute Paraphrasen und Anaphern. Er könne mit seiner Ursachen- und Wirkungsrhetorik punkten. Seine stimmlichen Gickser jedoch würden manchmal befremdlich wirken, wenn er seine Obertöne stärker einsetzt.

2. Pamela Rendi-Wagner - "Die echauffierte Angreiferin"

Im Gegensatz zu Kurz spreche SPÖ-Chefin Rendi-Wagner aus einem bevormundenden und warnenden Eltern-Ich. Sie verwende überwiegend Stehsätze und Beteuerungsvokabel in einer bildleeren Sprache. Für Lackner wirkt die SPÖ-Spitzenkandidatin durch die Verwendung der breiten Kiefersperre schmallippig. In ihrem Bestreben, nachdrücklich zu argumentieren, erinnert sie an einen mahnenden Lehrer-Typus. So zählen Formulierungen wie „ganz, ganz viel“ oder „wirklich wichtig“ zu ihrem rhetorischen Repertoire. Auffällig sind die hörbare Schnappatmung sowie die falsche Betonung von Endungen. Zudem verkürze sie lange Vokale oder zerdehnt diese.

3. Norbert Hofer - "Der gewiefte Verhamloser"

Die Rhetorik des FPÖ-Spitzenkandidaten Hofer kommt laut Sprachexpertin aus dem angepassten Kinder-Ich. "Er spricht meist ruhig und sanft, bildet einfache Hauptsätze und selten Redefiguren". Sein Denglish (Mischung aus Deutsch und Englisch) mute häufig befremdlich und nicht authentisch an. Als Verharmloser spricht er die Befindlichkeiten des Gesprächspartners gewieft an und zeige sich gerne als nettes Gegenüber. Sätze wie „Herr Doktor, Sie sind heute so böse“ zählen zu seinem üblichen Sprachmuster und sollen seine Rolle untermauern.

4. Beate Meinl-Reisinger - "Das trotzige Kind"

Die NEOS-Frontfrau bewege sich sprachlich zwischen dem zurechtweisenden Eltern-Ich und dem kecken Kinder-Ich. Ihre gute eingesetzte Mundmimik mit geschürzten Lippen lasse sie sympathisch wirken. Viele „Ähhhs“ und offene Vokale kennzeichnen ihre Sprache. Durch ihren Chiasmus (kreuzweise Anordnung von entgegengesetzten Teilsätzen in Parallelsätzen) hebt sie Antithesen hervor und macht Formulierungen prägnanter. Trotz inhaltlicher Redundanzen arbeitet sie gekonnt mit Inhalts- und Ordnungssätzen, attesiert die Expertin.

5. Werner Kogler - "Der authentische Steirer"

"Paradoxe Interventionen und „flotte Sager“ lassen den Spitzenkandidaten der Grünen witzig erscheinen", beurteilt Tatjana Lackner. So sage er über den Wahlerfolg der Grünen: „Das war das größte Comeback seit Lazarus“. Er spricht aus dem trotzigen Kinder-Ich, wirke durch seine steirischen Dialekteinflüsse authentisch. Manchmal würde er leicht nuschelt und es passieren auch ihm „Ähhs“, dennoch wirke er volksnah. Dass er politische Mitbewerber gelegentlich lobt, würde letztendlich ihm zu gute kommen - denn das wirke sympathisch..

6. Maria Stern - "Die Unbeholfene"

Jetzt-Spitzenkandidatin Stern neige zu verkürzten und moralisierenden Stehsätzen. Dennoch verwendet sie Analogien. Als Schauspielerin habe die gutaussehende Politikerin gute Stimmführung gelernt, die jedoch manchmal verhaucht klingt. "Rhetorisch wirkt weinerlicher Rededuktus oft unbeholfen. Die bedeutungsschwangere Betonung und gezischelte S-Laute nehmen ihren Aussagen gelegentlich die Wirkung", analysiert Lackner. Auffällig sei die gemeinsame Verwendung von Namen mit Artikeln beispielsweise in Sätzen wie „Der Sebastian Kurz traut sich nicht in Live-Debatten zu gehen.“

© Tatjana Lackner/ Die Schule des Sprechens Sprachexpertin Tatjana Lackner

Zur Person
Sprachexpertin Tatjana Lackner gründete 1994 "Die Schule des Sprechens". Es ist eine privatwirtschaftliche Ausbildungseinrichtung für Kommunikationsstrategien und Sprecherausbildungen. 46 Experten unterrichten und coachen in sieben Abteilungen. Lackner ist zudem Autorin zahlreicher Bücher („Business-Rhetorik to go: Sprechen 4.0“, „Rede Diät – So halten Sie Ihre Rhetorik schlank“ oder „Be Boss – 33 Stolpersteine beim Führen und Kommunizieren“) sowie Vortragende und Gastdozentin unter anderem an der FH Campus, FH WKW, Wirtschaftsuniversität Wien, Universität Wien oder Donau Universität Krems.