Henry Ford

Und die Sicherung der Lieferketten

von Henry Ford © Bild: Getty Images

Henry Ford, 1863 in Greenfield bei Detroit als Sohn eines Farmers geboren, wo er nur die Dorfschule besuchte, revolutionierte Jahre später in Dearborn, Michigan, nicht weit von seinem Geburtsort, die Autoindustrie. Er besuchte keine Universität, schloss nicht einmal seine Schulbildung mit einem High-School-Diplom ab und wurde dennoch als 'Self-Made-Man' einer der erfolgreichsten Unternehmer aller Zeiten.

Der geniale Autoproduzent hatte seine Schattenseiten. Am Abend des 30. Juli 1938, es war der 75. Geburtstag von Henry Ford, las der deutsche Botschafter Karl Kapp vor 1.500 prominenten Ehrengästen die Laudatio vor, geschrieben auf einer Pergamentrolle, unterzeichnet von Adolf Hitler, einem begeisterten Verehrer des Unternehmers. Ford war der erste Amerikaner, der diesen höchsten Orden des nationalsozialistischen Deutschland für Ausländer, das Großkreuz des Deutschen Adlerordens, verliehen bekam.

Diktator

Ford leitete sein Unternehmen autoritär wie ein Diktator und war überzeugter Antisemit. In der 'Dearborn Independent', einer Zeitung, die Ford von 1919 bis 1927 herausgab, unterstellte er 'den Juden' Faulheit und Raffgier: "Mehr als jede andere Rasse zeigt der Jude eine ausgeprägte Abneigung gegen körperliche, gewerbliche Arbeit, gleicht dies durch seine ebenso entschiedene Eignung zum Handel aus." Mehrere gerichtliche Klagen zwangen Ford, die Zeitung einzustellen.

1920 veröffentlichte Ford mit seinem Buch - The International Jew: The World's Problem -eine Sammlung antisemitischer Beiträge, die zuvor im 'Dearborn Independent' erschienen waren. Die These des Buchs lautete, das 'Weltjudentum' habe sich zusammengeschlossen, um mit Hilfe seiner Macht im Wirtschaftssektor die Weltherrschaft zu erlangen.

Genialer Stratege

Was macht diesen Industriellen mit dem zweifelhaften Ruf dennoch so interessant und seine unternehmerische Strategie so aktuell? Ford, der als Godfather der Massenproduktion in die Industriegeschichte einging, war in ständiger Panik, dass eine Fließbandproduktion an einem einzigen Fehler scheitern könnten: an der Unterbrechung der Versorgungskette. Wenn auch nur ein Teil nicht zeitgerecht die Lager-Hallen rund um die Produktionstätten erreichen würde, könnte der gesamte Wirtschaftsplan des Unternehmens scheitern, die Produkte den Vertrieb und die Kunden nicht erreichen und ein knapp bemessener Cashflow kollabieren.

Viele Unternehmen denken heute an die Theorien von Ford, wenn sie ihre Produkte nicht ausliefern können, weil sich die Versorgung mit Rohstoffen und Teilen, die aus anderen Betrieben zugeliefert werden, verzögert. Hundert Jahre später werden in 'Rouge', der Fabrik, die Ford erbauen ließ, immer noch Autos hergestellt, immer noch auf Fließbändern und immer noch kommen die Einzelteile aus den selben Lagerhallen. Doch die modernen Theoretiker der Kurzzeitlagerung hielten in den letzten Jahrzehnten nicht viel von Fords Ideen. Lange Lagerzeiten würden das Kapital binden, und das sogenannte Outsourcing -die Auslagerung von Teilen der Produktion -hätte die Profitabilität erhöht. Wenn auch mit den entsprechenden Risiken und Konsequenzen. Doch die jährliche Ausschüttung optimaler Gewinne an die Shareholder war wichtiger als eine langfristig gesicherte Produktion.

Pick-Up Truck

Auf den riesigen Parkplätzen vor den Ford-Produktionshallen stehen derzeit Tausende Modelle des F-150 Pick-Up Trucks, eines der erfolgreichsten Produkte der Ford Motor Company, die jedoch nicht ausgeliefert werden können. Es fehlen die Computer-Chips, die nicht rechtzeitig aus dem 7.000 Meilen entfernten Taiwan geliefert wurden. Fords Alptraum ist somit Realität geworden, wenn auch Hundert Jahre später.

