Gelöst ist hier noch lange nichts

Die Migrationspolitik steht einmal mehr auf dem Prüfstand. Und verliert sich dabei mal wieder in entbehrlichen Debatten ohne Ergebnis

von Kathrin Gulnerits © Bild: News/Matt Observe

Plötzlich muss es ganz schnell gehen. Geht es ganz schnell. Zeitenwende! Schluss mit "Wir schaffen das!". Dafür ein einhelliges "Wir schaffen es nicht!". Das war die Ausgangslage, als der deutsche Bundeskanzler im November 2023 seinen parteiübergreifend erarbeiteten "Deutschlandpakt" präsentiert hat. Ein Ziel dabei: eine Zeitenwende in der Migrationspolitik einzuläuten. Was hier aufgeschrieben wurde, ist freilich bekannt: schnellere Abschiebungen von jenen, die man nicht (mehr) im Land haben will. Dazu Asylverfahren an den Außengrenzen der EU, Grenzkontrollen. So unattraktiv Deutschland für die einen werden soll, so schmackhaft will man es andererseits jenen machen, die man - vor allem mit dem Blick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel - zum Kommen und Bleiben animieren will. Das heißt schnellere Eingliederung in den Arbeitsmarkt für jene mit Bleibeperspektive. Dazu einfachere Einbürgerungen, Anerkennung der Lebensleistung der sogenannten Gastarbeitergeneration, Doppelstaatsbürgerschaft.

Und dann gibt es da noch die Idee von der Bezahlkarte für Asylbewerber. Die kommt jetzt mit Blick auf die steigenden Flüchtlingszahlen und das bundesweite Erstarken der AfD. Noch dazu überraschend schnell für deutsche Bürokratieverhältnisse. 14 von 16 Bundesländern führen sie ab Sommer gemeinsam ein; zwei Bundesländer gehen einen eigenen Weg. Da wie dort soll ein Teil der staatlichen Unterstützung via Bezahlkarte erfolgen. Erste Praxistests laufen. Die dazugehörigen Debatten auch. Nicht nur bei den deutschen Nachbarn. Denn auch die ÖVP liebäugelt mit einer Bezahlkarte nach deutschem Vorbild - und der Idee, das Land damit für Flüchtlinge unattraktiver zu machen.

Da wie dort gibt es neben Applaus vor allem auch viel Kritik: Fischen am rechten Rand! Entmündigend, stigmatisierend, diskriminierend! Dürfen wir kontrollieren, wofür jemand Geld ausgibt?

»Wir dürfen den Kurs nicht den Zurufern von links und rechts überlassen«

Ja, wir dürfen. Vor allem aber dürfen, ja müssen wir uns erlauben, solche Debatten endlich ohne die erwartbare Begleitmusik zu führen. Wohl wissend, dass die Datenlage noch zu dünn ist, um Rückschlüsse auf die Sinnhaftigkeit der Bezahlkarte zu führen. Wohl wissend, dass das Geld, das Asylsuchende bekommen, ohnehin nur für ein Leben am Existenzminimum reicht. Wohl wissend, dass es Konsens in der Migrationsforschung ist, dass Bargeldzahlungen kaum eine Rolle bei der Wahl des Ziellands spielen. Die erhofften Effekte werden folglich wohl eher nicht eintreten. Außer Spesen also nichts gewesen?

Trotz vieler Bedenken und oft berechtigter Kritik bei vielen Vorstößen brauchen wir in der Asyl- und Migrationspolitik eine Neuausrichtung. Neue Wege, neue Ideen, neue Regeln. Mehr Konsens, mehr Konsequenz. Und wir brauchen Geduld, Dinge auszuprobieren, anstatt sie - wie eben wieder bei der Bezahlkarte passiert - reflexartig aufgeregt abzulehnen. Am besten gelingt das über eine sachpolitische Debatte. Denn was wir nicht brauchen, ist ein "Weiter so" und ein Kurs, der immer wieder und immer nur den Zurufern von rechts und links überlassen wird. Viel Geschrei und gleichzeitig ein eklatanter Mangel an Maßnahmen, das kennen wir nämlich schon. Warum es also zur Abwechslung nicht auch hierzulande mal mit einer "Zeitenwende" versuchen? Es ist an der Zeit.

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