"Frauen werden in Österreich nicht ausreichend geschützt"

Nach dem Tod der jungen Ärztin, die von radikalen Impfgegnern monatelang terrorisiert worden ist, fordert Maria Rösslhumer vom Verein Autonomer Frauenhäuser besseren Schutz und mehr Unterstützung für Frauen.

von Gewalt gegen Frauen © Bild: iStockphoto.com

Das Land trauert. In Wien, Linz, Wels und Graz fanden nach dem Tod der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr Mahnwachen statt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Frau Doris Schmidauer legten Blumen vor ihrer Ordination in Seewalchen ab.

Die Tragödie der jungen Frau, die monatelang von radikalen Impfgegnern bedroht wurde und sich schließlich das Leben nahm, wirft viele Fragen auf. Wurden ihre Hilferufe ernst genug genommen? Hat die Polizei alles Mögliche getan, um sie zu schützen? Wurde die Radikalisierung gewisser Kreise im Zuge der Coronapandemie unterschätzt? Und: Verlief das Schicksal Kellermayrs auch deswegen so, wie es verlief, weil sie eine Frau war?

Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF), sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen Kellermayrs Geschichte und Mustern, die sie in Zusammenhang mit der steigenden Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft beobachtet.

Hass im Netz

Schon dass Kellermayr überhaupt ins Visier des Internet-Mobs geriet, ist kein Zufall. Laut Studien ist jede dritte Frau von Formen digitaler Gewalt und Hass im Netz betroffen, sagt Rösslhumer. "Frauen, die sich in irgendeiner Weise politisch oder gesellschaftspolitisch engagieren, sind dem noch mehr ausgesetzt." Eine eloquente junge Frau wie Kellermayr, die sich nicht scheute, Stellung zu beziehen und ihre Positionen öffentlich vertrat, trafen die Anfeindungen besonders heftig. Vor allem nachdem sie sich im November 2021 auf Twitter kritisch über Corona-Demonstranten geäußert hatte, schlug eine Welle des Hasses über ihr zusammen. Sie erhielt brutale Morddrohungen, die sie dazu veranlassten, Sicherheitsvorkehrungen in ihrer Ordination einbauen zu lassen und einen Wachmann zu engagieren. Kellermayr lebte fortan in ständiger Angst vor dem - nicht nur virtuellen - Terror.

Das Internet mache die gravierende Frauenfeindlichkeit in der Geselllschaft sichtbar, meint Rösslhumer. "Die Frauenfeindlichkeit ist in Österreich so was von tiefsitzend und alltäglich. Egal, wo sich Frauen bewegen, sie werden permanent sexistisch angegriffen, sie hören frauenfeindliche Witze, werden ständig von Männern kommentiert oder belehrt."

© IMAGO/SEPA.Media Wien, 1. August: Tausende versammelten sich abends auf dem Stephansplatz, um der verstorbenen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr zu gedenken

Kellermayr litt darunter, dass sie als junge Frau weniger ernst genommen wurde. Im April 2021 beschrieb sie in einem ausführlichen Thread auf Twitter, wie sie sich zu Beginn der Pandemie engagiert und an vorderster Front um Hunderte infizierte Covid-Patienten gekümmert hatte.

Dabei fiel ihr irgendwann auf, dass die Substanz Budesonid besonders gut half. Die Erkrankten erholten sich rascher und mussten selten ins Krankenhaus. Im Zuge eines Vortrags bei einer Online-Bezirksärzte-Fortbildung im Oktober 2020 wurde Kellermayrs Entdeckung öffentlich, schlug aber erst so richtig hohe Wellen, als sich der deutsche Mediziner Karl Lauterbach Monate später dazu äußerte. Kellermayr fühlte sich von der Pharmafirma, den Krankenkassen und dem damaligen Gesundheitsminister Rudi Anschober zu wenig ernst genommen. "Wird mir jemand zuhören?" schrieb sie auf Twitter. "Oder bin ich a) zu weiblich b) zu jung c) habe zu wenig Titel d) alle Antworten sind richtig?" Und: "Hätten wir Menschenleben retten können, wenn ich ein älterer Herr wäre?"

