Kickl: Sind seine Tage als FPÖ-Chef gezählt?

Auch wenn Herbert Kickl mit seinem Krieg gegen Parlament und pandemische Vernunft die Gunst der Stunde nutzt - seine Tage als blauer Parteichef scheinen gezählt. "Ja, er hat ein Ablaufdatum", sagt nun sogar FPÖ-Vordenker Lothar Höbelt.

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Kickl: Sind seine Tage als FPÖ-Chef gezählt?

Zugegeben, nicht einmal Herbert Kickl sei ein "Übermensch", räumt Martin Sellner zwar noch konziliant ein. Doch das war es auch schon mit den Zugeständnissen. Dann, so scheint es, brechen alle Gefühlsdämme: "Er ist ein Ausnahmepolitiker, und wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir in diesen dürftigen Zeiten einen solchen Mann in der Spitzenpolitik haben", sagt Sellner, der ehemalige Führer der Identitären Bewegung Österreich und nunmehrige Frontmann ihrer Nachfolgeorganisation "Die Österreicher", über den amtierenden Parteichef der FPÖ. Und postet das entsprechende Video, das bereits im Jahr 2019 entstand, im heurigen Juni zur Bekräftigung noch einmal auf Telegram.

Der Lebensstil Kickls, des "idealen Rechts-und Oppositionspolitikers", sei von "Disziplin, Askese, Routine und Fleiß" geprägt, schmachtet Sellner. Doch auch die inneren Werte und der sprühende Intellekt des Angebeteten sind für Österreichs amtierenden Mister Rechtsextremismus zumindest in treudeutschen Landen beispiellos: "Er erkennt die Probleme und inneren Widersprüche des liberalen säkularen Rechtsstaates und seine Wehrlosigkeit gegen die ethnoreligiöse Unterwanderung."

Das Fundament der Verehrung

Doch die Kickl-Verehrung der jungen Rechtsrechten kommt nicht von ungefähr, bereits der verurteilte Neonazi Gottfried Küssel legte vor rund zwei Jahren deren Fundament: "Der Einzige in der FPÖ, der politisch denkt, ist der Kickl. Die anderen sind - im übertragenen Sinne - die Schweine, die zum Trog rennen."

Tiefbraune Aufmärsche

Und Sellner und Küssel? Die rennen indes immer öfter im Windschatten Kickls. Nicht direkt zum Trog, aber immerhin auf den Heldenplatz. Und wenn der FPÖ-Chef im Wochenrhythmus zu Demonstrationen gegen die "Impf-Diktatur" trommelt, um im grellblauen Alpinanorak "mit der Kraft des Guten Demokratie und Freiheitsrechte zu verteidigen", so sind die Aufmärsche längst schon tiefbraun unterwandert. So sehr, dass Omar Haijawi-Pirchner, der frisch bestellte Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst im Innenministerium, unmissverständlich festhält: "Diese Szene gehört aktuell zu den größten Bedrohungen der Republik."

»Politik ist immer das Ganze.«

Und was sagt Kickl, wenn er nicht gerade wettert und wütet? Dass es eben wichtig sei, "sich mit der Szene zu vernetzen und die engen Mauern des Parlaments zu verlassen." Bereits im Februar, noch bevor er Parteichef wurde, erklärte er sich im News Interview: "Politik lässt sich nicht auf institutionelle Politik beschränken, die sich nur parlamentarischer Mittel bedient", so der Parlamentarier. "Manchmal muss man auch neue Wege gehen, um Dinge voranzutreiben." Kickl, ganz Wolf im philosophischen Schafspelz, bemüht zur Rechtfertigung seiner Streetwork sogar sein großes Denker Vorbild Hegel: "Das Wahre ist das Ganze." Und daraus die Kickl Ableitung: "Politik ist immer das Ganze."

Akademisches Aushängeschild

Doch nun geht "das Ganze" sogar den Freiheitlichen ein bisschen zu weit. Historiker Lothar Höbelt, neben Andreas Mölzer das intellektuelle Aushängeschild der FPÖ und in den einflussreichen blauen Akademikerkreisen eine Art Säulenheiliger, sagt jetzt in seiner Abrechnung mit Kickl klipp und klar: "Die Idee, sich auf die Impfgegner zu konzentrieren, ist kein Verbrechen -nein, viel schlimmer, sie ist ein Fehler."

»Die Macht der Straße zu nutzen und regelmäßig Seite an Seite mit Gruppen des außerparlamentarischen rechten Randes zu demonstrieren, das ist schon eine neue Qualität. «

Und zwar ein "Fehler", der selbst in der facettenreichen FPÖ-Historie "präzedenzlos" sei: So sieht das zumindest Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, kurz DÖW. "Die Macht der Straße zu nutzen und regelmäßig Seite an Seite mit Gruppen des außerparlamentarischen rechten Randes zu demonstrieren, das ist schon eine neue Qualität. Hat Strache etwa noch kurzfristig und spontan reagiert, um sich gewisse Stimmungen politisch zunutze zu machen, so ist das bei Kickl Teil eines neuen strategischen Ansatzes, fast eine Neuaufstellung der Partei." Kickl, erklärt Weidinger, habe die Freiheitlichen zu einem Teil der " Mosaik-Rechten" gemacht.

"Das heißt, dass er seinen politischen Auftrag als gemeinsame Mission mit Aktivistengruppen wie etwa den Identitären und sogenannten Alternativmedien begreift - und zwar mit einer Konsequenz und Systematik wie nie zuvor." Immerhin, sagt Weidinger, habe die FPÖ während ihrer Regierungszeit noch ein gewisses - der politischen Pragmatik geschuldetes - Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der extremen Rechten gehabt. "Getrennt marschieren, vereint schlagen, lautete da noch das implizite Motto. Heute hingegen marschiert man ja bereits vereint."

