Glokalisierung: Wie sich Globalisierung regional auswirkt

Warum wird ein und dasselbe Getränk in China als Lifestyle-Getränk vermarktet, in den USA als Familiengetränk und in Österreich als zuckerarmes Erfrischungsgetränk? Was Glokalisierung bedeutet und welche Folgen daraus entstehen.

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Glokalisation © Bild: Elke Mayr

Inhaltsverzeichnis

Globalisierung vs. Lokalisierung

Glokalisierung ist ein Neologismus bzw. Kofferwort, das sich aus "lokal" und "global"/"Globalisierung" zusammensetzt. Der Begriff geht auf den Soziologen Roland Robertson zurück und beschreibt die Auswirkungen der Globalisierung auf die lokale Ebene und vice versa. Das Konzept versucht, die gegenläufigen Dynamiken von Globalisierung und Lokalisierung zu fassen. Ein typisches Beispiel ist die Vermarktung von Produkten globaler Konzerne, die auf den lokalen Markt zugeschnitten werden: Bevor McDonalds nach Indien expandierte, passte die Burgerkette ihre Speisekarte lokalen Vorlieben an und nahm etwa den McAloo Tikki Burger ins Angebot mit auf.

Woher kommt der Begriff?

Der Begriff Glokalisierung geht auf das japanische Wort dochakuka zurück. Der Begriff wurde zunächst in der japanischen Agrarwirtschaft, später in der Ökonomie als Ganzes verwendet und gilt "als Ausdruck für globale Lokalisierung, d.h. für die Anpassung einer globalen Perspektive an lokale Umstände." Laut dem Soziologen Roland Robertson wird mit dochakuka "dem Gedanken Ausdruck verliehen 'etwas heimisch zu machen'". Daran anschließend prägte Robertson in den 1990ern den Begriff der glocalization zur Analyse von Globalisierungs- und Lokalisierungsdynamiken. Im Laufe der Dekade tauchte der Begriff der Glokalisierung zeitgleich in Fachmagazinen mehrerer Disziplinen auf. Bekannt wurde er später unter anderem durch den polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Bauman.

Seither erfuhr der Begriff wesentliche Ausdifferenzierungen. Definitionen unterschiedlicher Disziplinen und Wissenschafter:innen unterschieden sich mitunter erheblich. Das bedeutet, Glokalisierung ist kein abgeschlossenes Konzept, sondern wird je nach Betrachtungsweise unterschiedlich verwendet bzw. stehen andere Aspekte im Vordergrund.

Beispiele für Glokalisierung

Als Paradebeispiel für eine glokalisierte Marketingstrategie wird häufig Coca-Cola herangezogen. Der Getränkehersteller vertreibt sein Produkt global, jedoch mit unterschiedlichen regionalen Marketing-Schwerpunkten: In China wird Coca-Cola beispielsweise als Lifestyle-Getränk vermarktet, in den USA als Familiengetränk und in Österreich als Erfrischungsgetränk mit wenig Zucker. Auch Hollywood-Produktionen werden mitunter auf regionale Märkte zugeschnitten, indem etwa Schauspieler:innen verschiedenster Herkunft oder durch den Einbezug lokaler Settings aufs Zielpublikum abgestimmt werden.

Ein Beispiel für fehlgeschlagene Glokalisierungs-Bemühungen lieferte die US-amerikanische Supermarktkette Wal-Mart. Nach einer Expansion in den deutschen Markt zog sich Wal-Mart rasant wieder zurück, weil sie es verabsäumt hatte, ihr Marketing an mitteleuropäische Gepflogenheiten anzupassen. Unter anderem brachten die in den USA sehr beliebten Wal-Mart-Greeters – Mitarbeitende, die Kund:innen begrüßen und verabschieden – die deutschen Kund:innen nicht in Kauflaune, sondern sorgten eher für Irritationen.