Täter-Opfer-Umkehr

Auch in den Monaten vor ihrem Tod, als sie verängstigt in ihrer Praxis lebte und verzweifelt versuchte, Schutz und Hilfe zu bekommen - auch, indem sie gegenüber mehreren Medien öffentlich über ihre Situation sprach -, wurde ihr nicht ausreichend zugehört. Maria Rösslhumer erkennt darin ein typisches Muster. "Frau Dr. Kellermayr hat sich an viele Organisationen und Behörden gewandt und um Hilfe ersucht, aber sie wurde im Stich gelassen. Das ist etwas, was viele Frauen erleben. Sie werden oft nicht adäquat unterstützt, sie bekommen Fehlinformationen und werden herumgeschickt."

Oft findet dabei eine Täter-Opfer-Umkehr statt, wie auch im Fall Lisa-Maria Kellermayr. Die junge Ärztin dränge in die Öffentlichkeit, um ihr Fortkommen zu fördern, behauptete ein oberösterreichischer Polizeisprecher kürzlich im Ö1-Mittagsjournal. Und selbst ein Ärztekammer-Vertreter stellte Ende Juni öffentlich die Frage, "ob man sich bei jedem Thema auf Twitter exzessiv zu Wort melden muss?"

»Frauen werden oft nicht adäquat unterstützt, sie bekommen Fehlinformationen und werden herumgeschickt«

Kellermayr konterte ebendort, es handele sich um "ein Lehrstück zur Beobachtung einer Täter-Opfer-Umkehr: - Nein, ich habe keinen Polizeischutz erhalten und er wurde mir auch nie angeboten. - Die Ordination wurde verstärkt bestreift. Das ist alles. - Wirft man einem Ertrinkenden, der um Hilfe ruft, auch vor, dass er nur Aufmerksamkeit will? - Ist eine junge Frau z. B. auch selbst schuld, wenn sie vergewaltigt wird, weil sie einen Minirock getragen hat? Das ist nämlich das Niveau eurer Argumentation."

Maria Rösslhumer vom Verein Frauenhäuser: "Alleine schon, dass sie sich selbst schützen und viel Geld für Schutzmaßnahmen und Security ausgeben musste, ist unerträglich. Jeder Prominente bekommt Personenschutz, aber Frauen, die so extrem bedroht werden, werden nicht unterstützt. Das merken wir leider in vielen Bereichen. Frauen werden in Österreich nicht ausreichend geschützt, auch wenn es immer wieder heißt, sie sollen sich an die Polizei wenden etc. Aber wenn sie das tun, passiert entweder gar nichts oder sie werden schlecht behandelt. Und kommt es tatsächlich zu einer Anzeige, wird diese oft eingestellt. Mit dem Argument, es stehe Aussage gegen Aussage und es gebe zu wenig Beweise. Dann sind die Frauen wieder alleine."

Für Kellermayr kommen die Diskussionen, die rund um ihren Tod entstanden sind, zu spät. Aber es sei hoch an der Zeit, das Thema Frauenfeindlichkeit, die in Österreich zu einem immer größeren Problem wird, anzugehen - Stichworte Femizide -, meint Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Frauenhäuser. Der Staat "muss viel mehr in die Prävention und in den Schutz von Frauen investieren. Sonst wird sich nichts ändern. Wir brauchen viel mehr Geld und wir brauchen viel mehr Personal." Gleichzeitig könne jeder und jede einen Beitrag leisten. "Wir müssen möglichst viele Menschen involvieren und sensibilisieren, und wir müssen die Zivilcourage gegen Gewalt an Frauen fördern. Das fängt schon dabei an, dass man sagt, ich will diesen frauenfeindlichen Witz nicht hören. Oder: Ich will nicht, dass Frauen runtergemacht werden. Jeder ist aufgefordert, in solchen Situationen zu reagieren anstatt wegzuhören."

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie mit jemanden. Die Telefonseelsorge (142) und die psychiatrische Soforthilfe (01/313 30) sind rund um die Uhr erreichbar. Auch die Frauenhelpline gegen Gewalt (0800 222 555) berät rund um die Uhr, anonym und kostenlos. Auf www.haltdergewalt.at gibt es einen Help-Chat für betroffene Frauen (täglich 18-22, jeden Freitag auch 9-11 Uhr).

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 31+32/2022.