Long Covid: Wenn man einfach nicht gesund wird

Wie sich das Erkrankungsbild äußert, wo man sich hinwenden kann und wie es therapierbar ist

Long Covid ist, wenn man nach einer Corona-Erkrankung nicht wieder ganz gesund wird. Doch wie genau äußert sich dieses Erkrankungsbild, wo können sich Betroffene hinwenden, und welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

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News hörte sich unter Fachleuten um. Sie klären nicht nur auf, sondern warnen auch vor Long Covid: Obwohl Tausende Menschen betroffen sind, gibt es noch zu wenig Bewusstsein dafür, auch bei vielen Haus-und Fachärzten. Doch es braucht rechtzeitig eine Therapie, damit beispielsweise aus einem ständigen Müdigkeitsgefühl kein chronisches Fatigue-Syndrom wird. Gesundheitsbehörden müssten klare Richtlinien ausarbeiten.

Viele junge Menschen betroffen

Das erste Mal seit 25 Jahren sehe ich einen Menschen bei der Tür hereinkommen, und ich habe kein Gefühl für ihn. Ich kann nicht vorhersagen, wie es ihm geht. Der Blick auf den Menschen ist ein völlig anderer geworden: Man muss nun sehr genau hinsehen", sagt Ralf Harun Zwick. Der Pneumologe leitet die ambulante Rehabilitation in der Therme Wien Med in Oberlaa. Er gehört zu jenen Ärzten, die sich schon sehr früh mit dem neuen Krankheitsbild Long Covid auseinandergesetzt haben. Er sah, dass es da nun plötzlich viele junge, zuvor sehr fitte Menschen gab, die nach kleinsten Belastungen Atemprobleme bekommen, die ständig erschöpft sind, die Therapie brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen.

Eigenes Reha-Programm entwickelt

Deshalb entwickelte Zwick ein auf diese Patientengruppe zugeschnittenes ambulantes Rehabilitationsprogramm. Die wichtigste Leitlinie: Weniger ist mehr. Pacing nennt man einen Therapieansatz, bei dem bewusst nur auf wenigen Prozent des aktuellen Fitnesslevels trainiert wird. Damit erzielt Zwick gute Erfolge. Inzwischen gibt es für seine ambulante Reha eine lange Warteliste. Denn immer mehr Menschen werden nach einer Covid-19-Infektion nicht mehr wirklich gesund.

Schwierige Diagnose

Das Phänomen kenne man auch nach anderen Viruserkrankungen, sagt der Neurologe Michael Stingl. Er hatte sich schon vor der aktuellen Pandemie intensiv mit dem Chronic Fatigue Syndrome befasst. Nun gehört er wie Zwick in seinem Fachgebiet zu den Vorreitern bei der Behandlung von Menschen, die unter Long Covid leiden. Was hier in der medizinischen Praxis schwierig sei: Es gebe nicht den einen Biomarker, beispielsweise einen Blutwert, der zeige, dass ein Patient von dieser Erkrankung betroffen ist. Die möglichen Symptome sind vielfältig, die Diagnose erfolgt nach dem Ausschluss anderer Krankheitsbilder, vor allem aber erfolgt sie nach ausgiebigem Zuhören. Gerade dafür ist im Ärztealltag heute aber oft wenig Zeit. Daher würden solche Patienten derzeit noch zu oft ins psychosomatische Eck geschoben.

Typische Symptome

Doch dort gehören sie rasch herausgeholt: Denn sowohl Zwick als auch Stingl betonen: Wird an Long Covid Leidenden nicht geholfen, drohen manche der Symptome, chronisch zu werden, etwa das Gefühl von Erschöpfung und die überbordende Müdigkeit.

Anlaufzentren gefordert

Es wäre daher auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive wichtig, sich dieser Patienten anzunehmen. Dazu brauche es Anlaufzentren, in denen ein multidisziplinäres Team abklärt, ob Betroffene unter Long Covid leiden, eine Diagnose, die übrigens erst diesen Februar mit einem ICDCode -International Classification of Disease - kategorisiert wurde, wie die Kardiologin Mariann Gyöngyösi von der Medizinischen Universität Wien erklärt. Sie leitet die inzwischen am AKH Wien/der MedUni Wien eröffnete Long-Covid-Ambulanz.

Ab wann spricht man von Long Covid?

Was aber sind nun die konkreten Symptome dieser Erkrankung? Und wie lange müssen sie bestehen, damit man von Long Covid (teils auch Post Covid Syndrome genannt) sprechen kann? "Long Covid sind Symptome, die im Zusammenhang mit der Covid-19-Infektion entstehen, dann für über zwölf Wochen anhalten und durch andere Diagnosen oder Ursachen nicht erklärbar sind", sagt Gyöngyösi. "Die meisten Patienten klagen über Schwächegefühl, Müdigkeit, Kreislaufschwäche, Kurzatmigkeit, Husten, Brustschmerzen, Palpitationen, Neuropathie, kognitive Beeinträchtigung", zählt Gyöngyösi auf. Insgesamt seien in der wissenschaftlichen Literatur aber bereits mehr als 100 verschiedene Symptome, ausgehend von mehreren Organsystemen, beschrieben worden -deshalb bezeichne man Long Covid auch als Multiorganerkrankung.