Dimensionen der Glokalisierung

Wissenschafter:innen, vor allem Soziolog:innen, Politikwissenschafter:innen und Wirtschaftswissenschafter:innen, interessieren sich unter dem Schlagwort "Glokalisierung" dafür, wieso in einer globalisierten Welt lokale Unterschiede bestehen bleiben bzw. wie sich Globalisierungstendenzen auf lokale Besonderheiten auswirken und vice versa. Hierfür nehmen sie mehrere Dimensionen in den Blick.

Aus kulturtheoretischer Perspektive interessieren sich Wissenschafter:innen vor allem für kulturelle Besonderheiten und regionale Unterschiede: Werden diese im Zuge der Globalisierung eher gestärkt oder abgeschwächt? Gleichen diese sich an? Und warum (nicht)? Was bedeutet das für das Zusammenleben der Menschen in der betroffenen Region?

Auf politischer Ebene findet Glokalisierung in vielerlei Weise statt. Hier geht es zumeist um die Verteilung von Kompetenzen entlang unterschiedlicher politischer Ebenen: Welche Befugnisse hat die EU gegenüber ihren Mitgliedsstaaten? Wie ist die rechtliche Beziehung zwischen Bundesstaat und Bundesländern ausgestaltet? Welche Auswirkungen haben Zentralisierungstendenzen innerhalb föderaler Staaten? Einen wachsenden Einfluss hierauf haben auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die OECD. Bestimmte Bereiche der Urban-Governance-Forschung beschäftigen sich mit den Auswirkungen globaler Dynamiken auf Städte.

Besonders lebendig ist die Debatte um Glokalisierung im Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Transnationale Konzerne müssen sich, um international wettbewerbsfähig zu sein, den je lokalen Besonderheiten anpassen. Das umfasst mutmaßliche Vorlieben der jeweiligen Bevölkerung genauso wie die Integration in die jeweilige Forschungslandschaft.

Auch in ökologischer Hinsicht ist der Begriff der Glokalisierung mittlerweile vermehrt Teil der Debatte. Hier geht es vor allem um regionale Besonderheiten mit Bezug auf die verfügbaren Rohstoffe und Energieträger. Beispielsweise macht es einen Unterschied, ob ein Unternehmen an einem Ort produziert, in dem es überwiegend mit Solarenergie produzieren kann oder auf fossile Energieträger wie Öl und Gas angewiesen ist.

Monokulturalismus statt Pluralisierung?

Umstritten ist die These, ob Glokalisierung tatsächlich zu mehr kultureller Pluralität oder ob diese Dynamik eher zum kulturellen Einheitsbrei unter dem Dogma wirtschaftlicher Vermarktungsstrategien führt. Der Philosoph Stefan Zenklusen kritisiert in seinem Buch "Kritik der Glokalisierung. Über den Triumph des Monokulturalismus"*, dass Glokalisierung im öffentlichen Diskurs nahezu ausschließlich positiv bewertet werde. Zenklusen warnt in seinem Buch vor "identitären Regressionen" gegenüber einem westlich dominierten "Monokulturalismus", der überwiegend von Metropolen ausgehe und zum Verschwinden überregionaler, nationaler und internationaler Vermittlungsinstanzen führe.

Erfolgsformel "Glokalisierung"?

Unter Fachleuten gilt die Glokalisierung als Makrotrend bzw. Megatrend, also eine Entwicklung, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über mehrere Jahrzehnte maßgeblich mitprägt. Besonders im Bereich der Wirtschaft gilt das Konzept als "Erfolgsformel" für Marketing und Wettbewerbsfähigkeit. Glokalisierung "wird die Ökonomie der 2020er-Jahre prägen", schreibt etwa Thomas Straubhaar, Professor für Volkswirtschaftslehre der Universität Hamburg, in einem Gasbeitrag für die deutsche Tageszeitung Welt.

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wurden Überlegungen hinsichtlich Glokalisierung in Wirtschaftskreisen wieder lauter. Lokales Denken müsse gegenüber blindem Globalisierungsglauben wieder im Fokus stehen und so etwa Lieferketten verkürzt werden und eine störungsfreie Produktion wieder in den Vordergrund rücken. Unternehmer:innen versprechen sich davon mehr Planungssicherheit, transparentere Lieferketten und die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards.

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