Kickls Sprache

Ein Anschluss, der sich allein schon an der Neujustierung der Kickl'schen Sprache ablesen lässt: "Wo kommuniziere ich wie? Diese normative Kontrolle ist der Partei unter Kickl, wohl als Konsequenz einer gewissen Desorientierung nach Ibiza, völlig abhandengekommen", konstatiert etwa die Zeithistorikerin Margit Reiter, deren Studien zur Gründergeneration der FPÖ in Fachwelt und Medien für Aufsehen sorgten. "So etwas wie Doublespeak -explizit nach innen, gemäßigter nach außen -ist derzeit nicht mehr auszumachen, dafür aber ein vergleichsweise neues Phänomen: Ähnlich wie bei der AfD oder Pegida benutzt man grundsätzlich positive Begriffe wie ,Freiheit',,Demokratie' oder ,Individuum', die nun eine Umdeutung erfahren."

Die Freiheitsrhetorik werde zweckentfremdet, um ein durch die Coronapandemie gewachsenes Misstrauen gegen den Staat und viele seiner Institutionen zu transportieren -und es populistisch zu vereinnahmen. "Dadurch", sagt Reiter, "hat sich der gesamte politische Diskurs verändert und verschärft." Und ja: "In dieser Radikalisierung erblicke ich durchaus eine demokratiepolitische Gefahr."

Harter Kurs, kein Verständnis

Wobei man in der FPÖ selbst durch den strammen Kickl-Kurs weniger die Demokratie als, viel alarmierender, das Standing der eigenen Bewegung bei der potenziellen Wählerschaft gefährdet sieht. Eine rezente Studie des Instituts Unique Research etwa weist für die FPÖ in der Sonntagsfrage bereits ein Minus von drei Prozent aus und sieht die Freiheitlichen derzeit bei nur noch 17 Prozent.

Vor allem um die schwarz-blauen Wechselwähler macht man sich berechtigterweise Sorgen, denn: In einer repräsentativen OGM-Umfrage unter Österreichs Geimpften haben 70 Prozent "gar kein" oder "eher kein" Verständnis für die Aufmärsche und Demos der Impfgegner, also der Kameradschaft Kickls. Zudem sehen 72 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe die Person Kickl als Hauptgrund für die dürftige Impfquote. "Durch die unzähligen Demonstrationen verärgert Kickl im Speziellen die Polizisten, die nicht mehr zur Ruhe kommen, und im Allgemeinen die Konservativen, die einfach ihre Ruhe haben wollen, in Summe also die eigene freiheitliche Klientel", resümiert FP-Historiker Höbelt ernüchtert.

Verrant?

Hat sich dieser Herbert Kickl, 53, Gagschreiber und Pointentexter bereits zu Haiders Zeiten und jetzt so was wie die personifizierte Mutspritze der österreichischen Impfgegner, da womöglich in etwas verrannt? Ja mehr noch: Ist seine Position als Parteichef, für die er nach Ibiza und der Strache- Implosion zunächst ohnedies nur zweite Wahl war, nun sogar ernsthaft gefährdet? Mehr als das. Wobei die Gemengelage bereits zu seinem Amtsantritt im vergangenen Juni durchaus komplex war.

Ein exzessives Spiel

"Das klassische blaue Großthema Antizuwanderung hatte ihm längst schon die ÖVP weggenommen, indem sie ganz einfach FPÖ-Politik mit freundlicherem Antlitz betrieb -in dieser Not ist Herbert Kickl der Pandemie-und Impfkomplex gerade recht gekommen", sagt der Politologe Anton Pelinka. "Was er nun exemplarisch exzessiv betreibt, ist ein Spiel kurzfristiger Stimmenmaximierung auf Kosten der langfristigen Salonfähigkeit."

»Karrieretechnisch ist Corona sein Überlebensvirus«

Seine "historische Rolle innerhalb der FPÖ" habe laut Pelinka somit darin bestanden, Irrationalismen verschiedenster Art zu bündeln und die Partei für Demokratiegegner, Rechtsextreme und Esoteriker attraktiv zu machen -um die FPÖ nach Ibiza so vor einem noch tieferen Absturz zu bewahren: Die FPÖ unter Kickl sei die einzige Partei, die einer diffusen Impfgegnerschaft ihre Stimme gebe. "Deswegen überlebt er selbst als Führer der Antiimpfpartei nur genau so lange wie die Pandemie selbst, karrieretechnisch ist Corona also sein Überlebensvirus", ist Pelinka überzeugt.

Wenn dieses Thema einmal überholt sei, ende auch Kickls parteihistorische Rolle. Pelinka: "Und es wird ein Sesselsägen einsetzen." Denn überspitzt formuliert sei Kickl der Kurz der FPÖ: Es fehle ihm innerparteilich an einer substanziellen Homebase.

»Ich befürchte, dass Kickl ein Parteichef mit Ablaufdatum ist.«

Denn genau diese abtrünnige Homebase, die meldet sich nun in der Person Lothar Höbelt zu Wort: "Ich befürchte, dass Kickl ein Parteichef mit Ablaufdatum ist."

Aufgestiegen, aufgerieben - und dann abgelaufen? Das mit Abstand größte Opfer, das der ungeimpft coronagenesene Herbert Kickl in seinem Kampf gegen die "Covid-Diktatur" bringen muss, scheint ihm noch bevorzustehen.