Ab wann sollte man handeln?

Wer also an Covid-19 erkrankt ist, sollte zunächst auf Ruhe setzen und abwarten, ob sich der Allgemeinzustand von alleine verbessert. Innerhalb der ersten drei Monate seien die durch die Coronavirusinfektion verursachten Symptome meistens reversibel. Nach dem Ablauf dieser zwölf Wochen gilt es dann aber, zu handeln. Erste Anlaufstation sollte dabei der Hausarzt sein. Dieser sollte dann eine Blutabnahme machen lassen, ein EKG schreiben, den Blutdruck und die Sauerstoffsättigung messen. Sollte hier etwas gefunden werden, was nicht im normalen Bereich ist, etwa erhöhte Entzündungswerte oder andere pathologische Parameter im Blut, die auf Veränderungen beispielsweise in Leber, Lunge oder Herz hinweisen, rät Gyöngyösi zur Überweisung zum Facharzt. Je nach Auffälligkeit kann das ein Kardiologie, ein Lungenfacharzt oder auch ein Neurologe sein. Letzterer kann vor allem jenen helfen, bei denen all die zuvor genannten Untersuchungen ergebnislos blieben.

Appell an Krankenkassen

Stichwort Ergebnis: Zwick weist hier auf ein besonderes Problem hin. Er habe in seiner bisherigen Arbeit mit Long-Covid-Patienten beobachtet, dass beim Gros von ihnen der übliche Lungenfunktionstest alleine keine Auffälligkeiten zeigte. Die Diffusion, der Gasaustausch von Sauerstoff und Kohlendioxid in der Lunge, funktioniere aber nicht, wie sie sollte. Und auch die Atemmuskelkraft sei beeinträchtigt. Da die Krankenkassen diese Untersuchungen aber nicht bezahle, werde sie von den meisten Lungenfachärzten nicht angeboten. "Ich appelliere daher an die Krankenkassen, hier umzudenken und die Kosten dafür zu übernehmen." Dann würden auch mehr Pneumologen ihr Equipment entsprechend aufrüsten.

So funktioniert die Reha

Es ist dann ein wichtiger Bestandteil seines Reha-Programmes, vor allem die Atemmuskelkraft gezielt zu trainieren. Dazu kommen Kraft-und Ausdauertraining, aber auch eine Ernährungsberatung. "Viele der Patienten, die zu uns kommen, haben an Gewicht verloren, und dabei vor allem an Muskelmasse. Sie sollten nun möglichst eiweißreich essen." Was Zwick auch auffiel: Bei ihm landen vor allem Menschen, die vor ihrer Covid-Erkrankung fit und sportlich und auch im Beruf überaus belastbar waren. Sie stecken all ihre Energie ins Training, um rasch wieder zu gesunden, und merken, dass sie das nur schwächer macht.

Die Wichtigkeit von Pausen

Die Trainingsmethoden aus der Prä-Corona-Zeit funktionieren bei ihnen nicht mehr. Sie müssen lernen, ihre Energie nicht völlig auszuschöpfen -eben Pacing zu betreiben und so die Leistungsfähigkeit langsam nach oben zu schrauben. Sie müssen aber auch lernen, dass beruflich nun einmal eine Pause angesagt ist. Und das sorge für -berechtigte - Ängste. "Da sagte mir ein Topmanager: Ich warte jeden Tag darauf, gefeuert zu werden. Und nicht einmal Ärzten, die an Long Covid erkrankt sind, fällt es leicht, zu akzeptieren, dass sie sich nun erholen müssen." Das berichtet auch Stefan Kaltenegger. Der Pneumologe leitet das stationäre OptimaMed-Rehazentrum Raxblick. "Ein Kollege kann derzeit leider nicht arbeiten. Es fällt ihm schwer, sich länger als eine Stunde zu konzentrieren." Das sei schwer zu verkraften, wenn man zuvor stark belastbar war.

Abgrenzung von Organschäden

Die Patienten, die Kaltenegger betreut, sind teils ähnliche wie jene von Zwick, teils andere. Hierher kommen Personen sowohl mit als auch ohne Organschäden, erstere hatten meist einen schweren Verlauf und mussten im Spital versorgt werden. Wobei Gyöngyösi dazu betont: "Das Long Covid Syndrome ist von durch die Virusinfektionen entstandenen gut definier- und messbaren Organschäden zu trennen." Aber: "Das heißt nicht, dass Patienten mit objektivierbaren Organschäden nicht auch an der typischen Long-Covid-Symptomatik leiden können."