Als Ford sein Unternehmen aufbaute, riskierte er Konflikte mit Investoren und Banken, da er einen Großteil der Profite nicht als Gewinn ausschüttete, sondern in die Sicherung der Zulieferungen und moderne Produktionsstätten investierte. Er war besessen von Misstrauen gegenüber Lieferanten und beschloss, in wirtschaftliche Unabhängigkeit zu investieren. Er kaufte Kohlenminen, Eisenbahnlinien, Schiffswerften, Gummiplantagen für die Reifenherstellung, Eisen-und Elektrizitätswerke, Transportunternehmen und ganze Wälder für die Holzverarbeitung. Sein Traum war es, nicht nur alle Teile seiner Autos selbst herzustellen, sondern auch die Gewinnung und Zulieferung der Rohmaterialen zu kontrollieren.

Parallel zur Sicherung der Versorgung wollte er eine Fabrik bauen, die geografisch so gelegen sei, dass er die Logistik der Auslieferung kontrollieren könne. Jedes Automobil sollte auf dem schnellsten Weg jede Ecke des Landes erreichen können.

Rouge-Complex

Elf Jahre lang -1917 bis 1928 - wurde an dem 'Ford River Rouge Complex' in Dearborn, Michigan, gebaut, verbunden über den Rouge River mit den vier großen Seen und dem wichtigen Eisenbahnnetz der USA in Chicago. Mit 2,4 km Länge, 1,6 km Breite und 93 Gebäuden bis heute eine der größten Industrieanlagen der Welt. Die einzelnen Hallen verbindenden Gleise auf dem Industriegelände sind insgesamt 160 Kilometer lang. Das Unternehmen hatte sein eigenes Elektrizitätswerk, ein Stahlwerk, Fabriken für die Holzverarbeitung und Reifenerzeugung. Architekt war Albert Kahn, geboren als Sohn eines Rabbiners in Deutschland, der für damalige Verhältnisse die ersten 'humanen' Fabrikshallen schuf, mit Tageslicht durch verglaste Dächer, größere Bewegungsräume für die Fließbandarbeit, Wasch-und Aufenthaltseinrichtungen.

Fords Ideen der Selbstversorgung bis zur Herstellung der Teile seiner Autos in eigenen Unternehmen stieß bei den Investoren auf wenig Gegenliebe. Jedes Jahr kürzte er die Dividende trotz hoher Gewinne, verweigerte die Auszahlung eines Teils der Profite und investierte in seine strategische Unabhängigkeit. Als er 1916 den Plan für seine gigantische Fabrik vorlegte, verklagten ihn die Brüder Dodge auf Auszahlung ihres Anteils am Profit. Fords Verteidigung vor Gerichts klang nicht wie die eines profitorientierten Industriellen. Er bezahlte seinen Arbeitern den doppelten Gehalt im Vergleich zur Konkurrenz und sagte zu seiner Verteidigung: "Ich will, dass der Profit meine Autos für die Konsumenten billig macht und den Arbeitern einen maximalen Lohn garantiert."

Der Richter hatte wenig Verständnis für Fords Ideen von sozialer Gerechtigkeit und gab den Klägern recht. Durch einen juristischen Trick konnte er dennoch die Fabrik 'Rouge' bauen und rächte sich später an den Brüdern Dodge, indem er durch Zukauf von Anteilen sie aus der eigenen Fabrik drängte.

Lohnniveau

Ohne jedes Wirtschaftsstudium hatte Ford einen eher pragmatischen Zugang zu ökonomischen Problemen. "Ein niedriges Lohnniveau ist ein Risiko für den Industriellen. Was haben wir davon, wenn wir mehr Profit machen und die Arbeiter können sich nichts mehr leisten. Die meisten Menschen leben nicht von Dividenden, sondern von ihrem Gehalt. Zahlen wir ihnen gute Gehälter, profitiert die Wirtschaft und damit das ganze Land. Business is a service and not a Bonanza", schrieb er in seiner Biografie.

Wie zeitlos die Ängste von Ford waren in Bezug auf Abhängigkeit von Zulieferern zeigte die aktuelle Lage am Markt der Halbleiter. Die wenigen Produzenten haben eine derartige Dominanz erreicht, dass sie durch Produktionsdrosselung die Preise und die weltweite Verteilung ihrer Produkte kontrollieren können.

Die US-Regierung reagierte nach Ford-Prinzip und stellte vor wenigen Tagen ein milliardenschweres Investitionsprogramm vor, um die Chip-Herstellung zurück in die USA zu holen. Bei einer Verlagerung der Antriebssysteme für Autos von Benzin zu Elektrizität wäre eine Abhängigkeit der Autoindustrie von Zulieferung der Halbleiter aus Asien eine unzumutbare Gefährdung.

Auch Ford bietet seine Bestseller, die Pick-Up Trucks, jetzt als Elektroautos an. Der verzögerten Lieferung von Computer-Chips folgte jedoch ein Einbruch der Verkaufszahlen. Das neue Management verlautbarte bereits, nach dem 'Prinzip Henry Ford' eine eigenen Halbleiter-Produktion zu bauen.