Viele Symptome - viele Ansätze

Long Covid ist also auf vielen Ebenen schwer zu fassen. Und weil die Krankheit so viele verschiedene Symptome aufweist, gibt es die unterschiedlichsten Therapieansätze. Kaltenegger arbeitet wie auch Zwick mit Long-Covid-Patienten mit der Pacing-Methode. Bei jenen Patienten, die nach einem schweren Verlauf mit Lungenproblemen zu ihm kommen, wird teilweise die Sauerstofftherapie neu eingeleitet oder angepasst. Diese Betroffenen weisen eine respiratorische Insuffizienz auf, welche durch eine Entzündung zwischen Lungenbläschen und Blutgefäßen verursacht wird. Interstitielle Entzündung ist dafür der Fachbegriff. Wichtig ist hier eine frühzeitige Behandlung, um zu versuchen, eine Vernarbung der Lunge zu vermeiden. "Diese wäre ein irreversibler Lungenschaden."

Stingl wiederum, zu dem vor allem Patienten mit Erschöpfungsproblematik, aber auch mit Konzentrationsschwächen oder plötzlichen Kreislaufabfällen kommen, betont, dass Patienten teils ganz unterschiedliche Dinge helfen. Da müsse man sich jeweils individuell herantasten. "Bei manchen wird die Kreislaufregulation mit Kompressionshosen und ausreichend Flüssigkeitszufuhr besser." Bei anderen therapiere er auf Verdacht ein Mastzellenaktivierungssyndrom. Dabei handelt es sich um eine Überaktivierung von Immunzellen, die Histamin freisetzen, und dieses wiederum könne eine Vielzahl negativer Wirkungen auslösen. Die hier verantwortlichen Botenstoffe seien aber sehr flüchtig und könnten oft nicht nachgewiesen werden. Er verschreibe daher Antihistaminika -sorgen sie für Verbesserung, lag er mit der Diagnose vermutlich richtig.

Es gibt noch keine evidenzbasierte etablierte Behandlung.

Von "empirischen Therapien" spricht hier die Kardiologin Gyöngyösi. Anderen Menschen helfe zum Beispiel auch Vitamin C. Der Punkt ist: "Für Long-Covid-Patienten ohne objektivierbare Organschäden gibt es momentan keine evidenzbasierte etablierte Behandlung." Aber es gibt eben schon einige Therapieansätze, die helfen. Hier Expertise zu bündeln, wäre wichtig, sind sich die Experten einig. Guidelines könnten hier einerseits den Hausärzten helfen, Betroffene rascher Fachärzten oder Ambulanzen wie der im AKH zuzuweisen. Andererseits müsste das Angebot solcher Einrichtungen, aber auch von Rehabilitation für an Long-Covid- Erkrankten österreichweit ausgebaut werden.

Größeres Angebot gefordert

"Es gibt derzeit zu wenige Spezialambulanzen", beklagt Gyöngyösi. Im AKH Wien/MedUni Wien gebe es eben die bei der Kardiologie angesiedelte Long-Covid-Ambulanz und eine von der Pulmologie betriebene Post-Covid-Ambulanz. In Tirol wurde an der Universitätsklinik für Innere Medizin II eine pulmologische Long-Covid-Patientenbetreuung eingerichtet. In anderen Bundesländern gebe es allerdings noch keine organisierte und strukturierte Versorgung von Long-Covid-Patienten, auch in Wien brauche es ein größeres Angebot. Denn immer mehr Patienten leiden an diesem Syndrom.

Wie viele Covid-Patienten an Long Covid leiden

Statistik gibt es hier zwar noch keine, dazu ist die Diagnose zu jung. Gyöngösi geht aber davon aus, dass rund zehn Prozent der Menschen mit einer Covid-19-Infektion Long Covid entwickeln. In Österreich wurden seit Beginn der Pandemie bereits über eine halbe Million Menschen positiv auf das Virus getestet. Manche von ihnen hatten einen symptomlosen oder leichten Verlauf, andere landeten auf der Intensivstation. Long Covid kann allerdings auch jene treffen, welche die Grunderkrankung als relativ harmlos erlebten. Potenziell gibt es in Österreich also bereits zumindest an die 50.000 von Long Covid Betroffene.

Sorgen um Kinder

Sorgen machen Gyöngyösi auch die Kinder, die sich in der inzwischen dritten Welle öfter mit Covid-19 infizieren als bisher. Im Februar sei eine Studie veröffentlicht worden, die über Long-Covid-Symptomen bei Kindern vier Monate nach einer durchgemachten Infektion berichtete. "Anscheinend sind Kinder durch Long Covid mehr betroffen als Erwachsene, weil circa 50 Prozent der Kinder über mindestens ein Symptom wie Schlaflosigkeit, Brustschmerzen, Atemprobleme und Konzentrationsschwäche klagten." Sie rät Eltern von Kindern, bei denen sich nach drei Monaten nach einer positiven Testung immer noch eines dieser Symptome zeigt, daher, den Kinderarzt aufzusuchen.